Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Steuerflüchtling ist der beste Flüchtling

Ja im Wald, da sind die Rohoiber
Halli, hallo, die Rohoiber.

Vom Tegernsee aus ist man schnell in Österreich. Selbst mit dem Fahrrad dauert es kaum eine Stunde, sei es, dass man über die alte Silberstraße zum Achenpass hinauf fährt, oder mit einem Bergrad über die Valepp den alten Schmugglerpfad nach Tirol nimmt. Ich mag diese Lage, denn sollte ich einmal etwas zu Freches über die Bewohner des Reichshauptslums schreiben, brauchen sie nicht nur lang, um hierher zu kommen, sofern sie sich die Fahrkarte überhaupt leisten können. Es bleibt mir auch genügend Zeit, mich aus dem Staube zu machen. Ich kenne hier jeden Steg, und wüsste schon, wie ich mich unbemerkt über einen kleinen Bergjordan zu den Nachbarn abseilen könnte.

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Dass ich nach dem zweiten Weltkrieg einmal wieder an einer echten, fest bewachten Grenze leben würde, hatte ich allerdings so schnell doch nicht erwartet. Aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen, der Tegernsee liegt nicht mehr mitten in der EU, sondern eben nahe der Grenze zu Österreich, und es sind auch genügend Polizisten da, um bei 9 Grad und Nieselregen diese Grenze hier zu schließen. Das ist technisch nicht besonders schwer, denn es gibt nur wenige echte, befahrbare Übergänge zwischen den natürlichen Barrieren. Im Osten des Landes trennen Salzach und Inn bayerische Zivilisation und niederösterreichischen Vorbalkan, und von Salzburg bis Lindau legen sich recht hohe Bergmassive jedem unerlaubten Zuwanderer in den Weg. Wenn gestern nun Berliner Aktivisten empfahlen, sich als Bergwanderfluchthelfer zu betätigen, wünsche ich viel Glück und immer einen Rettungshelikopter in der Nähe. Man musste früher hier leben, um nur eine Flasche Schnaps oder ein Rennrad erfolgreich zu schmuggeln, und auch heute sind die Grenzen nicht geeignet, größere Gruppen zu schleusen.

Deshalb bauen die Österreicher im Moment auch vor. Auf der anderen Seite liegt der Achensee, ein Idylle sondersgleichen und ab sofort eine Sackgasse für jeden, der ohne gültige Papiere einreisen will. Dort könnten es nun die Flüchtlinge versuchen, die bei Salzburg nicht mehr durchgelassen werden: Wenn die Deutschen die Einreise verweigern, sind sie auf knapp 900 Meter Höhe in den Wolken, und jemand muss sich auf Tiroler Seite um sie kümmern. Das ist gegenüber von uns so, gegenüber von Garmisch, gegenüber von Bayerischzell und gegenüber von Lindau, also überall, wo es schön ist und sich gut leben lässt. Gegenüber sind bei den Österreichern auch feine Fleckerl Erde, und sie alle sahen bis gestern nicht nach den internationalen Zentren der Asylkrise aus, die sie heute geworden sind. Bis gestern dachte man in Tirol, vielleicht würden nur ein paar Verirrte der Brennerroute hier schnell nach Bayern reisen. Heute morgen haben die Tiroler dann gleich die Fernzüge kontrolliert und Flüchtlinge aus Italien festgehalten. Das machen sie ganz von selbst, seitdem die wissen, dass die deutsche Grenze zu und jeder Einreisende ihr Problem ist.

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Letzte Woche habe ich von hier aus, mit Blick auf die Berge, geschrieben, dass es bald hässliche Bilder geben wird, wenn wir konsequent sein müssen. Ich sah dann auch prompt Flüchtlinge, die aus dem System der Bayern und Münchner gefallen sind und auf der Strecke blieben. Bayern war gen Österreich offen und hinten haben letztes Wochenende die anderen Bundesländer die Tore geschlossen. Das war nicht nett. Jetzt ist es eben andersrum. Man hat die Tore zu Österreich geschlossen, und Österreich läuft jetzt als Ende der Balkansackgasse zu. Die Leute wollen zu uns, wir schaffen das, eine Obergrenze gibt es nicht, wir machen einen nationalen Kraftakt und überlassen das Scheitern den Bayern und Münchnern: Diese deutsche Haltung rächt sich jetzt, aber nicht für uns. Ich wohne schön an der Grenze und dahinter wird das kleine, bergige Österreich für seine Hilfe beim Transit überrollt. Gestern war hinter den Wolken der von Vermögenden gern bewohnte Achensee, heute ist dort Notstand. Die fünftausend Flüchtlinge, mit denen der Regierungschef Faymann bis zum Jahresende täglich rechnete, können nicht vor und nicht zurück, in der gesamtbalkanischen Massenkarambolage, die die deutsche Vollbremsung nach den Vollgaswochen und dem vollkommenen Selbstbild voller Fachkräftewünsche und Willkommensartikel auslöste.

Nur nach Österreich rein, das können die Geschundenen. Man muss nur einmal die Landkarte anschauen: So geschlossen Österreich gegen Bayern ist, so offen ist es gegenüber Ungarn und Teilen von Slownenien. Natürlich kann man eine Straße mal eben blockieren, aber nicht eine lange Grenze. Vor allem nicht, wenn Herr Faymann den Herrn Orban wegen der Behandlung der Flüchtlinge mit Hitler vergleicht – und Herr Orban das weltweit kritisierte Lager Röszke räumen lässt, auf dass Herr Faymann zeigen kann, wie er das beherrscht. 20.000 Flüchtlinge sind im Land schon unterwegs, viele tausende warten an den Grenzen, und Österreich schickt Gitter, Grenzkontrollen und die Armee, und kündigt Grenzüberwachung an. Es schimpft sich leicht auf Ungarn, wenn man selbst Flüchtlinge nur weiter reicht – nun steht dieses Land, deutlich kleiner als Bayern, mehreren zehntausend Flüchtlingen gegenüber. Auf Deutschland hochgerechnet wäre es so, als wollten 3-400.000 Menschen durch das Land ziehen, kämen nicht weiter und erinnerten sich nun daran, dass sie gar nicht müssen – sie könnten hier in diesem reizenden Land auch einen Asylantrag stellen. Und bleiben. Tu felix Austria asyle. Davor haben die Österreicher Angst. Sie sind nicht ganz von den Fachkräften für ihr schrumpfendes Volk überzeugt.

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Grau schweben draußen die Wolken über dem See, und die Luft riecht herbstlich nach dem Rauch der Kachelöfen, kalt ist es, und neben mir brennt eine Kerze. Drüben, auf der anderen Seite, wo Österreich gerade zwischen der geschlossenen deutschen Grenze und dem von den Deutschen provozierten Flüchtlingstreck unter der Räder gerät, ist man sich eher bewusst, dass man das vermutlich nicht schaffen wird. Und man wird sich dort drüben in Tirol vielleicht wundern, warum wir Deutschen nicht die Notbremse gezogen haben, als in der FAZ am Montag zu lesen war, dass nun nicht nur die Bedrohten der Notlage am Bahnhof von Ungarn einreisten, sondern auch die Flüchtlinge kommen, die bei den Ungarn schon in den Lagern waren. Sie werden sich wundern, warum es Kanzlerinnenselfies gab, Rüffel gegen Horst Seehofer und schöne Worte von der nicht existierenden Obergrenze, als mein Gemüsehändler schon eine halbe Busladung Menschen aus der Not heraus bei sich im Lager unterbrachte und bewirtete. Wobei, zum Wundern haben die Tiroler gerade keine Zeit, die Züge aus Italien kommen ja weiterhin und niemand will unschöne Szenen in Bregenz am Bodensee oder vor der Residenz in Innsbruck, in deren Cafe ich von ein paar Jahren – pardon, es fühlt sich an wie Jahrhunderte – mit einem amerikanischen Professor über Nation Building und transatlantische Verhältnisse eines Vereinigten Europa sprach. Jetzt ist das alles Krisenregion und irgendwo auf der Autobahn kommt eine Wanne mit Polizisten, die lange die Schönheit des Tegernseer Tales bewundern können.

Aber was bleibt ihnen schon übrig, es ist die Logik des Systems. Die Deutschen machen zu, die Ungarn machen zu, die Tschechen machen zu, Slowenien ist weit offen und nicht fern von Heiligenkreuz im Burgenland, wo die Österreicher auf freiem Feld ebenfalls zumachen wollen, aber nicht wirklich können. Es sieht nicht so aus, als hätten sie viel Zeit gehabt, und wären hinreichend informiert worden: Was das grosse Deutschland beschließt, ist dann eben der Fluch des kleinen Landes, und warum sollte das bei Österreich anders als bei Griechenland sein. Derweilen sonnt man sich bei uns im Gefühl, dass wir genug getan haben und der Welt zeigten, wie wir unsere Krise mit Herz und Kraft lösten. Am deutschen Wesen sollte die Welt genesen, und nur das zwangsgeschlossene Österreich hat momentan noch ein paar allergische Reaktionen. Mit der europäischen Quotenangriffen auf die Visegrad-Staaten wird das alles in Ordnung kommen, rufen wir ihm zu, und dann versenken wir auch Schlepperboote und machen grosse Lager, wo sie keiner von Berlin aus sieht. Sollte es dort doch wieder hässlich werden, wie früher in Lampedusa – was haben wir die Italiener beschimpft für dieses Lager – werden wir angesichts unserer grandiosen Leistung in diesem Sommer mit bestem Recht in der EU dafür sorgen, dass Italien seine Probleme selbst, aber nach unseren Wünschen ausbadet.

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Also, das heisst, falls jemand wirklich Wert darauf legt, die EU mit uns unter dem Eindruck der letzten Jahre fortzusetzen. Als Österreicher würde ich da eher ganz schnell Baba sagen wollen, und auch als Deutscher bin ich erstaunt, wie froh hier alle um Grenzkontrollen sind, obwohl sie, wollte man etwa ein Konto in der Schweiz oder eine steuerlich nicht angegebene Toskanavilla besuchen, schon eine leichte Belästigung darstellen. Aber der Mensch gewöhnt sich wohl an alles, an die ertrunkenen Kinder gestern und das Schweigen der Kanzlerin heute, wo man doch eigentlich gern wüsste, wer das jetzt schaffen soll mit Integration und Neubau, und vor allem: Warum man mit dem Geld für die Flüchtlinge nicht einfach den Spitzensteuersatz senkt oder die Erbschaftssteuer abschafft, wenn doch genug da ist.

Darüber müsste man nämlich dringend mal wieder reden. Das würde dann auch Steuerflüchtlinge anziehen, die, das weiss man vom Kleinwalsertal und verschwiegenen Häusern in Salzburg, nie ein Anlass sein werden, Grenzen zu schliessen. So etwas integriert man immer und jederzeit, und gegen diese Flüchtlinge hat auch kein Dunkeldeutscher etwas einzuwenden. Es geht bei der Integration immer um die richtige soziale Mischung, und das schaffen wir sicher, wenn wir die Mittel vor allem an die einzig richtigen Flüchtlinge mit den menschlichsten aller Anliegen und Anlagen verteilen.