Die kleine, dumme Stadt an der Donau ist ein Musterbeispiel für Integration. Über 90% der Bevölkerung sind, mit den Augen eines Vertreters der alten Eliten betrachtet, Migranten. 1850 waren wir keine 10.000 Menschen, und jetzt sind es 133.000. Die meisten kamen sogar erst nach dem 2. Weltkrieg: Flüchtlinge aus dem Osten, Displaced Persons, Italiener, Spanier, Türken, Griechen, recht viele Jugoslawen, zwischendrin auch einige echte ungarische Flüchtlinge und haufenweise Wirtschaftsmigranten aus Hamburg, Preussen, Nordrhein-Westfalen und weiteren mitteleuropäischen Krisenregionen. Es sind sogar Hessen hier. Trotzdem hat sich hier alles gut eingerenkt: wir hatten ja über 150 Jahre Zeit, die Migranten einen nach dem anderen katholisch zu machen, wie man bei uns im Kernland der Gegenreformation, Toleranz mit den Rechtgläubigen und der Antiaufklärung so schön sagt.
Das hat so übergut funktioniert, dass ich mir letzten Winter die Idee, hier eine Bürgerwehr gegen Neuankömmlinge einzuführen, auf Bayerisch von einem Türken und einem Bosnier anhören durfte. Abgesehen davon herrscht hier Vollbeschäftigung. Jeder, der es wirklich will, findet eine anständige Arbeit, weshalb wir hier keine Genderlehrstühle brauchen. Das Lohnniveau ist hoch, und deshalb haben wir hier keine von Armut, Hipster und HartzIV geprägten Wohngegenden. Die Stadt und die sie umgebende Region ist ein Beispiel dafür, wie Deutschland sein könnte, wenn es woanders nicht wäre, wie es ist. Meine Heimatstadt ist bunt, und kaum jemand erinnert sich noch an die Zeiten, als das anders war. Kurz nach meinem Abitur, als hier die Republikaner einen grossen Europawahlerfolg eingefahren haben, und den im Stadttheater feierten.
Damals kam der Schönhuber, und am Tor des Theaters kam es zwischen deutschen Befürwortern und Gegnern des ehemaligen Waffen-SS-Mannes zu erst lautstarken und dann auch tätlichen Auseinandersetzungen. Ich war dabei. Auf der linken Seite. Es war nicht gerade schön, andere oide Stodarer, die man seit Generationen kannte, auf der anderen Seite zu sehen. Es gab hier nach dem zweiten Weltkrieg so etwas wie einen Burgfrieden zwischen Roten und Schwarzen, aber mit Schönhuber brachen die ganz alten, bösen Konflikte wieder auf – als hätten manche nur auf ihren neuen Messias gewartet. Es kam zum Glück anders, und Positionen, die damals Kernideologie der CSU waren, würde heute auch die AfD nicht mehr vertreten. Schönhuber hat sich bald selbst erledigt, und in der kleinen, dummen Stadt machte man wieder das, was man am besten konnte: Autos bauen, exportieren, reich werden, und hemmungslos alle aufnehmen, die bereit waren, sich diesen Zielen voll und ganz zu verschreiben. Die kleine, dumme Stadt an der Donau ist reich und bunt.
Gestern war sie rot. Es ging dem Vernehmen nach alles ganz schnell, am Morgen erzählte mir der Türke mit Vorliebe für Bürgerwehr, dass in der Nacht die Telefonketten heiß gelaufen sind: Man sollte den Laden zusperren, kommen, und alle mitbringen, die laufen konnten. Er hielt das für gar keine gute Idee, aber er gehört auch zu einer religiösen Minderheit in der Türkei. Er sagte den Anrufern, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, gerade an diesem Tag, nachdem da einer für den Islam fünf Menschen niedergehackt und -gestochen hat, durch die Stadt zu ziehen. Auch die Türkei ist eigentlich bunt, es gibt Kurden und Anhänger des Sufismus und Schiiten und Kommunisten, die während der Militärdiktatur nach Deutschland flohen. Es gibt aber auch Milli Görüs.
Der Herr mit dem schwarzen T-Shirt trägt eine Armbinde mit der Aufschrift “Ordner“. Auf dem Hemd steht der zweite Teil eines Spruches, den der Gründer von Milli Görüs geprägt hat: “Eine Blume macht noch keinen Frühling, aber der Frühling beginnt mit einer Blume.“ Die türkische Kultur hat ihre poetischen Momente und kann von ausgeprägter Höflichkeit und Anteilnahme geprägt sein, und das klingt dann auch so gar nicht nach dem, was der Judenhasser Necmettin Erbakan sonst noch so gesagt hat. Etwa “Der Zionismus ist ein Glaube und eine Ideologie, dessen Zentrum sich bei den Banken der New Yorker Wallstreet befindet. Die Zionisten glauben, dass sie die tatsächlichen und auserwählten Diener Gottes sind. Ferner sind sie davon überzeugt, dass die anderen Menschen als ihre Sklaven geschaffen wurden. Sie gehen davon aus, dass es ihre Aufgabe ist, die Welt zu beherrschen. Sie verstehen die Ausbeutung der anderen Menschen als Teil ihrer Glaubenswelt.“
Das sind nicht DIE Türken, sage ich einer Bekannten, die ich am Rande der Demo treffe. und die sich fragt, was das soll: Dass hier über tausend Leute mit roten Fahnen durch die Stadt ziehen, und türkische Parolen skandieren. Es sind rechtsgerichtete, nationalistische Organisatoren, die sonst kaum öffentlich in Erscheinung treten. Milli Görüs, Nationale Sicht, sie vermeiden bislang eher öffentliches Aufsehen. Sie wirken lieber in der türkischen Gemeinde. Geschätzt zehn Prozent der in der Region lebenden Menschen mit türkischer Herkunft haben sie auf die Strasse, auf den Platz gebracht. Alle haben sie türkische Fahnen. Alle sind sie laut. Alle schreien sie auf türkisch. Nieder mit den Putschisten, ein Hoch auf die Demokratie und Erdogan.
Es kommen die Väter mit ihren Kindern. Viele tragen dazu auch Trikots türkischer Fussballvereine. Es gibt Frauen mit blondierten Haaren und engen Hosen, aber auch alle Arten der Verschleierung, und das ist die Mehrheit. Man hört von den hiesigen Exremisten nur sehr wenig, es gibt auch Programme wie “Mutter lernt Deutsch“, die von der türkischen Gemeinde und der Stadt getragen werden, um Parallelstrukturen aufzubrechen. Diese bodenlang verhüllten Parallelstrukturen, die man sonst kaum sieht, und von denen man ansonsten gern hoffen würde, dass sich da ein paar saudische Touristinnen verirrt haben, sind heute auch da. Sie sind laut, die Stimmung ist, das merkt man als erfahrener Demonstrant, aufgeheizt und schlecht, und die Polizei hat die Schränke der Bereitschaftspolizei aufmarschieren lassen, damit hier nichts eskaliert.
Die meisten sind in Deutschland geboren. Die meisten werden einem – privat – nach dem Türkeiurlaub erzählen, dass sie aus dem ein oder anderen Grund doch ganz gern in Deutschland leben, und daheim als “Deutsche“ gelten. Das Leben hier geht nicht spurlos an ihnen vorbei, aber jetzt, hier, als sie schreiend und fahnenschwenkend durch die Stadt ziehen, sind sie Türken und kümmern sich nicht darum, wie das auf die anderen Bewohner der Stadt wirkt, die gerade das Video des IS sehen, auf dem der Attentäter sagt, die Soldaten des Kalifats seien hier. Ich wüsste gar nicht, wo ich eine deutsche Fahne her bekommen sollte – wir haben nur eine bayerische Fahne von 1908, als der Prinzregent hier zu Besuch war. Es gibt italienische Dekofähnchen beim Carrara-Weinfest und die französische Tricolore, wenn die Freunde aus Grasse kommen. Es gibt hier aber schon sehr lang, eigentlich seit Schönhuber, keinen nationalistischen Aufmarsch mehr.
Halbmond und Stern ist die türkische Nationalfahne. Drei weisse Halbmonde auf rotem Grund ist die Fahne der nationalistischen, antisemitischen, exremistischen Partei MHP, bei uns besser bekannt als “Graue Wölfe“. Die sind hier auch dabei. Sie marschieren mit. Sie werden von den Erdogananhängern nicht ausgegrenzt, und hier, auf dem Rathausplatz der an sich bunten, toleranten Stadt zeigen sie den Wolfsgruss.
Es gibt keine Gegendemonstration. Jeder weiss, was in anderen Städten passiert ist, gegenüber Kurden und Anhängern von Bewegungen, die kritisch gegenüber Erdogan sind. Dass es passiert, dafür sorgen die Extremisten unter den Demonstranten. Es gibt in Deutschland Demonstrationsrecht, und wie es genutzt wird, wie es wirkt, ist Sache der Demonstranten und ihrer Vernunft. Hier ist es emotional, laut und nicht verständlich. Eine Machtdemonstration des Erdoganlagers. Aussenrum steht das schockierte deutsche Bürgertun und fragt sich, was das soll, eine nationalistische Demonstration für einen Machthaber einer Nation, der hierzulande, nach unseren Vorstellungen, ein totalitäres Regime mit seinem Mob durchpeitscht.
Alles ist auf türkisch. Die Plakate, die Erdogan hoch leben lassen, die Reden, die ihm Treue schwören, die Fahnen, die Nazis, die Kinder, die Antisemiten, die Handyknipser, die Rassisten, die hier in der Masse mitmarschieren. Wir hatten hier „… ist bunt“-Demonstrationen. Jetzt ist es nur rot. Vermutlich ist das hier nicht die Mehrheit, und nur, weil sie miteinander marschieren, müssen sich nicht viele zu den türkischen Nazis bekennen. Es gibt hier sicher auch einiges an sozialem Druck, sich zu beteiligen.
Aber dieser Druck kann nur wirken, weil man ihn wirken lässt. Multikulti heisst faktisch in der BRD, den anderen sein Ding machen zu lassen und das eigene Land , die eigene Kultur schlecht zu reden. Der moralistisch-deutsche Nationalismus der Gedenk- und Willkommenskultur ist weltweit ein Sonderweg, und nicht attraktiv für Kulturen, die ein positives Selbstbild haben. Der Holocaust wird angeführt, trotz hier lebender Juden, die keine Lust haben, als historische Begründung für die Zuwanderung aus Staaten herzuhalten, in denen Judenhass Staatsdoktrin ist. Es gibt keine breite, gesellschaftliche Strömung für eine positive Leitkultur, aber die Organisation einer Ex-Stasi-IM und verdeckt arbeitender Medienleute als nichtdemokratisches Enschüchterungsvehikel sozialdemokratrischer Minister. Minister, die gerne Kopftuchträgerinnen auftreten lassen, die selbst schon israelfeindliche Demos beworben haben. Minister, die vermutlich, wie viele, gehofft haben, dass es schon von selbst werden wird. Und dass man dem Menschenrechtspartner der Kanzlerin Erdogan, seinen Propagandisten und seinen sich als Feministinnen ausgebenden Fanatikerinnen in Deutschland etwas Raum geben kann, weil man anderweitig auf ihn angewiesen ist.
Diesen Raum haben sie sich gestern hier genommen, bis zum äussersten rechten Rand. Viele sind extra angereist. Die waren nicht von hier, sagt man mir, und ist entsetzt, dass die Grauen Wölfe auch da waren. Die Mehrheit blieb daheim, schraubte am Auto, ass Melonen, machte sich Sorgen um die Verwandtschaft. Aber die anderen haben der Stadt und den Bürgern gezeigt, wie es um Integration und Miteinander und Toleranz gerade wirklich steht, und wer hier bei vielen das Kommando gibt. Man kann natürlich darüber streiten, was deutsche Leitkultur sein soll, und ob der Islam zu Deutschland gehört. Aber wenn man keinen selbstbewussten Stolz zu bieten hat, vom eigenen Volk einseitig Toleranz verlangt, und der islamistischen und völkischen Leitkultur bei den Migranten das Feld überlässt, hat man eben die Grauen Wölfe ganz offen auf dem Rathausplatz. Und gebürtige Wattenscheider, die mit Sylt-Aufkleber am Opel Astra durch Bayern fahren und Jever trinken eine eigene Bevölkerung, die die Realität der Integration jenseits der Dashatmitdemislamnichtszutun-Talkshows und Kopftuchfeminismus-Kongresse in Berlin hautnah erleben kann, und sich dann die Meinung bildet, die zu den erlebten Fakten passt.
[Dieses Blog ist ein Freund extensiver Meinungsfreiheit. Aber auch mit einem Schrank von einem Communitymanager mit islamisch-jüdischer Dialogerfahrung. Man darf gerne mitreden. Aber bitte höflich bleiben. Sonst stelle ich Euch das Standgas ein.]