Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die preussischen Türken vor dem bayerischen Wien

Kommt der Janitschar, zahlt er meist nicht bar.
Und die Sultanine ist keine kesse Biene.

Wie allgemein bekannt sein dürfte, gibt es kein friedliebenderes, angenehmeres, menschenfreundlicheres,, höflicheres und sprachbegabteres Volk auf dera Welt ois wia de Bayern.

Das glauben jetzt vermutlich viele nicht.

Aber wenn Sie mein schönes Heimatland bereisen und einem anderen das Bier wegtrinken.

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Oder seine Liebste zum Tanz auffordern oder behaupten, Inszenierungen der Bühne des Berliner Volkes wären tiefgeistiger als Terofals Schlierseer Bauerntheater, oder wenn Sie eine angewiderte Lädschn beim Kurkonzert der Blasmusikkapelle Gmund unten am Tegernsee machen, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet, und die militärische Natur des Partenkirchner Gebirgsschützenmarsches kritisieren, dessen Wohlklang hinüber zum Spielplatz mit den hoffentlich unverdorbenen Waldorf-Kleinen zieht –

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dann wird Ihnen die Gnade zuteil, für die Bayern so geschätzt und geachtet wird. Niemand wird deshalb handgreiflich oder brutal. Denn uns allen wird in frühester Kindheit beigebracht, dass sich das nicht ziemt. Zumindest in den besseren Kreisen, aber andere gibt es am Tegernsee ohnehin nicht, weil es von dort aus nämlich sozial nur noch abwärts geht bis hinter Hamburg, also sehr weit, nicht wahr. Jedenfalls lernen wir schon als Kind, dass wir in solchen Momenten keinesfalls Gewalt sprechen lassen sollten, sondern uns natürlich bemühen, das zu tun, was die Geldverprasserkampagne “Nohatespeech“ mit Finanzierung der deutschen Regierung gerade ohne Erfolg versucht: Kritik und Bitten um Mässigung positiv und empfängersensibel auszudrücken. Wir sagen nicht zu Fremden, dass gleich der Watschenbaum umfallen würde – das sagen wir nur zu Freunden, damit sie wissen, was gleich kommt, und dass sie sich bereit halten sollen. Fremden aber sagen wir, dass bei uns jeder einen frei habe: “Oan hosd frei.“

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Auf der einen Seite drückt unsereins wohlerzogen damit aus, dass wir tolerant sind, und auch einmal zurück stecken. Auf der anderen Seite verzichten wir damit auch auf explizite Drohungen mit grobem Salz und gehackten Sauborsten vor einer Platzpatrone in der Flinte, zu denen wir durchaus befähigt wären. Wir teilen lediglich mit, dass hier nun unsere Toleranz im Rahmen des Zumutbaren vom Gegenüber nunmehr in Anspruch genommen wurde, und wir bis zu diesem Moment selbstredend davon absehen, unsereins Vergeltung zu üben. Die Ausmalung dessen, was käme, sollte dieser Langmut und das vorzügliche Zuvorkommen, dieses humanistische Privileg des Schlucken unsererseits erneut auf die Probe gestellt werden, überlassen wir dem anderen. “Oan hosd frei“ bedeutet, etwas zu sagen, indem wir es nicht sagen. Wir sind nicht unfein wie der andere, wir drücken unser Missbehagen durch Betonung unserer friedliebenden Tugendhaftigkeit und Zurückhaltung positiv aus.

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Jetzt werden manche natürlich sagen, dass das Betragen der Bayern seit jeher im Bund der Republik und schon davor als “Odnungszelle Bayern“ in der Weimarer Republik auf gar keinen Fall den Anschein macht, als habe man einen frei, und das innere, erkennbare Kochen des Ministerpräsidenten darauf hinweise, wie gern er der Kanzlerin den Teppich unter den Füssen wegzöge, und manch anderer, auf Bayerisch gesagt, gern ein Haberfeldtreiben veranstalten würde. Ich möchte das an dieser Stelle auch gar nicht bestreiten – so etwas kommt schon einmal vor. Die Sache ist nur: Tatsächlich hatte Preussen schon mal einen frei. Es gab einen Tag, fast genau 150 Jahre ist das her, da haben die Preussen und ihre Verbündeten das Recht in Anspruch genommen, bei uns einen frei zu haben. Das war während des sogenannten Deutschen Krieges, der weitgehend vergessen ist, und allein auf die Schlacht bei Königgrätz reduziert wird.

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Dabei passierte damals noch mehr. Bayern gelang es mit einem geschickten Seitenwechsel 1813, auf die Siegerseite der napoleonischen Kriege zu gelangen, und wurde beim Wiener Kongress mit der Erhebung zum Königreich und mit neuen Untertanen in Franken belohnt. In der Folge brachten die Könige all das schöne, frische Geld ihrer Untertanen lieber mit Luxusbauten, Schönheitengalerien, Museumsankäufen, Frau Lola Montez, Freibier und Revolutionen in Griechenland durch, statt sich nochmal dem Militär hinzugeben, von dem man nach all den Schlächtereien wirklich genug hatte. Man baute in meiner dummen, kleinen Heimatstadt eine immens teure und nur für unser Familienvermögen nicht sinnlose Defensivstellung, und kümmerte sich kaum um Themen wie Kanonen oder Gewehre. Das rächte sich 1866, als die Preussen mit dem Mainfeldzug begannen und Bayern überfielen.

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Sie kamen dabei ziemlich weit – von Hessen bis in den Raum zwischen Nürnberg und Bayreuth. Man kann sogar sagen, dass Bayern fast ohne Gegenwehr davon gelaufen ist, wenn man den einen, den man frei hat, strapazieren will. Das Kommando der preussischen Truppen war am 31. Juli 1866 in Gräfenberg, woher die Bilder stammen, und hätte, wenn der Feldzug eine Woche länger gedauert hätte, vermutlich ein Drittel des bayerischen Territoriums von Aschaffenburg bis Hof erobert. Das war keine Ruhmesstunde für das Königreich Bayern, dessen Armeen nichts vermochten, und bei uns in der Schule war es so, dass wir zwar formal gelernt haben, wie Bismarck das Deutsche Reich einigte, informell aber sehr genau und jenseits des Lehrplanes erfuhren, mit welchen Methoden, welchen hinterfotzigen, das gelungen ist. Bayern fügte sich damals ins Unvermeidliche, sparte das Blut seiner Söhne, und handelte hier in Gräfenberg in einem Haus, auf dem das alles verzeichnet steht, einen Waffenstillstand aus. Während ganz Frankfurt versklavt und Teil des preussischen Reiches wurde, hat Bayern nur einen paar Grenzregionen im Norden verloren, die die Preussen als Verbindung zu ihren neuen Sklaven im Westen brauchten. 30 Millionen Goldmark mussten die Bayern zahlen, 30 Millionen auch die Frankfurter Bürger: Davon hat man sich am Main bis heute nicht erholt, wo man im Übrigen von Wiesbaden beherrscht wird.

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Bayern kam gedemütigt und mit einem blauen Auge davon. Die Idee, einen Südstaatenbund als Gegengewicht zu Preussen zu gründen, wurde damals verworfen. Aber den bayerisch-preussischen Gegensatz hat es davor nicht gegeben. Man lebte im 18. Jahrhundert gut mit den Hohenzollern in Ansbach und Bayreuth zusammen, man fürchtete die Österreicher eigentlich mehr als Preussen, die als Ketzer sowieso in der Hölle landen würden. Hier, im schönen Gräfenberg, wo alles noch wie früher aussieht und runde Franken unter Linden Bier trinken, das sie selbst brauen, hatten dann die Preussen nach ihrem Überfall den einen frei, den man hier frei hat. Hier haben wir sie kennen gelernt. Hier hätten die Preussen einen noch weiter frei gehabt und Bayern tatsächlich erobern, zerschlagen und frankfurtisieren können. Manchmal gewährt das Schicksal auch dem Abscheulichsten eine grosse Stunde, und er müsste nur zugreifen – offenbar hatten die Preussen hier jedoch genug. Und zogen dann wieder ab.

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Preussen und seine Nachfolgestaaten haben sich übrigens für den Eroberungskrieg nie entschuldigt. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Deutschland insgesamt sich sehr wohl für preussische dominierte Kolonialmassaker entschuldigt, die weit über 100 Jahre her sind – die Bierrechnungen von Gräfenberg sind immer noch offen. Es mag sein, dass die Frankfurter ihren Frieden mit der Zeit der Okkupation geschlossen haben, aber in Bayern lebt man mit dem Gefühl, dass die da oben schon einen frei hatten und alles andere, jede weitere “Wir schaffen das“-Wortmeldung, jede weitere fehlende Grenzsicherung, jede weitere Zwangszuweisung von Leuten, die man eigentlich nicht will, zu viel ist.

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Deshalb leben wir hier auch in der Überzeugung, von allen Völkern auf dem Erdenrund das friedlichste zu sein. Wir haben den 1866er Krieg nicht angefangen, der über uns gebracht wurde, wir haben in Gräfenberg einen Waffenstillstand unterschrieben und unter Zwang eine preussische Dominanz ertragen, in deren Folge Europa zweimal Ausgangspunkt von Weltkriegen wurde. Es ist müssig zu debattieren, was passiert wäre, wenn es anders gekommen wäre und man den vorrückenden Preussen Noroviren ins Bier gemi, aber zu Gräfenberg haben sie den, den sie frei hatten, für den Rest ihrer unmenschlichen Geschichte aufgebraucht.

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Oan hod frei, nochad bin i dro. Heisst der Spruch, wenn er ganz ausgesprochen wird. Seit dem 1. August 1866 fühlt sich Bayern bundespolitisch dran. Und sollte Deutschland dereinst in seine Völker und Landsmannschaften zerfallen: Der Grundstein dafür wurde bei uns in Gräfenberg gelegt, und wenn Berlin bald wieder eine geandreasscheuert wird, dann sind unsere Oberen der festen Überzeugung, dass es sich ledigich um einen Akt der Selbstbehauptung handelt, die auch dem höflichsten, friedliebensten menschenfreundlichsten und angenehmsten Volk erlaubt sein muss, als dessen vorzüglicher Sohn ich mit diesem hochkritisch-historischen Beitrag hoffentlich zur Völkerverständigung beigetragen habe.

Sie können das gern kritisieren, denn einen haben Sie bei mir auch frei.