Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die gescheiterte kulinarische Umerziehung der besseren Kreise

Saufen wollen sie alle, aber sterben will keiner
Spruch in der fränkischen Gaststube “Weinfass“ in Bamberg

Ich koche gern. Ich gehe auch gern essen. Engländer reden aus Gewohnheit über das Wetter, und Bayern über Mahlzeiten. Ich kaufe fast nur auf dem Wochenmarkt ein und habe, wenn Gäste kommen, sieben oder mehr Käsesorten im Kühlschrank. Jede dritte Frage lautet “Darf ich Dir noch etwas anbieten“? Pralinen gibt es zwei Grössen: Halbe und ganze Pfunde. Manchmal könnte man glauben, ich sei ein Gargantua, aber das sieht nur so aus. In Wirklichkeit bin ich ein Kostverächter. Ich weiss nicht, was wirklich gut ist. Leute wie ich sind es, die der Sternegastronomie in Deutschland den Garaus machen. Wir könnten, wenn wir wollten, auch noch ganz anders. Für unsereins wurden Tempel geschaffen, in denen Restaurantkritiker oft vergebens laut vorbeten. Manche folgen diesen Rufen. Aber die meisten tun es nicht.

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Die Legenda Aurea der gehobenen Gastronomie geht so: Seit der Einführung des Guide Michelin wurden hierzulande 50 Jahre Aufbauarbeit geleistet. 50 Jahre wurde versucht, unsereins die Zivilisation zu bringen, die breiten Hintern der besseren Kreise auf geschmacklich internationales Niveau zu hieven. Küchenchefs, Hotelmanager und Kritiker haben alles gegeben, um den Dämon der gutbürgerlichen Küche mit den fetten Sossen und über den Tellerrand hängenden Wiener Schnitzeln auszutreiben. Dem Deutschen wurde ein Tor aufgestossen, er müsste auf Getreideschaum und marinierten Seezungen nur in das bessere Dasein hinein rutschen. Und dann, nachdem die Infrastruktur geschaffen wurde, ist es den Proleten egal, und sie sitzen den ganzen Sommer lieber im Biergarten. 50 Jahre vortrefflichstes Bemühen – einfach so ignoriert. Was für ein Verbrechen an Schaum und Marinade.

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Nun bin ich als vegetarisch lebender Alkoholverweigerer wirklich nicht geeignet, eine Weinkarte zu konsultieren und ordinäre Kuh von Kobe-Rind zu scheiden. Mit Besteck und Damasttischdecke wüsste ich umzugehen, aber bei Kaviar hebt es mich. Ich habe eine gute Erziehung genossen und verstehe mich darauf, richtig mit aufrechtem Oberkörper zu sitzen. Es ist mir keine Freude, Nahrungsaufnahme im Maultiefflug über dem Teller zu betrachten, aber was soll ich sagen: Es gibt am Tegernsee ein gefeiertes Restaurant, das traditionelle Küche verfeinert und kleine Portionen auf grossen Tellern geschickt anordnet. Auch dort habe ich mich gefragt, ob mir das Betragen der Gäste, den Nummernschilder der abgestellten Autos zufolge Münchner, nicht noch weniger als die Kreationen des Küchenchefs gefällt. Wie sie schon die Gabel halten, ach.

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50 Jahre klingt nach einer langen Zeit, aber gemessen an den Traditionen der alten Familien ist die Epoche der Luxusrestaurants – und des Kults, der darum gemacht wurde – nur eine kurze Phase mit vielen Moden. Der Biergarten, in dem ich meistens anzutreffen bin, existiert seit 1905, und seitdem gehen wir da hin. Er erfüllt alle Bedürfnisse, die man für zwei Mittagsstunden oder einen langen Abend haben kann, Wenn dort Ruhetag ist, gibt es auf dem Weg dorthin noch zwei andere Biergärten, ebenfalls mit einer Tradition bis in die Anfangszeiten des letzten Jahrhunderts. So war das eben früher: Die besseren Kreise trafen sich im Winter an reservierten Tischen in Brauereigaststätten, die es heute meist nicht mehr gibt, und Biergärten, die sich gehalten haben. Das ist, zusammen mit der inzwischen fast schon zum Schmähbegriff gewordenen gutbürgerlichen Küche, die echte Tradition. Die hochgelobte Sterneküche ist dagegen eine Parallelwelt, zu der man nicht mit dem Rad fahren könnte.

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Der Weg dorthin wäre auch nie so schön. Einer der Gründe, warum bei uns kaum jemand nach München fährt, um danach seinem Entzücken über bekannte Namen der Spitzengastronomie Ausdruck zu verleihen, ist die wenig erbauliche Anreise. Zum Biergarten fahre ich durch eine sehenswerte Altstadt und durchs Grüne. Kein Stau, keine Suche nach einem Parkplatz: Wenn man sich an solche Wege gewöhnt hat, müsste schon etwas Besonderes den Mehraufwand rechtfertigen.

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Für manche mag das Algenkrokant und Taubenbrust sein. Der eine mag rohes Kalbsherzbries, der andere die raue Herzlichkeit von Bedienungen im Dirndl. Weit ist der Weg vom einem zum anderen. Und mit japanischen Zutaten und dem dazu nötigen Wortschatz kratzt man sich bei uns am Schädel und fragt sich, warum man sich das alles antun sollte.

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Denn der Sommer war prächtig, der Himmel war blau, und man hat sich gut unterhalten, auch ohne verschiedene Pfeffersorten und Wassersommelier, der einem in Monte Carlo dann etwas ganz Besonderes anbietet: Wasser, aber aus dem Altmühltal in Bayern, also da von wo man herkommt. Wie die Spitzenköche ihre Krisen überwinden können, weiss ich auch nicht, vielleicht gibt es einfach kein Mittel, weil es jeder schon einmal versucht hat und wenige, zu wenige, dabei blieben. Es erscheint mir weder einladend noch gastlich, und sollte die Deutsche Bank wirklich Schieflage bekommen, setzt bei den entsprechenden Kreisen ohnehin wieder die Sparsamkeit ein. Biergarten geht immer, vorerst sogar für fast 10.000 bald entlassene Commerzbanker. Für gutbürgerliche Küche wird es reichen. Vielleicht ist alles, was darüber hinaus geht, so fragil und riskant wie ein toxisches Investmenvehikel, das nicht mehr in die veränderte Welt passt. Ich höre von Brautpaaren, die mit genau 120 Euro pro Person und Mahlzeit bei der Hochzeit rechnen: Allein schon das kleinliche Rechnen widerspricht dem Luxus, der an solchen Orten kultiviert werden soll.

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Grosszügigkeit geht anders und lautet herzlich “passd scho“. Vielleicht fehlt den Deutschen da auch etwas das Selbstbewusstsein der Franzosen und Italiener, die ihre Landpartien am Wochenende ganz selbstverständlich als kulinarisches Kulturgut hochhalten, und sich keinerlei Defizite ob deftiger Nahrung einreden lassen. Am Tegernsee gab es den Versuch, einen Biergarten de Luxe anzubieten, was dem Vernehmen nach eher weniger gut angekommen ist: Wenn schon bei den Vermögenden nicht die Bereitschaft da ist, sich den Anforderungen der gehobenen Küche anzupassen, und sie lieber unten am See Pommes im Strandbad essen, sollte man vielleicht überlegen, ob man nicht aus der Unart eine Tugend machen will, wie etwa neue Bescheidenheit und Egalitarismus. Das hilft vielleicht auch gegen Erbschaftsdebatten, in denen nur zu gern das unzutreffende Bild der reichen Prasser gezeichnet wird, während der Mittelstand laut Berichten der Prantlhausener Zeitung fast schon gezwungen ist, Container zu durchwühlen. Das wollen wir doch alle nicht.

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Opfer müssen für den neuen Sozialismus gebracht werden, und ich glaube, ein paar teure Restaurants weniger tun uns als Klasse im Verteidigungskampf gegen die da unten, insgesamt gesehen, nicht sonderlich weh. Man kann, ich habe es diesen Sommer oft ausprobiert, darauf verzichten, und bekommt für das Essen, wenn man es geschickt ablichtet, mindestens so viele Ahs und Ohs wie Hefe-Champagner-Velouté, was immer das auch sein mag. Auch vom Unterklassenfeind! Wer Käsespätzle isst, muss vielleicht gar nicht in den neuen Gulag. Und der Umstand, dass die S-Klasse in der Garage bleibt, ist sicher auch deeskalierend, wenn demnächst wieder die altbekannte Frage auftaucht, wer in diesem unserem Staate den Wert unserer Anlagen zu retten hat. So ein vereinigender Moment kann der gesamtgesellschaftlichen Verständigung helfen.

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Es wird Herbst, und Zeit, das Silber für den Winter zu putzen, wenn wir daheim bleiben und wieder mehr selbst kochen, und dann den Armen erklären, dass es ihnen besser ginge, würden sie auch, wie unsereins, öfters am Herd statt beim Fast Food zu stehen. Man sieht also: Soziale Trennung nach der sommerlichen Vereinigung muss nicht teuer sein, es geht auch nach Hausmacher Art, und niemand, der einem nicht auf französische Art etwas einreden wollte, was man eigentlich gar nicht will und braucht, kommt dabei zu Schaden.

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