Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Kunstgeschichtlerinnen bevorzugt

Certus amor morum est; formam populabitur aetas.

Wer Bilder seiner Wohnung voll mit technischem Gerät veröffentlicht, muss mit Einbrechern rechnen. Wer Bilder seines Stadtpalastes mit Antiquitäten zeigt, bekommt es dagegen mit dummen Sprüchen zu tun. Kitsch as Kitsch can, höhnte einer aus dem Netz, als bei mir ein venezianischer Prunkspiegel – natürlich rein zufällig! – mit auf ein Photo geriet. Passende Antworten wären: “Von wegen! Das ist nur einer, die anderen drei kann ich Ihnen auch noch zeigen!” Oder “Als Ihre unehelichen Vorväter noch die Schweine meiner Vorväter hüteten, war das der Ausdruck des ultimativen Luxus. Man hatte damals noch keine S-Klasse, also kaufte man sich eben Spiegel, um sich zu bewundern.” Oder auch ”Mein guter Mann, wenn Sie etwas kunsthistorisch bewandert wären, dann wüssten Sie, dass der teuerste Gegenstand im Nachlass von Kardinal Richelieu keines seiner Meisterwerke von Giorgione oder Michelangelo war – sondern ein venezianischer Spiegel.”

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Es stimmt also nicht, wenn behauptet wird, Kunstgeschichte sei ein weltfremdes Fach – man hat immer etwas zu erzählen, und stets eine taktische Zweitschlagswaffe mit Overkillpotenzial bei der Hand, denn die meisten Menschen sind nun mal sagenhaft dumm und ungebil. Sicher, man muss sich schon etwas Mühe geben, im alltäglichen Umgang andere nicht gar als ungebildet dastehen zu lassen und arrogant zu wirken, aber manchmal muss in unseren allzu friedfertigen Zeiten eine geistig-elitäre Spitze einfach sein. Der zu bekämpfende Begriff “Kitsch” jedenfalls ist das Lieblingswort all derer, die mit echtem Prunk und menschenverachtendem Luxus nicht umgehen können. Denn was sind schon ein paar Pelzraubtiere für einen Mantel, der heute als moralischer Abgrund gilt, gegen den Opiumhandel, mit dem die Briten die Chinesen vergifteten, um an ihr Silber zu gelangen, in dem ich, zu Kannen umgeformt, meinen Tee bereite? Und wie schnell die Spiegelmacher starben, die mit Quecksilber arbeiteten – das ist kein Kitsch. Das war lungenblutiger Ernst. Am alten Luxus hängt noch echtes Blut, so wie heute nur noch an Massenprodukten der Mode und Elektronik.

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Das ist echtes Herrschaftswissen echter Herrschaften, und kultiviert wurde das in München im ehemaligen Verwaltungsgebäude der NSDAP am Königsplatz, worin ich lange Jahre meines Studentenlebens zubrachte. Heute steht dort immer noch die Abgusssammlung der archäologischen Sammlung, und man muss schon zugeben, dass der Ort gut gewählt ist. Kennt man den richtigen Weg, den ich hier nicht verraten will, kommt man auch in die Cafeteria des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. In meiner Jugend war es hier meistens voll, und schöner liess sich kaum ein Tag vertrödeln: In gewisser Weise war man an der Uni. Ein Blick auf die Peploskoren, und man konnte ich im Bestimmen der Datierung üben. Die Salate waren vorzüglich, die Atmosphäre war entspannt, und die meisten Menschen auf die ein oder andere Art vergeistigt und schön.

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Und die meisten kamen auch aus jenen Kreisen, die Bafög nur vom Hörensagen kannten, und 8 Semester Regelstudienzeit überhaupt nicht. Wer hier war, hatte zwar seine Heimatstadt verlassen, aber nur selten seine Schicht. Wer hier war, redete nicht über die Mietpreise Münchner Wohnungen. Wozu. Papa hatte doch gekauft. Wer hier war, wusste ganz genau, dass es zwei Möglichkeiten gibt, etwas mit dem Studium anzufangen: Entweder man war wirklich gut und wurde Wissenschaftler, oder man war wie die meisten und rechnete damit, dass irgendwann schon die FAZ in Form des Herausgebers einen anschreiben würde und sagen: Hier, eine Kolumne, schreib was du willst, überrasche uns und wir nehmen es… und so ist es ja dann auch gekommen.

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Obwohl ich tatsächlich drei Studienkolleginnen hatte, die heute wirkliche Koryphäen in ihren Orchideenfächern sind, war den meisten die Aussicht auf einen Unijob egal. Sehr viele haben mit dem Studium nie etwas angefangen – sie haben einfach geheiratet und sind, ohne sich dumme Vorwürfe anhören zu müssen, weil es SPON und ZEIT Online noch nicht gab, phantastische Mütter geworden, die vielleicht ab und an Yogakurse oder künstlerische Früherziehung anbieten. Einige landeten in kreativen Berufen, einige im Kunsthandel und bei Auktionshäusern, die, man muss es zugeben, auch bei ihren Expertinnen sehr wohl auf Aussehen und Benehmen achten.

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Wir sassen da oben in der Cafateria und wussten, alles wird gut, und unsere Zeit würde schon irgendwann kommen. So ein Leben muss die Hölle für jene sein, die danach gezwungen sind, wirklich eine echte Arbeit zu ergreifen, aber wir hatten durchaus Optionen aufgrund der Herkunft: Nicht wenige von uns erklärten anderen, was sie brauchten, damit ihre Wohnungen und Villen die richtige Kunst und den angemessenen Luxus in sich vereinten. Das war so, wie man heute vielleicht den Sohn zum Webseitenschubsen an Freunde verleiht – damals konnte so eine höhere, auktionserfahrene Tochter helfen, die richtigen Bilder zu finden. So kommt die Tochter mal ins Geschäft und mal unter die Haube.

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Und ein Chefarzt-Ehemann ist auch meist nachsichtiger bei der Abrechnung, als ein frustrierter städtischer Beamter in einem Verliess unter dem Kulturreferat. Es gab schon gute Gründe, dem reinen Fach zu entflattern und sich damit die Liebe zur Kunst zu bewahren: Es gab neben dem engen Markt der Museumsstellen auch eine hohe Nachfrage nach gebildeten, in allen Lebenslagen schönen und geistreichen Frauen auf dem Markt der dauerhaften Bindung. In so einer Konstellation macht es dann auch nichts, wenn eine kleine Galerie oder Kunstberatung keinen Profit abwirft, weil darauf das ein oder andere Fahrzeug niedrig versichert buchhalterisch läuft und mit dem unerfreulichen Höchststeuersatz verrechnet werden kann (Die Galeristin hier im die Ecke etwa fährt Gemälde mit 462PS durch die Gegend). Mit diesen Methoden werden bei uns alte Häuser restauriert und Pferdekoppeln mit Alpenblick betrieben: Aber das höchste Prestige hatte immer noch die Kunst.

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Letzthin erzählte mir aber jemand, was so ein mitteljunger Arzt im Klinikum heute verdient und wie lange er dafür arbeiten muss. Da hat sich doch wohl etwas zum Schlechteren verändert. Das ist nicht ohne Belang, denn die Herzen der Kunstgeschichtlerinnen flogen schon zu meiner Zeit nie zu den Holzfällerhemdenträger der TU, sondern meist zu jenen Kreisen, die ein Faible für Hochkultur durch die eigene Familie mitbekommen haben. Aber Ärzte, Apotheker, Bankdirektoren, Anwälte, Richter, sie alle verdienen nicht mehr so gut, und Berater, das merke ich immer wieder, bevorzugen Frauen, die auch arbeiten. Das hat vermutlich etwas mit dieser obszönen Erfolgsorientierung zu tun. Gleichzeitig ist das mit den schönen, alten Dingen heute so eine Sache. Egal ob barockes Silber oder Biedermeiermöbel, Rokokoportraits oder Seidenteppiche: Was vor 20, 30 Jahren noch ein Vermögen kostete, ist heute, wenn es nicht absolute Spitzenklasse ist, nicht mehr sehr viel wert. Bei Ebay bekommen Sie goldbestickte Seidenkaseln des Rokoko zu H&M-Preisen, und dann könnten Sie jeden Tag in Ihrer Hauskapelle sehr prunkvolle, tridentinische Messen aufführen. Nicht umsonst schliessen in Schwabing all die Antiquitätengeschäfte, an deren Fenster wir lange hingen, nicht umsonst werden Auktionstermine seltener, und wessen Eltern ein Faible für religiöse Kunst hatten, der wird sich überlegen müssen, ob er genug Platz auf dem Speicher hat. Lange haben auch Italiener gekauft, was verfügbar war: Ich kenne einen Restaurator aus Parma, der nun die nicht abgeholten, weil unbezahlbaren Stücke zurück nach Deutschland verkauft.

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Es ist ganz schön still in diesem Innenhof. Früher war es laut, und um diese Zeit auch immer brechend voll. Natürlich spielt auch die verkürzte Studienzeit eine Rolle, und natürlich sind immer noch ab und zu federleichte Frauen in dezenten, fein abgestimmten Brauntönen zu sehen, mit dem ein oder anderen aufmüpfigen Farbklecks. Die Verschulung des Studiums spielt auch eine Rolle. Alles spielt eine Rolle, alles macht das Dasein etwas weniger leicht und die Zukunft ärmer an Optionen. Ich sehe Frauen in meinem Alter, die immer gearbeitet haben, mit Burnout und massiven Problemen, und ich sehe viele engagierte Absolventinnen, die am Ende des Studiums mehr Kompetenznachweise haben, als ich je haben werde. In deren Welt gibt es keine Erzählung vom Einrenken durch Einheiraten. Vermutlich wäre es ihnen peinlich, offen darüber zu reden. Wie sie auch nicht gern über die Arbeitsbedingungen in der Kreativbranche reden. Es gibt sehr viele, gut ausgebildete und zielstrebige Leute, aber sie hätten es leichter, wenn es in ihrem Alter auch mehr von unserer alten Art gäbe, mit denen sie nicht konkurrieren müssten.

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Das Ergebnis lesen Sie hier, ich mache ein innovatives Medienprojekt als doch nicht mehr ganz junger Mann. Und ganz junge Männer und Frauen wenden sich ausgezehrt und finanziell nicht eben gut behütet von kriselnden Projekten ab. Hätten noch mehr von meiner Schicht – und bitte, da gab es wirklich sehr geistreiche Frauen – Familienwünsche hinten angestellt, wäre es noch etwas enger. Wir haben das alles einfach passieren lassen und darauf vertraut, dass sich alles schon findet. Manche Wege blieben uns versperrt, aber andere haben sich geöffnet, und es war immer genug Zeit, um zwischen den Statuen staunend zu verweilen, und die Schönheit zu preisen. So war das. Die Welt der disziplinierten Nazis, die das Gebäude schufen, hatte nur 12 Jahre Bestand. Die sorglose Epoche, in der man immer hoffen konnte und keiner an der Zukunft verzweifelte, dauerte leider nicht länger als die zwei Dekaden des Übergangs von der Spätarchaik zur frühen Klassik, als die etwas steifen, lächelnden Koren in ihren langen Gewändern von dynamischen Nackten abgelöst wurden, die ihre Marmorhaut zu Markte trugen.

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In Hamburg hat eine Internet-Firma einen Haufen junger Leute unsanft vor die Tür gesetzt, darunter auch welche mit unbestreitbarer künstlerischer Begabung und Zusatzausbildung, um das in diesem Cyber umzusetzen. Viele meiner damaligen Bekannten haben einfach den schon bereit stehenden Freund geheiratet, als offensichtlich wurde, dass das ungeschützte Berufsleben ihnen nicht gefallen würde. Niemand fand das verwerflich. Das Leben war gut zu ihnen. Es hat ihnen geholfen, und ihren Nachfolgerinnen hilft keiner. Es gibt kein Zurück in die Vergangenheit, und vielleicht bin ich auch etwas zu unfair zu den Progressiven, die meine venezianischen Prunkspiegel nicht loben, und auf den Ausweg eines bedingungslosen Grundeinkommens an jener Stelle im Leben hofften, wo früher der Arzt mit dem roten Toyota MR2 stand.