Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der V.Beck´sche Lustgarten der Berliner Aristokratie

C10H15N

Die Zeiten sind hart. Kaum, dass man mal ein Tütchen, möglicherweise gefüllt mit Luststoffen kauft und bekannt wird, dass man vor ein paar Jahrzehnten, in einen dionysischen Zeitalter, recht lockere Sichtweisen zur Strafverfolgung mittlerweile verrufenen Sexualpraktiken hatte – schon schicken die eigenen Freunde einen nach langen Jahren im Establishment in die Wüste. Und da ist die höfische Jagd auf Andersdenkende noch nicht einmal berücksichtigt. Das wird ganz unsentimental gemacht, das Eigeninteresse dominiert, und die eigene Dienerschaft muss sich einen neuen Herrn suchen.  Ob der dann gewillt ist, ihre Ausfälle gegen klassenbewusste Hofnarren Frankfurter Depeschen zu bezahlen, muss sich auch erst noch zeigen. Ja, es ist in der Demokratie schon etwas schwieriger mit den ererbten Herrschaften als früher, das muss man ganz offen sagen, und die Moral heutzutage ist auch nicht mehr das, was sie zur Zeit der Mätressen war.

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Ich war im Sommer in Bayreuth, wie eigentlich jedes Jahr, und wie jedes Jahr habe ich auch die kleinen Schlösser dort oben besichtigt. Deren Erbauer waren jetzt auch nicht zwingend besser oder moralischer als die negative soziale Auswahl durch den Volkswillen, die man uns heutigentags als Demokratie zu offerieren beliebt, wo wir grosso modo entscheiden können, ob wir nun den dicken Mann oder die Frau mit dem seltsamen Dialekt an dier Spitze sehen wollen, gesalbt von einem Präsidenten, den die beiden intern abgesprochen haben. Also, wie auch immer, die Erbauer der Eremitage hatten einiges an Zeit und Geld aufgewandt, um sich dort oben in den fränkischen Hügeln ein doch recht luxuriöses und der Zerstreuumg geweihtes Refugium zu schaffen.

Da gab es neben der Einsiedelei und dem Eremiten natürlich auch Spiele. Beispielsweise müssten sich Gäste als Schäferinnen und Mönche verkleiden, sie wurden nassgespritzt und führten dann jene Reigen der Lüste auf, die man heute allenfalls – und hier auch nur in weniger raffinierter Form – aus FKK-Clubs kennen kann. Aber so war das damals eben. Die Oberschicht fühlte sich nicht sonderlich an die Moral gebunden, und der Verkauf Minderjähriger zum Zwecke von Ehen, wie wir es heute dem Islam vorwerfen, galt damals als Ideal des christlich-gehobenen Abendlandes.

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Wir müssten bei genauerer Betrachtung, wollten wir uns am grün-alternativen Zeitgeist orientieren, den Bauherren auch nachsagen, dass sie nun nicht gerade an einem sozialen Ausgleich interessiert waren. Wirklich nicht. So eine Orangerie diente der Beschaffung der Orangen und Zitronen für die fürstliche Tafel, während das gemeine Volk seinen Getreidebrei zu löffeln hatte. Hier oben schwelgte man in Träumen einer Idealgesellschaft, die angeblich in China sein sollte, ein paar Hügel weiter wüteten Scharlach, Pocken und Cholera. Aufklärung wurde gelobt und gelehrt und in jenen Kreisen gehalten, in denen sie keinen sozialen Schaden anrichtete: Bei der Sexualität war die Libertinage förderlich, aber das hieß noch lange nicht, dass deshalb andere, niedrig Gestellte die gleichen Forderungen vorbringen durften.

Das alles weiss eigentlich jeder, aber wenn die Springbrunnen Wasser in die Luft werfen, sagen alle alten Damen unter den Sonnenschirmen Ah und Oh und nehmen noch ein Stück Torte, und die Geschichte nicht so ernst. Man ahnt nicht nur, man weiss sehr genau, dass das Laster der Reichen nur denkbar ist, wenn andere desgleichen entbehren müssen. Es ist so wie heute, manche vermögende Rentner sitzen hier den ganzen Tag und andere, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben, müssen für den Mindestlohn nur so mittelschöne Dinge tun, und auf jeden Reporter, der hier lustvoll auf den Auslöser drückt, kommen zehn, die bei ihren Redaktionen erst fragen müssten, ob sie denn ein paar Sätze über einen Park niederschreiben dürften. Wir alle wissen, dass es so ist, aber es ist hier viel zu hübsch, um sich solch hässliche Gedanken zu machen.

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Wirklich, ausnehmend hübsch. Es fällt einem hier wirklich schwer, das richtige klassenkämpferische Bewusstsein an den Tag zu legen. Niemand hat allhier dazu Lust, jeder ist zufrieden, die Sonne scheint, das Gold funkelt und in den Teichen schwimmen fette Karpfen im schlammigen Grund. Es wäre in der Gesellschaftstheorie zufolge der ideale Ort, um die Ungleichheit einst und jetzt zu beklagen, denn auch, wenn der Park für jeden offen ist, so wird er doch nur für die Kenner unterhalten. Das leistet sich der Staat für jene, die die Zeit hier oben verfügbar haben. Das ist nicht wirklich gerecht, und dennoch wird einen, kehrt man zurück ins Tal, niemand einen Vorwurf machen, wenn man berichtet, man habe sich eben einen Tag Zeit genommen, die Gartenbaukunst der Wilhelmine zu begutachten.

Es gibt, das muss man als Faktum festhalten, Laster wie das Fressen von Crystal Meth. Das kommt schlecht an. Und es gibt Laster wie 200 Meter lange Wasserbecken, auf denen Gondeln verkehren können. Die sind teurer und schaden nicht nur dem Erbauer, sondern gleich den gesamten Staatsfinanzen bis auf den heutigen Tag. Sie sind aber gesellschaftlich akzeptiert.

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Es ließe sich trefflich darüber streiten, warum das eine Laster Strafbefehle nach sich zieht und das andere eine Erhebung zu einem Weltkulturerbe, aber man hat sich nun einmal darauf geeinigt, dass die offene Verschwendung in Luxus als bewundernswert zu gelten hat. Ganz fair ist das nicht, das gebe ich zu, aber es gibt nun mal eine Gesellschaftsschicht, die das Alte schätzt und moralisch flexibel genug ist, um die mit der Kultur verbundenen Exzesse zu tolerieren. Die Grünen haben, wie andere bürgerliche und sozial zwischen altersarmen Flaschensammlern und minderjährigen Migranten ausgleichende Parteien, natürlich wenig für so eine alte Verschwendung übrig, aber auch nichts, gar nichts für das, was an modernen Exzessen denkbar ist. Man bedenke, dass jüngst auch Vertreter von CSU und SPD über Leidenschaften stolperten, sei es durch Aushalten oder Ablichten, die früher in gehobenen Kreisen… also wirklich… da redet man doch gar nicht drüber, und photographiert nicht heimlich, sondern bestellte in den guten Zeiten den Hofmaler.

Man muss wohl, auch mit Blick auf unseren Zensurminister und seine Beziehungsgeschichte, zum Schluss kommen, dass wir uns im bürgerlichen Rahmen irgendwie mit Trennungen und Folgeehen irgendwie arrangiert haben, und das dem Führungspersonal nicht krumm nehmen. Eine Patchworkfamilie, ein Veggieday, ein Elektro-SUV und eine Privatschule, das alles ist gesellschaftlich akzeptiert, und niemand dreht einem daraus einen Strick. Aber Hochachtung mag daraus ebenso nicht erwachsen, und daher frage ich mich, also wirklich, ernsthaft, warum die gewählten Fürsten unseres Saeculums sich nicht zusammentun und ihre Bezüge dafür verschwenden, eine üppige Grünanlage zu gestalten, um auch ihr Ansehen zu verbessern.

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Natürlich kommt so ein einzelner Abgeordneter allein nicht weit, aber wir haben so viele von denen wie früher nur Duodezfürsten, und so viele leisten sich Missgriffe, hier ein Füller, da ein Fahrdienst, dann noch eine Droge, ein ungeklärter Umschlag, und ab und zu eine offene Grenze: Sie könnten doch zusammenlegen. Und über zehn Legislaturperioden, zusammen mit den Gönnern der Wirtschaft, die sie ansonsten mieten würden, einen hübschen Park anlegen. Mit einem Lustschloss, in dem Immunität für diskrete Gespräche herrscht, Springbrunnen mit Sturzbächen speienden Tritonen, als würden sie Reden im Parlament halten, dichten Wäldchen, in denen kein Drogenversteck leicht zu finden ist, glasklaren Bächen und Hecken, zurechtgestutzt wie die Meinungsfreiheit im Internet. Dazu ein paar lauschige Bänke, auf denen man sich diskret mit willigen Zofen der Tagespresse unterhalten und verlustieren kann. Im ersten Moment mag es gewöhnungsbedürftig sein, aber ich bin mir sicher, nach 100 Jahren blickt man dann milde auf das Treiben, sofern die Anlage nur geschmackvoll und phantasiereich genug ist.

Und spricht nicht mehr allzu schlecht von den Zeiten und ihren fragwürdigen Einstellungen, denen dieser Park seine Entstehung verdankt. Schulklassen werden kommen und eine kinderfreundliche Version der Ereignisse zu hören bekommen, und alte Greise werden sich an jene Tage erinnern, als hier noch der ein oder andere Restsoziwähler im Schatten saß, und aus seiner Schnabeltasse zu sich nahm, was Hartz der IV. ihm gelassen hat. Ja, das waren noch Zeiten, wird man sich dann sagen, und so ein etwas unwürdiges Ende einer Bundestagskarriere wegen der ein oder anderen dummen Geschichte – mei. Wer sagt uns denn, ob in hundert Jahren die ein oder andere harte Droge dann nicht längst benutzt wird, um Biographien passgenau zum sozialen Restvermögen der Gesellschaft zu begrenzen. Vita brevis, Ars longa, sagt der Lateiner.

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Doch, so eine Bundestagseremitage, die könnte schon ganz nett werden, und außerdem all den Berliner Künstlern zu Lohn und Brot verhelfen. Schon früher baute man Triumphbögen und Kulissen aus Pappmache, so dass sie sich nicht erhalten haben und den heutigen Eindruck nicht stören – so könnte man das auch heute wieder machen, und mit BER, S21 und der Elbphilharmonie gibt es auch heute noch genug Baumeister, die genau wissen, wie man eine idyllische Ruine in die Landschaft setzt. Also, frisch ans Werk, und in hundert Jahren redet niemand mehr über die Klagen der Untertanen, die sich heute anschicken, den Palastspitzeln und Hofschranzen mit dreister Kritik zur arbeitsreichen Last zu fallen. Das sei ungehört und vergessen, wenn dereinst die blühenden Landschaften von der Grösse vergangener Zeiten künden, statt vom Elend, dass da ein moralischer Tartuffe mit Pulver ernsthaft, ganz ohne Lustspiel von der Bühne geschickt wird… wirklich, das muss nicht sein.