Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die klassenkämpferisch benutzbare Betsy DeVos

Si vis pacem, cole iustitiam.

Betsy DeVos hat alles, um zu einer festen Grösse in den deutschen Medien zu werden: Eine Herkunft aus dem ultrareligiösen Milieu des amerikanischen Mittelwestens. Einen Vater, der mit einer Zulieferfirma für amerikanische Spritfresser Milliardär wurde. Ein Leben in Reichtum und in einem Clan, in dem es in ihrer Generation weder auf Leistung noch auf schulische Erfolge ankam, und der die Republikaner förderte. Sie hat einen extravaganten Kleidungsstil, der für hohe Erkennbarkeit sorgt. Und einen Pakt mit dem Teufel Donald Trump persönlich, für den sie das Erziehungsministerium leitet. Außerdem machte sie beim Grillen vor Parlamentariern eine schlechte Figur und bekam sogar Gegenstimmen von Republikanern. Sie vertritt kreationistische Ansichten und will mehr sogenannte Charter Schools einführen, die gewinnorientiert arbeiten. Sie können auch von christlichen Fundamentalisten betrieben werden, die dafür Geld vom Staat bekommen, was die Trennung zwischen Staat und Kirchen in den USA aufweicht.

Kurz, sie ist eine ganz schreckliche Person und auch keine Feministin. Tränke sie Jungfrauenblut aus Robbenschädeln, könnte ihr Ansehen bei deutschen Medien kaum schlechter sein. Und über den Umstand, dass Deutschlands liebster Präsident Obama ebenfalls Charter Schools förderte, muss man nicht gross reden. Übrigens war auch der Vorgänger von Devos, John King, klarer Verteidiger der Charter Schools. Und auch dessen demokratischer Vorgänger Arne Duncan leitete kurz vor seinem Rücktritt noch einen dreistelligen Millionenetat in das umstrittene Projekt, obwohl sein eigenes Ministerium eine Studie über die miserable Qualität dieser Schulform vorliegen hatte. Es geht in der deutschen Berichterstattung etwas unter, aber das Thema ist nicht nur republikanisch, weil es eine Privatisierung einer staatlichen Leistung verspricht. Es ist auch teilweise demokratisch, weil in strukturschwachen Regionen die Bundesstaaten beim Unterhalt der Schulen versagen, und dort die in den USA nicht immer geliebte und politisch einflussreiche Lehrergewerkschaft sitzt, während Charter Schools ihre Mitarbeiter auf dem freien Markt einkaufen, und nicht zwingend die schlechtere Alternative sind. Eigentlich waren Charter Schools zuerst eine Idee liberaler Strömungen, und die meisten gibt es im liberalen Kalifornien. Aber diese komplizierten Debatten und Details würden nur stören.

Speziell in meinen Kreisen, vielleicht weniger in Bayern, aber in Berlin und anderen Entsprechungen des amerikanischen Rust Belts, wo es wirklich in den Schulen brennt und nicht nur, wie bei der früheren Klosterschule gegenüber, wenn jemand ein paar Buden im Schulhof anzündet. Bei uns kann man Schüler noch guten Gewissens in normale, staatliche Gymnasien schicken, von denen es derer zwei wirklich gute Einrichtungen gibt: Das humanistische Gymnasium im Norden der Altstadt und die ehemalige Oberrealschule im Süden der Altstadt. Zwischen diesen beiden Eliteschulen liegt abgrundtiefer Hass, und die besseren Familien lassen sich im Mannesstamm über Generationen an den Schulen festmachen. Vor dem Krieg galten die Humanisten mehr, aber mit dem Aufstieg der Industriestadt begannen die Oberrealschüler, die Stadt und die Wirtschaft zu übernehmen, und heute wird sogar die FAZ von meiner Schule beliefert, so haben wir das Reuchlin in die Bedeutungslosigkeit getrieben. Dazwischen sind die beiden früheren Mädchen- und Höhere-Töchter-Schulen, die inzwischen für alle offen sind, die es bei der Elite nicht schaffen. In Bayern wird noch richtig gesiebt, da kommen schon die Richtigen am richtigen Ort zusammen.

Im Bild etwa vor meinem Haus gegenüber der Klosterschule eine Mutter, die weiter vorne nicht rückwärts einparken kann und deshalb lieber meine Feuerwehrzufahrt zuparkt: Genau so kennen wir die Höhere-Töchter-Schule, die können das alle, auch in meinem Clan. definitiv nicht. Aber wie auch immer, es fand bei uns jeder sein Platzerl und bei den Mädchen wurde nachgeholfen, indem sie vor dem Abitur erfuhren, aus welchem Leistungskurshalbjahr die schriftliche Prüfung genommen wurde. Der C., der inzwischen einen Formel-1-Rennstall leitet, fragte bei uns, ob wir das auch erfahren werden, weshalb es Verwicklungen zwischen den Schulen gab, über die man heute noch spricht – aber wenn eine Apothekertochter die Apotheke übernehmen wollte, bekam sie auch das Abitur. So wollte es das Gesetz. Und wenn es das Gesetz nicht wollte, musste man entweder besonders dumm sein oder etwas ausgefressen haben, denn die heute gängige Fehleinschätzung, einfach nur schlecht erzogene, depperte Bratzen litten hochbegabt an ADHS, gab es bei uns nicht. Nur die wirklich Dummen und diejenigen, die mehr als nur Vaters S-Klasse ohne Führerschein zu Schrott gefahren hatten und deshalb besser eine Weile versteckt werden mussten, verschwanden. Und wurden in Privatschulen, meist kirchlicher Natur, gesteckt.

In meinem Umfeld gab es da nur zwei, einen echten Hundskrüppel – heute würde man Mobber sagen – und eine Arzttochter, die wirklich viel Betreuung brauchte und inzwischen eine gute Ärztin ist. Skandale waren das trotzdem, denn damals war man der Überzeugung, dass eine Familie das Abitur ohne Privatschule schaffen musste, komme an Mathematiklehrerbestien und Physikpsychopathen, was wolle. Wenn Kinder in Privatschulen mussten, war das ein Makel für den ganzen Clan. Das hat sich inzwischen geändert, was viel mit der demographischen Entwicklung und dem Abbau des Abiturs in Norddeutschland zu tun hat: Viele Kinder von Bekannten, die es nach Berlin verschlug, sind ganz selbstverständlich in Privatschulen, weil die öffentlichen Schulen einen unterirdisch unterbayerischen Ruf haben. Clans zahlen das Aufgeld gerne, um sich daheim nicht dumme Sprüche anhören zu müssen. Aber das sorgt natürlich in Berlin wiederum für soziale Spaltung mit jenen, die sich eine Privatschule nicht leisten können. Die einen möchten möglichst ein hohes Niveau und einen Startvorteil für ihre Kinder, die anderen – nun, die anderen sagen, dass das Kind zwar in einer öffentlichen Schule ist, aber in einer Gutenschuleausrufezeichen. Was bedeutet, dass sie um die klägliche Natur des Staatssystems wissen, um die Randerscheinungen des bunten Deutschlands und das stetig nach unten angepasste Niveau, aber dennoch überzeugt sind, ihr Kind habe da noch die bessere Ecke erwischt, neben den schlechten, die es auch noch gibt.

Ein jeder blickt gern mit einem gewissen Grusel nach unten im Gefühl, seinem Kind das Beste zu geben, aber leider gibt es in Metropolen des Nordens etwas, das wir in Bayern überhaupt gar nie nicht kennen: ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, das eigentlich eine klassenlose, bunte, integrative, inklusive und auf Förderung ausgerichtete Gesellschaft der Gleichstellung fordert,  statt sich damit abzufinden, dass kein Knecht kein Bauer nie nicht werden kann. Dieses System funktioniert natürlich angesichts der Gier jener Menschen nicht, die ganz selbstverständlich ander Leute Bundesfinanzausgleich verprassen, es gibt auch dort ein Oben mit Privatschule und ein Unten mit Stadtschule. Wichtig ist es dort, nach Oben Verachtung zu zeigen, und bislang war die Elite mit Meinungsmachern der öffentlich-rechtlichen Millionärskaste, mit Funktionären des Staates und der ganze Entourage in einer misslichen Lage: Über ihnen war nichts mehr, was sie als sozial ungerecht kritisieren konnten, wenn ihre eigenen Kinder in eine mit EU-Mitteln überfinanzierte Privateliteschule mit vorgeblich balkanintegrativem Konzept geschickt wurden, bevor es nahtlos zum Praktikum in den Sender des Vaters ging, zum Entzücken der feministischen Mutter.

Aber jetzt gibt es Donald Trump und Betsy DeVos und ganz schlimm, den Verdacht, sie könnten das öffentliche Schulgeschäft abschaffen, es komplett privatisieren, es Kreationisten überlassen und letztlich ganz ruinieren. Natürlich sind deutsche Kinder auf Privatschulen, die in den letzten Jahren einen Boom wie in Amerika aufzuweisen hatten, und vermutlich auch von der Auflösung der Willkommensklassen profitieren werden. Aber so etwas wie in den USA, können jene Eltern nun sagen, will man auf gar keinen Fall. Ja um Himmels Willen! Gut, dass Privatschulen in Deutschland so stark reguliert sind, werden sie sagen, und dass der Staat mit Argusaugen über sie wacht. Man will auf gar keinen Fall solche Zustände wie in den USA, wo das System nachgerade pervertiert wird. Das ist für doe Ärmeren ein enormes Risiko, das hätte sicher auch bei uns dramatische Folgen. Das muss, zum Wohle der Ärmeren, bei uns verhindert werden, dagegen muss man mit allen Mitteln solidarisch vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. Natürlich hat man gerade geerbt, natürlich verdient man gut – aber das heisst nicht, dass man auch nur mit einer einzigen Faser des Gehirns irgendetwas, das DeVos und Trump zu tun beabsichtigen, befürworten würde. Kurz, die Spitzen der nichtbayerischen Restgesellschaft haben endlich etwas gefunden, das auch sie selbst vehement und mit aller Kraft sozial gerecht ablehnen können, ideologisch Seit an Seit mit jenen, deren Kinder nicht von den Jesuiten gedrillt werden.

Hat man einen gemeinsamen Gegner, den man ablehnen kann, muss man auch gar nicht weiter überlegen, ob nicht vielleicht das deutsche Schulsystem, möglicherweise, in gewissen Regionen, dem verhängnisvollen Weg des amerikanischen Schulsystems folgt, dessen Probleme erst zu der Idee der Charter Schools führten. Ab und zu hörte man auch unter Obama von der Überforderung der Lehrer durch aufsässige und lernresistente Schüler, von Schulausfällen und dem Umstand, dass in armen Kommunen einfach auch die Schulen arm und schlecht ausgerüstet waren, aller staatlichen Ausgleichsbemühungen zum Trotz. Was ich immer wieder aus Berlin höre – dass Eltern selbst in Erziehungseinrichtungen einrücken, um Schäden zu beheben – hörte man früher nur ab und zu aus Amerika, und fand es bei uns… wie soll ich sagen… unser Hausmeister war früher bei der Bundeswehr, da war einfach nichts kaputt und wer etwas kaputt machte… also, wir standen zu Beginn der Stunden auch noch auf, Hände an die Hosennaht, und hatten keine Gruppen und Teams, bei uns war das noch Frontalunterricht, Noten gab es in der ersten Klasse und… also, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Bei uns war alles piccobello sauber. Immer. Aber wie auch immer, die Grünen finden CETA plötzlich gut, weil Trump das TTIP beerdigt, und elitäre Eltern des deutschen Rust Belts können nun endlich wieder gleichgestellt mitschimpfen auf die entsetzlichen Pläne, die in Amerika unter Trump bei den Schulen gefördert werden, und die hochheilige Trennung von Staat und Kirche aufweichen. Denn die Kirchen haben zu viel Macht, und sie haben selbst eine bewusst atheistische Hochzeitsfeier in Berlin gemacht.

(Die Trachtenhochzeit daheim am Tegernsee in der Barockkirche Gmund war nur für die Daheimgebliebenen, denen versichert wurde, dass die Jesuiten in Berlin kreuzkatholisch nach bayerischen Grundsätzen das Abitur herbeiführen)