Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Feudale Lösungen für kapitalistische Migrationskrisen

Manchen Menschen fehlen nur einige Laster, um vollkommen zu sein
Marquise de Sévigné

In Ausstellungen tritt die Geschichte überlegt und geordnet vor uns. In Palästen tritt sie prunkvoll auf, und in Kirchen versucht sie, den Betrachter spirituell für sich einzunehmen. Auf Flohmärkten jedoch – auf Flohmärkten ist sie manchmal grandios, immer käuflich und verhandelbar, und manchmal wirklich schäbig, weil sie unangenehme Details über unserer Vorfahren verrät. Gesucht – und gefunden – habe ich diesmal nur ein altes Schloss für eine etwas exzentrisch schliessende Tür, aber gesehen habe ich auch etwas, das man vielleicht besser nicht dort anbieten sollte, wo man sich über die Folgen der europäischen Kolonialpolitik ereifert.

Es handelt sich hier um zwei Leuchtermohren des späten 19, Jahrhunderts, und wegen einer grösseren Version derselben gab es im Internet vor ein paar Jahren schon mal einen Aufschrei, weil eine Critical-Whiteness-Autorin von einer linken Hochschulgruppe eingeladen wurde, und dann darunter lesen sollte. Die Autorin sorgte für Entrüstung, und die arme, gebeutelte, linke Hochschulgruppe wurde veranlasst, eine Selbstkritik abzuliefern, als ginge es danach gleich zu Maos Hinrichtungskommando. Solche Leuchter werden in progressiven Kreisen heute verachtet, und es ist vielleicht ein Glück, dass Linke nie in Schlösser gehen: Da sieht man beispielsweise in Würzburg solche kleinen Mohren auf dem Deckenfresco als das, was sie tatsächlich vom 15. bis zum 18. Jahrhundert waren: Dekorative und repräsentative Helfer bei der Prachtentfaltung des höfischen Luxus. Bei Nacht trugen sie Fackeln. bei Tag Schirme und Fächer für Europas Hochadel.

Wie so oft kann man hier Geschichte so und so sehen: Natürlich handelte es sich um Sklaven mit wenig persönlichen Freiheiten. Aber sie durften an der besten aller damals möglichen Welt teilnehmen, und wurden gut ernährt, und oft auch verzogen. Sie bekamen prunkvolle Kleider und waren teuer, ganz im Gegensatz zu den damals üblichen christlichen Leibeigenen, die man mitsamt Dörfern und vielen Rechten an Kartentischen verspielte und in Weinkellern versoff. Es war eine Zeit einer gnadenlosen Klassengesellschaft mit wenig Rechten unten und allen Möglichkeiten oben: Wer gut leben wollte, mühte sich ab, an jene Höfe zu kommen, an die die Mohren einfach so verkauft wurden. Zumindest jene, die sich für repräsentative Zwecke eigneten.

Man muss dabei auch den anderen Tatsachen ins Auge schauen: In die Sklaverei gerieten sie meist, weil sie bei innerafrikanischen Konflikten erobert und dann an meist arabische Zwischenhändler verkauft wurden – Europäer waren hier nur die Endabnehmer. Sklaverei war damals überall akzeptiert, Frauen aus dem Balkan wurden im Orient verkauft, christliche Seefahrer wurden in Nordafrika festgehalten, auf christlichen venezianischen Galeere ruderte einer, den seine Schulden dorthin gebracht hatten, neben einem gefangenen Türken. Und sehr viele Sklaven endeten unter erbärmlichsten Bedingungen in der Landwirtschaft, in osmanischen Heeren, als niedrigste Helfer oder im Bergbau. So gesehen klebt an meinen Silberkannen des frühen 19. Jahrhunderts sicher mehr echtes Blut von Sklaven als an Figuren, die das Bürgertum erheblich später erwarb, um einen schalen Abglanz jener feudalen Lebenswelt zu haben, in der seine Vorfahren noch die Schweine der Adligen hütete.

Denn solche Figuren wurden erst richtig populär, als die Zeiten der echten Luxusmohren längst vorbei waren, und das aufstiegswillige Bürgertum ebenfalls luxuriös mit dem damals richtigen Habitus glänzen wollte. Der heute einzig wahre linke Habitus lehnt das alles natürlich ab, obwohl die Leibeigenschaft besser als ihr Ruf war, und etwas voreilig abgeschafft wurde. Der einzig wahre Habitus unserer Epoche des luxusfeindlichen Niedergangs wagt es noch nicht einmal, abzuwägen zwischen dem Leben eines Dieners bei Hofe und dem meist deutlich schlechteren Dasein der normalen, abendländisch-christlichen Landbevölkerung, und dem sehr viel schlechteren Leben echter Sklaven. Das wurde künstlerisch nicht dargestellt, das wollte man nicht sehen, und der neue Moralist möchte auch nur zur Kenntnis nehmen, worüber er sich empören kann: Eben über die Darstellung von Menschen aus der Subsahararegion in dienenden Tätigkeiten bei Hofe. Das kann man vielleicht noch in Bayern anbieten, wie es etwa meine französischen Händler auch in Muranoglas führen, aber sicher nicht in Berlin.

Was wohl erst los wäre, würde man vorschlagen, man sollte solche – offen gesagt, durchaus schmucken – Hausdiener wieder einführen? Ich stelle diese Frage, weil justament dort, wo der Araber des Barock dem christlichen Seefahrer den schwarzafrikanischen Sklaven verkaufte, heutigentags der arabische Schlepper dem neuen christlichen Seefahrer der migrationsbefürwortenden NGOs erneut Menschen aus Afrika übergibt, die diesmal freiwillig nach Europa drängen. Und ich frage, weil ich letzte Woche in München einem anderen Einwanderer vermutlich das Leben, aber sicher seine Gesundheit gerettet habe. Glücklicherweise weiss ich als alter Rennradraser, wie unvorsichtig unsereins so fährt, und als sich auf dem Radweg ein Radler eines Essensbringdienstes auffällig umschaute, da ahnte ich schon, dass er mit seinem Styroporpaket auf die Strasse wollte. Technisch gesehen hat er mir dann die Vorfahrt genommen, und ich habe in Erwartung so eines Verhaltens eine Vollbremsung hingelegt.

Ich verurteile das nicht. In Italien herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von 40%. Die stinkfaulen deutschen Kunden bewegen nicht ihre fetten Hint deutscher Lieferdienste erwarten, dass das Essen in 30 Minuten auf dem Tisch steht. Die Verantwortlichen, die mit so einem Dienst demnächst an die Börse gehen möchten, ohne erkennbar profitabel zu sein und für ein Vielfaches des eher mauen Umsatzes, wollen eine Milliardenbewertung der Firma. Und die Restaurants wollen auch noch etwas verdienen. Zwischen dem faulen Städter, dem gierigen Investor und dem Restaurant werden die Kuriere knapp über dem Mindestlohn benutzt. Sie kommen oft aus den Ländern Südeuropas, weil der Euro und die EU und ihre eigenen Regierungen ihnen keine andere Chance lassen. Sie fahren wie die Henker, weil es anders nicht geht, und dem Twitteraccount einer bekannten Feministin entnahm ich jüngst einen Tobsuchtsanfall, weil ein Lieferdienst bei Schneefall im Winder nicht kommen konnte. Es ist ein Wunder, dass mit diesen Diensten nicht mehr passiert. Es ist ein Geschäftsmodell, bei dem die Fahrer alles verlieren können. Man muss schon ziemlich wenig Chancen im Leben haben, um auf diese Art und Weise Deutschen das Essen und die Börsengewinne zu bringen.

In meinen Augen sind die abgehetzten Gestalten auf ihren verdreckten Rädern mit den Styroporboxen das beste Beispiel für den Niedergang der europäischen Idee. Das sind unsere neuen Leibeigenen, die sich durch Nacht und Schnee kämpfen, damit frustrierte Singles sich neben der Glotze den Salat in den Mund stopfen und denken, dass 50 Cent Trinkgeld großzügig genug war, nachdem der Mann – es sind immer Männer, und niemand ruft nach einer Frauenquote – doch recht lang brauchte. So sind wir. Besonders dort, wo man keine Mohrenfiguren verkaufen kann, ohne Empörung zu ernten. Ich habe in Berlin das Radfahren aufgegeben, weil es mir zu gefährlich war, und ich bin einer, der mit 90 km/h auf Pässen bergab Autos überholt. Bei uns riskieren welche für die neue Dienerleistungsgesellschaft, für ein paar Cent Trinkgeld und minimal mehr als den Mindestlohn ihr Leben. Das sind die Vogelfreien für die Konsumenten und die Bergbausklaven für den Börsengang. Die grosse Eurokrise macht es möglich, dass Söhne anderer Länder sich das antun müssen, und von Feministinnen, die nicht kochen können, bei Twitter beschimpft werden. Das ist Neofeudalismus.

Und da verstehe ich überhaupt nicht, was daran von Übel sein soll, wenn andere in besseren Wohnlagen im Sommer Fächer schwingen oder bei Tanzvergnügen die Kerzenhalter tragen. Die Verkleidung mit Pluderhosen, Gilet und Turban mag ja in einem altmodischen Sinne kolonialrassistisch sein, aber es ist schön und angenehm gegen das, was Essensausfahrer als Bekleidung mit Werbeaufdruck gestellt bekommen – die Brandzeichen des Kapitalismus. In gewisser Weise machen wir das am Tegernsee übrigens schon, in meinem Heimatdorf arbeiten alle männlichen, anerkannten Flüchtlinge in der Gastronomie, während alle Frauen daheim sind und den Haushalt machen, und sich um die inzwischen geborenen Kinder kümmern – eine Erfolgsgeschichte, über die vermutlich niemand schreibt, weil sie von der CSU kommt und patriarchalisch ist. Es gibt auch moderne Cafes, da machen anerkannte Flüchtlinge am Tresen, neidlos muss man das als etwas verhuzelter Eingeborener anerkennen, eine wirklich gute Figur. Das ist dem Umstand geschuldet, dass wir eine Touristenregion mit der Droge Bier sind. Die Touristenregion Berlin dagegen bevorzugt illegale Drogen und toleriert die Schwarzafrikaner bei Wind und Wetter als Scheinselbstständige der Drogenmafia in den Görlitzer Park, wo es immer wieder zu Gewalttaten kommt. Wir am Tegernsee integrieren die Flüchtlinge in legale Strukturen, und deshalb erlaube ich es mir, auch noch etwas weiter zu denken: Was spricht, verglichen mit den Zuständen im Görli oder den Sozialämtern, dagegen, einen jungen Mann als – wie nennen wir das – personal Assistent of Enlightenment einzustellen.?

Ich habe übrigens diese entzückend intarsierte Pfeilerkommode aus der letzten grossen Blüte der Sklavenhaltergesellschaft – Frankreich verdiente damals noch ein Vermögen in der Karibik mit Zucker, Baumwolle, Vanille und Kakao – erworben, und auf der Heimfahrt, als sie im Kofferraum klapperte, alles schon einmal durchgerechnet. Für mich allein lohnt sich das definitiv nicht, aber in Zeiten der Share Economy könnte man sich so einen personal Assistent durchaus teilen, und mit einer App verschiedenen Mietparteien zur Verfügung stellen. Gerade wenn ich meine Beiträge schreibe, wäre es nett, jemanden zu haben, der meine Silberkannen mit frischem Tee befüllt, ab und zu kleine Köstlichkeiten bringt, und ansonsten mit seiner puren Anwesenheit das Gefühl abendländisch-allerchristlichst-feudaler Atmosphäre verbreitet, und dann zur nächsten Partei weiter zieht. Wer in Ländern Afrikas arbeitet, der nimmt ganz selbstverständlich Dienstboten an, und wenn nun Afrika zu uns kommt, meine ich, dass wir auch einmal die verbleibenden Optionen neu denken sollten. Gerade jetzt, wo sich zeigt, dass die hohen Erwartungen der Kollegen von Zeit und Prantlhausener Zeitung nicht ganz erfüllbar sind, und die Ankommenden in Italien im Frühjahr wieder über den Brenner kommen werden.

Wir brauchen Lösungen, und wir schaffen das nur, wenn wir in der Lage sind, eine angemessene Arbeit zu bieten. Und solange ich keine besseren Vorschläge höre, und die wirklich dreckigen Jobs unserer sozial bewegten Gesellschaft verdeckt von italienischen Radlern, bulgarischen Maurern und ukrainischen Putzfrauen gemacht werden, ist die, sagen wir es so – Aufwertung von unterstützender Care Arbeit auf gehoben-repräsentativem Niveau – durchaus eine Option, die nicht a priori wegen geschichtlicher Vorbehalte ganz verdammt werden sollte. Es gibt Schlimmeres, und niemand wird dabei in kriminelle Strukturen abgedrängt, was, nichtberlinerisch betrachtet, die erneute, faktische Freigabe des kleinen Drogenhandels in Berlin ist. Ich weiss, mein Vorschlag ist dekadent. Aber nicht menschenverachtend wie die Idee, die vom Strafrecht verfolgten Aspekte der Drogenpolitik einer bestimmten Gruppe von Migranten zu überlassen, solange der Staat einen legalen Verkauf nicht zulässt. Es könnte wirklich attraktiver sein, in gehobenen Haushalten zu arbeiten, statt als Touristenattraktion für internationale Kiffer, die dann von einer Welt ohne Grenzen, Klassen, Herrschaft und Nationen träumen. Denn das ist wirklich dekadent.