Wieviel die Fabel von Christus Uns und den Unsern genützt hat, ist bekannt.
Papst Leo X.
Es ist bestes Cabriowetter, ich müsste nur einsteigen, das Dach öffnen, den Motor starten, und mich einreihen in den Corso der Ferraris, alten Porsches und sonstiger Frischluftgefährte, die an diesem Tag des warmen Föhnsturms ins Oberland gekommen sind. Ich könnte den Wagen keck in Tegernsee offen stehen lassen oder zum Achensee hinüber fahren, und dann weiter nach Innsbruck. Zwengs der Gaudi, einfach so, weil es geht. Tatsächlich aber pflücke ich ein Rad von der Kellerwand, zwänge mich in Lycra, und lasse das Auto stehen. Es gibt zu viele, die heute die Luft am See verpesten, ich fahre mit dem Rad Richtung Achenpass.
Denn ich bin überzeigter Radler. Mir muss niemand sagen, dass es für mich, die Umwelt, das Klima und die Zukunft des Planeten besser ist, wenn ich das Auto stehen lasse. Auf dem Rad kommen mir die besten Gedanken, auf dem Rad sehe ich, was andere nicht erkennen, auf dem Rad und am Berg fühle ich die Last meiner irdischen Existenz und bergab die Faust Gottes, die mich schiebt. Ich nehme mir mit dem Rad nur ganz wenig Platz, obwohl es rücksichtslose Typen wie diesen BMW-Fahrer aus der Region südlich von Bonn gibt, die es nicht ertragen, wenn ich an der Ampel in Rottach schneller vom Fleck komme. Typen, die mich und sogar Autos innerorts überholen und an der nächsten Ampel mit ihrer schräg abstellten Dieselkiste absichtlich blockieren, damit ich ja nicht vor ihnen losfahre.
So zahm und mild, so ausgeglichen und entspannt bin ich auf dem Rad, dass ich gar nicht daran denke, ihm bei der Heimfahrt aufzulauern und dann mit dem Cabrio so lang hinten mit Lichthupenorgel 2cm an sein Leasingcombirektum zu brennen, auf dass er irgendwann panisch im Strassengraben landet und lernt, dass man als nur geduldeter Armutsmigrant aus dem Norden so etwas hier nicht macht. Dieser Gedanke liegt mir fern wie Kritik am Feminismus. Ich überlege auch nur ganz kurz, ob ich den anzeigen soll, weil er innerorts mich und ein Auto gleichzeitig überholt hat, einfach um ihm Probleme zu bereiten, und lasse es dann gutmütig bleiben. Das hier ist mein See, da hat er sich nicht aufzuführen wie in seinem Kölner Slumgebiet, denke ich mir einen Moment, aber hinter Rottach biege ich auf eine kleine Strasse ab, auf der ich allein bin. Mit dem Föhnsturm, der mir die kalte Luft aus den Bergen entgegen bläst.
Kein Radler ist hier mehr unterwegs, und hinter Kreuth hat der Winter die Berge noch fest im Griff. Ich peitsche das Rad die langen Kurven hoch. Auf den Bergen sind Orkanböen, hier unten ist es immer noch ein veritabler Sturm, der mir vom Achensee herunter kreischt, aber so ist das eben. Man braucht schon eine gewisse Härte, aber dann geht das, bis zum Rand des Winters und darüber hinaus zu den weiten Schneeflächen, die durch das dünne Asphaltband der Strasse zerschnitten werden. Andere sitzen unten in Wintergärten und schauen auf den schaumbekrönten See. Ich bin überzeugter Radfahrer, Ich kämpfe mich hier hoch bis zu einer Hütte, die Schafskäse und Dinkelvollkornbrot hat. Ich finde es richtig, dass man sich etwas auch gegen den Sturm, die Kälte und den Berg erarbeitet. Dass man in den Muskeln, im Nacken und im Zahnfleisch fühlt, was er bedeutet, sich um das tägliche Brot in all den Gefahren zu schinden.
Man könnte nun denken, dass einer wie ich, mit meiner Einstellung, der Grünste der Grünen wäre. Dass ich das lebe, was die Pfarrer des pseudosäkularen Zeitalters, das Bundesumweltamt und eine theologiestudienabgebrochene ostdeutsche Politikerin mitsamt der grünen Partei wollen: Das Autofasten. Es ist der Versuch von teilweise lutheranischen Ketzern, dem Menschen in Zeiten des materiellen Überflusses alte Riten in neuer Form nahe zu bringen. Sie fordern Verzicht auf Mobilität mit Verbrennungsmotoren, man sollte statt dessen das Auto stehen lassen und anderweitig voran kommen. Entsagung. Selbstkritik. Abtötung des Fleisches. Sich der Privilegien bewusst werden und etwas für die Umwelt tun. Und dabei nicht beachten, dass auch der menschliche Körper so eine Art Verbrennungsmotor mit schlechtem Wirkungsgrad ist, und die erhöhte Kalorienzufuhr und die damit verbundene Landwirtschaft ebenso die Umwelt belastet. Ich bedaure es fast, das zu sagen, aber ein halbwegs sparsames Automobil mit vier Insassen ist pro Person und Kilometer ökonomischer und umweltfreundlicher als meine Radlerei. Trotz echtem Käse von einer kleinen Alm statt dem Ökosiegelzeug, das man woanders als Bio angedreht bekommt.
Nein. Die Antwort ist nein. Ich bin nicht der Grünste der Grünen. Ja, ich fahre viel mit dem Rad, aber von Autofasten und den Grünen halte ich überhaupt nichts. Gerade weil ich viel mit dem Fahrrad fahre und noch gesund und leistungsfähig bin. Ich kann hier das meiste mit dem Rad machen, aber letztes Jahr fuhr ich mit dem Rennrad an den Tegernsee, und wollte ein neu gekauftes MTB in der Nähe von Bad Aibling holen, Auf dem Hinweg wäre ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen gewesen. Mit Umsteigen und Warten hätte das im besten Fall vier Stunden gedauert, zusammen mit 40 Minuten Fussmarsch. Ich könnte das noch, andere scheitern an simpleren Aufgaben. Ein älterer Herr hier am Tegernsee durfte wegen einer Sehschwäche nicht mit dem Auto fahren und musste zur Untersuchung ins nächste Krankenhaus. Ich fahre da in weniger als 15 Minuten mit dem Rad hin. Er wäre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anderthalb Stunden unterwegs gewesen, davon eine halbe Stunde zu Fuss. Mit einem geschwollenen Auge. Ich habe ihn natürlich mit dem Auto gefahren. Aber hier bei uns auf dem Land lernt man auf die ganz harte Tour, was Autofasten bedeuten kann: Es kann einen die Gesundheit kosten. Ich wohne in einer relativ gut ausgebauten Ferienregion. Im Alter kann man hier ganz ohne Auto trotzdem nicht sein. Und es gibt hier auch kein Car Sharing, oder an jeder Ecke einen per App mietbaren Mini, oder Taxis alle paar Minuten. Wer alt ist und über kein Auto verfügen kann, kann hier kaum überleben. Schon gar nicht im Winter.
Autofasten, oder nennen wir das Ungeisteskind der Grünen beim Namen, der Krieg gegen den motorisierten Individualverkehr, ist der Kampf einer urbanen Oberschicht gegen das flache und hügelige Land. Es ist kein Zufall, dass die Grünen genau dort die höchsten Zustimmungswerte haben, wo man das Gras nur vom Rauchen kennt und schon Kitas auf frühsexualisierten Regenbogenfamilienkurs zwingt. Autofasten in den Hochburgen der Grünen hat viel gemein mit dem Fasten in Klöstern des Mittelalters, in denen man den Biber zu einem Fisch umdeklarierte, den man essen durfte, sich mit süssen Mehlspeisen mästete und das Te Deum im Starkbiervollrausch grölte. Es ist leicht, dort mal das Pedelec zu nehmen und sich Abdul in seinem 3er BMW und Anton im Oberland moralisch überlegen zu fühlen. Es ist leicht, dort die Kinder mit dem Lastenrad ein paar Meter zur Kita zu bringen. Zwischen meiner Wohnung und der Kita hier sind zwei Berge mit Rampen, die eine ist 12% und die andere bis 18% steil, und es sind jeweils 80 Höhenmeter. Der urbane, grüne Mensch besucht seinen Dealerfreund mit dem Rad und denkt sich, das war jetzt mal wieder richtig entspannt und ökologisch, und glaubt aus seiner Erfahrung heraus, dass man wirklich mal über die Reduktion des schädlichen Autoverkehrs reden muss. Und über Feinstaub und Fahrverbote. Im ersten Schritt über den guten Willen, wie das Autofasten, und wenn der gute Wille ausbleibt, dann eben mit dem zweiten Schritt und Zwang.
Weshalb wir es in unserer regenreichen Region schon mit dem Dämmzwang und dem Glühbirnenverbot zu tun bekommen haben, und allerorten gerade Kachelöfen per Verordnung stillgelegt werden müssen. Man wählt solche Entscheidungen, die in keinem Wahlprogramm stehen, einfach so mit. Sie kommen dann auf Expertenwunsch mit irgendeiner Richtlinie, und Metzger und Bäcker sterben nicht an der fehlenden Kundschaft, sondern wegen neuer Regeln beim Verbraucherschutz und der Unmöglichkeit, alte Läden entsprechend anzupassen. Das mag in den Städten egal sein, auf dem flachen Land kostet es Lebensqualität und macht die Wege weiter. Dafür braucht man dann ein Auto. Aber da soll man nach Möglichkeit auch fasten, und den Grünen glauben, die zusammen mit Partnern ausgerechnet haben wollen, wie viele Menschen der Abgasskandal das Leben gekostet haben soll – auch hier wiederum in den Städten, denn bei uns auf dem Land ist die Abgasbelastung sehr viel niedriger.
Natürlich wenden sich die Grünen bei ihren Fastenwünschen nicht gegen die Schiffsdiesel, die das Konsumentenkollektiv mit billigen Kleidern aus Fernost beliefert, Natürlich reden sie nicht über die Feinstaubbelastung durch den öffentlichen Nahverkehr des Kollektivs, und auch nicht darüber, dass die Kombination von Lastenrädern und eisigem Winterklima auf der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur beim Fahrunvermögen der sich über ihre Kinder beugenden Mütter nicht gerade gesundheitsfördernd ist. Die Grünen haben eine Vision für das Kollektiv, in der das individuelle Auto aus dem Bereich, den sie kennen, verschwindet. Das geht nun mal am besten mit Verboten, und was es für andere bedeutet, die nicht jeden Bedarf in Laufnähe haben, interessiert sie so sehr wie einen elsässischen Atomkraftwerksbetreiber der Fallout in Richtung Deutschland. Es geht um das Fasten, das ist Bestandteil eines Ritus, eines Glaubens, einer theologischen Verfasstheit einer Gruppe, die kollektiv denkt und handelt. Und dieses Kollektiv gedeiht dort am besten, wo die meisten sind und keinen Widerspruch wollen: In den urbanen Zentren und Medien. Dort, wo man tatsächlich noch die moralische Mehrheit hält. Und genau weiss, was für andere gut und richtig ist, damit das kleine Kollektiv umfassend wird.
Nicht ganz zufällig sind die Umfragewerte der Grünen momentan auch ganz ohne Drogen- und Kindesmissbrauchskandale nicht eben berauschend, und es könnte daran liegen, dass die Partei sich mit ihrer Idealvorstellung des Kollektivs in ihre urbanen Regenbogenbastionen zurückgezogen hat. Vielleicht hat sie inzwischen Angst vor dem, was da draußen, wo ihre Anhänger mit dem Car Sharing hinfahren, passieren mag. Sie meinen es mit ihrer Religion der Liebe zu den Menschen und Frieden mit der Natur doch nur gut, und besonders gut meinen sie es mit den Seelen derer, die sonst der Verdammnis anheim fallen würden, und die ihr Kollektiv retten muss, ob sie wollen oder nicht, ob mit freiem Willen oder mit Berliner Verbotsfeuer und Brüsseler Richtlinienschwert. Dazu hätten sie gern den Segen. Und bekommen doch nur das grosse Zustimmungsfasten für ihre wirklich gut gemeinten Ideen. Schnell huschen sie durch das Land, und hoffen, dass sie es in Berlin ohne grosse Debatten schon durchsetzen werden. Nach der Wahl. Falls wir es ihnen dann noch erlauben sollten, uns im Bundestag zu dienen.