Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das identitäre Patriarchat feiert ungeniert Josefi

Sloopy lives in a very bad part of town, and everybody, yeah, tries to put my Sloopy down
The McCoys, Hang on Sloopy

Da lagen wir also am Kirchsee, und aus seinen moorschwarzen Fluten erhob sich die K.. Sie hatte sich heldenhaft ins noch reichlich kalte Wasser gestürzt, während wir Männer nur schaudernd die vom Radeln heissen Füsse hinein hielten, und lachte uns aus. Weil wir da nicht hinein gingen, wo es doch so schön warm sei. Tatsächlich heizt sich der Kirchsee schnell auf, denn er ist sehr flach und hat einen rabenschwarzen Sumpfgrund, aber ich sagte der K., dass ich erstens kein Fisch nicht sei, zweitens kein Wasser nicht möge und drittens seien da drin zu viele Waller, und wenn so einer neben einem auftaucht, kann das einem den schönsten Sonntag verderben. Den Waller kannte die K. nicht, also erklärte ich es ihr: Ein bis zu drei Meter langer Raubfisch, der im sumpfigen Grund dort unten liegt, mit seinen kleinen, bösen Knopfaugen nach oben schaut und Enten, Schwäne oder sogar ab und zu einen unvorsichtigen Dackel reisst. So gut wie jeder schwimmende Bayer hat schon mal einen empor schnellenden Waller gesehen oder davon gehört, das sei unheimlich, aus dem Nichts kommt plötzlich diese riesige Fischschlange. Und gerade hier, am Kirchsee, dem besten nur denkbaren Habitat, gibt es die grössten Waller, die nur einen Flossenschlag brauchen, um aus dem flachen Schlick an die Oberfläche zu kommen. Du ver*rscht mich, sagte die K.. Nein, hochheiliges Bayernehrenwort, sagte ich, aber die K. kennt die Details meiner Abstammung und glaubte mir nicht. Bis sie daheim bei Wikipedia nachschaute. Seitdem waren wir im Kirchsee nicht mehr schwimmen.

Ich erzähle das, weil es ist nämlich so, wenn man vom Kirchsee durch das Hochmoor wandert, dann kommt man an ein paar Kühen vorbei auf einem gewundenen Weg pfeigrod zum Kloster Reutberg, wohin ich gerne Gäste nehme, um ihnen Bayern von seiner besten Seite zu zeigen. Reutberg hat ein Kloster, eine Brauerei im Besitze der dort wohnenden Bauern, einen Biergarten und einen Blick auf die Berge, den man sonst lange suchen muss. Ausserdem herrscht im Biergarten immer eine gute Stimmung, begründet vom Wohlstand der Besucher und der spezifisch oberländischen Distinguiertheit, die ein Nebeneinander von Bayern und Armutsmigranten aus dem Norden, Trachtendirndl und Radlerlycra, Jung und Alt klaglos hinnimmt. Wenn Bayern ganz, ganz gut ist, dann ist es so wie dieser Biergarten, und die Zugewanderten, die ich mitbringe, verlieren ihre angeborene Scheu vor dem Neuland und seinen Bewohnern, von denen man viel hört, aber man kennt sie bislang noch nicht so richtig.

Der Bayer als ein solcher steht ja im Verdacht, ein Reaktionär reinsten Brauwassers zu sein, verstockt und stets bereit, alle Errungenschaften der Moderne abzulehnen, den Main zu verminen und das Königreich Bayern in die Unabhängigkeit zu führen. Im Biergarten von Reutberg sieht man, dass nichts dergleichen zu befürchten ist. Es ist nicht unkommod. Ein jeder wird zuvorkommend bedient. Vor bayerischer Kulisse mit Kuh kann sich ein jeder breit machen, wie es ihm behagt. Der Himmel ist blau, der Kies knirscht, nirgendwo kann hier ein Waller der Reaktion im Grund liegen, warten, lauern, mit seinen kleinen Augen böse schauen, und dann blitzartig den kleinwüchsigen Pinscher der Progessiven anfallen. Denkt man, wenn man Josefi nicht kennt.

Josefi ist heute, also am 19. März, und es ist ein Hochfest der katholischen Kirche. Immer noch. Früher, vor dem Sozialismus, war der Tag zum Gedenken an den Mariengemahl St. Josef so eine Art 1. Mai des Katholizismus. Der Tag markierte den Beginn des Frühlings und lag praktischerweise mitten in der Fastenzeit, was in Bayern Starkbierzeit bedeutet. Masskrüge werden mit dunklem Bier gefüllt, das 7 und mehr Prozent Alkohol mit sich bringt, und so war Josefi neben Lichtmess – Wahlspruch “Licht aus, Messer raus!” – auch stets Anlass zu Exzessen, Trunkenheitsfahrten, Schlägereien und Szenen, die man seitens der Obrigkeit gern unterbunden hätte. Das gelang auch, Anno Domini 1968, denn während die Studenten streikten, strich in Bayern die CSU – ausgerechnet! – Josefi als staatlichen Feiertag. In ländlichen Regionen wurde trotzdem noch eine Weile daran festgehalten, Beamte waren dann halt einfach nicht da und trafen sich mit Firmenbelegschaften und Vereinen im Wirtshaus. Aber der Fortschritt war unausweichlich und unbesiegbar, und ich selbst kenne Josefi und die zugehörigen Schlägereien nur aus Erzählungen der Verwandtschaft. Josefi geriet in Vergessenheit, die Leute gingen weniger in die Kirche, traditionelle Kleidung wurde zum Landhausstil für Ewiggestrige. Trotzdem fahren seit dem 17. März nun Busse aus dem ganzen Oberland auf den Reutberg, und dass das Busunternehmen Biersack heisst, ist nicht unpassend. Denn hinter dem Biergarten steht ein Zelt.

Und wer gedacht hat, man müsste nur einen Feiertag abschaffen und die Leute in die Arbeit schicken, damit die dem Götzen Mammon und den internationalen Geldströmen dienen – der hatte eine Weile recht. Eine Weile, in den 70er, 80er Jahren, zerstörte die Flurbereinigung die letzen Hecken, und wer sein altes Haus demolieren oder mit neuen Eternitplatten verschandeln wollte, der durfte das tun. Ausgerechnet die Zeit von Franz-Josef Strauss war eine Epoche der rücksichtslosen Modernisierung, der niedergeholzten Alleen und Streuobstwiesen, der hineinbetonierten Gewerbegebiete und des Niedergangs der Landwirtschaft. Jugendkultur auf dem Dorf endete mit dem Kauf eines Mofas und dem freien Weg in die Stadt. Die Dorfläden gingen pleite, die Dorfmetzger mussten schliessen, die Haushaltswarengeschäfte, die Bäcker – dafür eröffneten Fahrschulen und Autohäuser. Früher hatte jedes Dorf mindestens einen Brauer, die einer nach dem anderen verschwanden. Der Strom kam aus dem AKW, die Blasmusik aus dem TV und das Bier aus der Dose. Und als die kleine, genossenschaftliche Brauerei Reutberg im Oberland 1987 versuchte, das Josefifest 19 Jahre nach Abschaffung des Feiertags wieder zu etablieren, dann war das antizyklisch.

Aber da muss etwas Widerständiges in diesem Schlamm der wegfaulenden Kultur gelegen haben. Wenn der Bürgermeister von Sachsenkam heute das Fass mit einem einzigen Schlag anzapft und die Honoratioren willkommen heisst, sitzen im Publikum nicht nur die alten Leute, sondern vor allem die Jungen. Das Wort “Leitkultur” mag im Rest des Landes kritisch gesehen werden, aber hier existiert sie ganz selbstverständlich mit grünen Filzhüten, Lederhosen, Dirndl, und wer hier wirklich auffallen möchte, kommt in Outdoorkleidung ohne jede Referenz an die Trachtentradition. Oder, noch schlimmer, in dem, was auf dem Oktoberfest als Tracht gilt.

Denn hier reisen die Burschenvereine aus Garmisch und Miesbach an, und die Gebirgsschützen aus Lenggries und Wolfratshausen, es kommen die Trachtenerhaltungsvereine aus Miesbach und Benediktbeuren, und so sieht das dann auch aus. Der Brauerei geht es übrigens blendend, ihre Biere sind das, was man in der Hand halten sollte, wenn einem Fremde etwas über Tegernseer Hell erzählen, und jeden Abend sorgt eine andere Kapelle aus dem Umland für die musikalische Umrahmung. Wem die Heimat nicht egal ist, der taucht dort früher oder später auf. So gegen 10 wird es dann auch ausgelassener, dann spielen sie auch das über 50 Jahre alte Hang on Sloopy, auf dass man sich mit Mitsingen näher kommt.

Irgendwo werden Geschlechter dekonstruiert und Megafusionen von Nahrungsherstellern eingeleitet, und Ernährungswissenschaftler finden Gefahren im Brathuhn und dem Fett der Haxen, während aus kultureller Rücksichtsnahme Kindergartenessen umgestellt wird, sei es für Veganer oder Muslime. Aber hier feiert, lacht und ratscht eine in sich geschlossene Parallelgesellschaft, sie setzt sich mit Kleidung und Verhalten ab von den Normen, die woanders gelten, und dass Männer und Frauen zusammen ein Fest mit patriarchalischer Grundüberzeugung feiern, wird erst gar nicht erwähnt. Es ist eben so. Ein paar Kilometer weiter kann man auch “Sylt meets Tegernsee”-Wochen haben. Hier ist Josefi noch so, wie es früher gar nicht war.

Es wird voll. Randvoll. Es setzen sich Mädchen in Dirndl dazu, die erzählen, sie seien der Harem und ihre Bürschen wären da drüben, manche Augen werden glasig, aber die Stimmung ist gut und überhaupt nicht aggressiv oder bösartig. Der Verfasser hat als Abstinenzler noch einen scharfen Blick für etwaige Störungen, aber es ist nur ein grosses, volles Zelt auf einer Wiese, vorne spielt die Musik und hinten sitzt man zusammen. Es ist offen, weil die Isartaler hier auf die Chiemgauer treffen, es ist bunt, weil sich die Frauen herausputzen. Aber von aussen betrachtet ist es, möglicherweise, eine Verweigerung der gängigen Realität. Ein jeder kann kommen. Nur sollte man mit dem enormen Anpassungsdruck umgehen können.

In Restdeutschland tut man sich mit einer derartigen Selbstversicherung der eigenen Identität vermutlich schwer, denn es fehlen die klassischen Entschuldigungen für Rückbesinnung wie “bio” oder “nachhaltig”. 10 Tage wird hier ohne Rücksicht auf die sonst üblichen Konventionen gefeiert, am Ende gibt es noch einmal eine Trachtenmodenschau, und dazwischen das, was man eben so macht: Forderungen an die Politik stellen und ritualisierte Kämpfe der Männlichkeit austragen.

Wer es kennt, kennt es halt. Wer die schlechte, alte Zeit kennt, der kennt auch die unkontrollierten Exzesse der Landjugend, die sich besoffen mit dem Auto um Bäume wickelt oder die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen engem Dorf und abweisender Stadt mit Drogen auffüllt. Das Josefifest ist Ritual und Identität, und gibt den Menschen Halt und Selbstbewusstsein. Von aussen betrachtet ist es natürlich ein schlagartiger Bruch mit der Moderne und ihren Anforderungen, und der Beweis, dass hinter der glatten Oberfläche einer reichen Region noch etwas lauert, das sich nicht zähmen und kontrollieren lässt, und einfach so, ohne Bedenken und Kritik, eigentlich nicht sein darf.

Deshalb bringen Medien lieber ein paar tausend empörte Frauen in Berlin, die für Genderismus demonstrieren, und reden gar nicht weiter über erheblich mehr Menschen in Bayern, die ein patriarchalisches Fest in ihrer Leitkultur begehen. Es ist eine Heimat, die vielen sehr fremd ist. Fremd und unberechenbar wie der Waller im Schlamm drüben im Kirchsee, der mit seinen kleinen, bösen Knopfaugen nach oben schaut und genau weiss, dass er am Ende der Nahrungskette steht, und ihm hier bei uns keiner etwas kann.