Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Klimawandel als verbindliches Höllenfeuer der Moderne

Der Weise äußert sich vorsichtig, der Narr mit Bestimmtheit über das kommende Wetter.
Wilhelm Busch

Wissen ist tödlich, zumindest, wenn es das falsche Wissen ist. Ich beispielsweise hatte durch einen Zufall Seminare in Paläoethnobotanik. Das sind die Leute, die mit einem Bohrer in Sumpfgebiete gehen, die fernab der Zivilisation zu finden sind, und lange ungestört blieben. Dort versenken sie dann einen langen Bohrer im weichen Grund, und nehmen eine lange, weit hinunter reichende Sumpfprobe. Jedes Jahr werden in so einen Sumpf Pollen eingetragen, die sich dort unter Luftabschluss erhalten und nach unten sinken. Je tiefer die Probe, desto älter die Pollen. Auf diese Art sind Wissenschaftler in der Lage, relativ gut zu erkennen, welche Pollen wann eingetragen wurden, was Rückschlüsse auf die Pflanzenwelt der Vorgeschichte zulässt.

Bisher ist das alles noch harmlos, man bohrt dabei im Sumpf, man wäscht Sumpfmaterial aus, man schaut ins Mikroskop und vergleicht Pollen. Dann wartet man auf die C14-Datierung der jeweiligen Schicht. Paläoethnobotaniker können einem viel über das Auftauchen und Verschwinden von Weiden erzählen, auf die Gräserpollen schliessen lassen, oder über Ackerbau und Baumsorten. Wird beispielsweise der Wald abgeholzt, wie etwa in den Alpen zur Gewinnung von Metallen, Salz und Glas, schlägt sich das im Ausbleiben von Baumpollen auch in den Sümpfen nieder. Machen die Pest oder der Schwede die Menschen nieder, ergreift die Natur wieder Besitz vom besiedelten Raum, und Getreidepollen verschwinden. Auch diese Erkenntnis ist – außer für die früheren Menschen – nicht tödlich.

Tödlich wird es für unsereins erst, wenn man in der Konzertpause zwischen Rameau und Haydn plaudert und ganz beiläufig erwähnt, dass der gelbe Weinstock schon Triebe entwickelt, aber der blaue Weinstock bislang wenig Anstalten macht, sich mit Knospen zu zeigen. Normal ist es anders herum, und man gibt in solchen Momenten leichtfertig der Sorge Ausdruck, der blaue Weinstock könnte im strengen Winter Schaden genommen haben, und durch den Frost zugrunde…. DASKANNGARNICHTSEIN, wird man deutlich verwarnt, und dann kommen von Leuten, die in Biologie, Physik und Chemie nachweislich noch schlechter als ich waren, hochgenaue Auflistungen, dass auch dieser Winter viel zu warm war. Früher redete man über das Wetter, um zu plaudern, heute ist es lebensgefährlich. Speziell, wenn man sich düster an 6000 Jahre alte Pollenproben erinnert, und daran, wie bunt und warm und angenehm es damals in der Jungsteinzeit gewesen sein muss – die Wissenschaft geht davon aus, dass die frühen Bauern aufgrund des vorteilhaften Klimas und der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln deutlich mehr Zeit als wir gehabt hätten, um Rameau anzuhören oder sich Sorgen um das Klima zu machen, und daher andere sozial zu töten – vermutlich aber hatten sie einfach Sex, und das sogar ohne Tinder, meint die lebensgefährliche Wissenschaft.

Denn während sich da eine Kaskade der Allgemeinbildung über einen ergießt, angereichert mit dem, was in den letzten Tagen angesichts von Temperaturrekorden im späten März zu hören war, formen sich im Kopf gewisse Erinnerungen an das Studium. Das Klima spielt in der menschlichen Geschichte eine wichtige Rolle, Kälte ist in unseren Breiten eher selten willkommen und mag, verbunden mit Missernten, die sogenannten Völkerwanderungen ausgelöst haben. Schlechte Ernten in Ägypten führten zu Unruhen im antiken Rom, und um das Jahr 1300 herum begann eine kleine Eiszeit, die das rapide Wachstum Europas zusammen mit anderen Faktoren dauerhaft beeinträchtigte. Mode jener Tage ist nicht so stoffreich, weil die Menschen die Prunkentfaltung liebten, sondern wegen der Kälte, die damals den Planeten heimsuchte. Mir ist auf die Schnelle kein alter Chronist des Jahres 1320 bekannt, der das Wetter seiner Jugend von 1270 verdammte und schrieb: Hurra, endlich kühl! Man darf auch Eiszeiten natürlich nicht verteufeln, der Mensch war klug genug, sich anzupassen, aber in einer Zeit, da jede Winterwärme durch Baumfällen und Holzhacken errungen werden musste, und die Hühner monatelang wegen der Kälte keiner Eier legten, möchte man heute nur bedingt leben.

Es ist die Phase, in der sich Weinbau in vielen Regionen nicht mehr lohnte, und nur Flurnamen wie Weinberg blieben. Es ist die Zeit des Aufstiegs von Bier als flüssigem Nahrungsmittel, und die Glastechnik machte Fortschritte, denn man nahm von der Sonnenenergie, was man kriegen konnte, und war mit simplen Holzläden vor den Fenstern nicht mehr zufrieden. Das fellreiche Russland wurde zum begehrten Handelspartner, und es entwickelte sich ein wahrer Kult um die Heizung mit üppigen und reich verzierten Kaminen. Es war kalt, deutlich kälter als heute, und die Menschen passten sich an. Nach dem Ende der letzten Eiszeit, als die grossen Jagdtiere ausstarben, passten sie sich auch schon an und jagten kleine Tiere, die mit kleinen Steinwerkzeugen, sogenannten Microlithen zerteilt werden konnten. Der Homo sapiens sapiens hat, zusammen mit seinem Cousin, dem Neandertaler, eine durchaus erfolgreiche Geschichte der klimatischen Anpassung hinter sich. Und außerdem ist Bisamrattenessen lustiger, als vom Mammut niedergetrampelt werden – so hat jede Epoche und jedes Klima eben seine Vor- und Nachteile. Wäre aber die letzte grosse Eiszeit langsam bruchlos bis zu uns Jetztmenschen ausgeklungen, hätte es hier kaum Ackerbau gegeben, und vermutlich würden wir uns auch nicht im Foyer des Theaters über Klimaschwankungen unterhalten.

Bisher war die Unterhaltung eher einseitig, denn man wurde belehrt, dass es a) viel zu warm war und b) der blaue Weinstock jetzt noch gar nicht treiben darf und c) wir uns schleunigst ändern müssen, sonst wird das furchtbar. Tödlich wird es, wenn man an dieser Stelle nun mit Wissen kommt und Dinge sagt, die durchaus wahr sind: Etwa, dass die Alpen, historisch betrachtet, während langer Phasen überhaupt keine Gletscher aufwiesen, weil es viel zu warm war, und die üppige Fauna und Flora in diesen Zeiten nicht eben Nachweise von Klimatod waren. Auch die Erwähnung von erstaunlichen Funden in Feuchtbodensiedlungen, die auf ein fast mediterranes Klima auch nördlich der Alpen in der Jungsteinzeit schliessen lassen, kommt nicht eben gut an. Man sagt das halt so, wie man anderen, die mit schrecklichen Ängsten ankommen, wohlgesonnen sein will: Nein, Tante Friede, der Leberfleck muss kein Hautkrebs sein, nein, Onkel Theo, das ist nicht der Motor, der seinen Geist aufgibt, sondern nur ein Loch im Auspuff. Man möchte Hoffnung spenden und einfach nur darauf hinweisen, dass wir nicht diesen Sommer alle sterben werden, sondern gerade am Übergang zu einer menschlich gemachten, langfristig nicht unproblematischen, aber bislang weitgehend im Rahmen historischer Werte liegenden Wärmephase sind. Und dass Grund zur Hoffnung besteht.

Da ist es aber schon zu spät, das Urteil ist schon gesprochen, denn bei der Erwärmung zerfällt die Menschheit in zwei Klassen: Die einen, die die Wahrheit erkannt haben und nicht müde werden zu betonen, was sie alles tun, vom kfw55-Haus bis zur Tesla-Aktie, und die anderen wie mich, der ich zwar laufend Räder von Schrott rette, aber nicht ganz überzeugt bin, dass auf die westlichen Ursünden der Industrialisierung zwangsweise das Flammenschwert der Auslöschung folgen muss. Es zeigt sich in der menschlichen Geschichte immer wieder, dass Menschen unschöne Dinge ohne jede göttlich-gerechte Strafe tun – das macht mich skeptisch, wenn wissenschaftliche Prognosen zu ähnlich dem Inferno sind, das früher von Kanzeln gepredigt wurde. Ich glaube an den Klimawandel und finde Beschneiungsanlagen in den Alpen auch grundfalsch. Ich glaube aber, positiv gesagt, auch an die Anpassungsfähigkeit des Menschen. Ausserdem muss man auch mal aufrechnen: Natürlich sterben in heissen Sommern alte Menschen schneller. Dafür sterben sie in warmen Wintern seltener an Knochenbrüchen auf Eis. Auf jede historische Weltenkatastrophe kommen viele Generationen, die fit genug waren, sich den Neuerungen zu stellen. Individuell ist natürliche Auslese nicht immer schön, aber so als Menschheit sind wir statistisch trotz teils drastischer Klimaschwankungen so weit gekommen, dass das Wetter lange Zeit nur noch ein Smalltalk-Thema war. Jetzt ist es anders, und man wird sehen, was die eingeleiteten Massnahmen bringen. Bei manchen Reaktionen wie Dämmung von Gebäuden habe ich Zweifel in Sachen Sinnhaftigkeit, mitunter meine ich auch, Lobbyisten am Werk zu sehen.

Ich bin also kein Klimaskeptiker, was man momentan in der öffentlichen Debatte nur sein darf, wenn man sich ohnehin schon als Erbschaftssteuergegner geoutet hat- dann ist es egal. Ich bin Klimakatastrophenvorhersageskeptiker. Das ist eigentlich nichts Besonderes, Vorhersagen sind immer mit Unsicherheiten belastet, und zur Verfeinerung von Modellen und wissenschaftlicher Erkenntnis gehört nun mal der gesunde Zweifel und das kollegiale Hinterfragen ohne Denkverbote. Ich erkenne sehr wohl Unterschiede zwischen der gelassenen Einstellung eines pollenzählenden Paläoethnobotanikers und der Art, mit der in der politsch-moralischen Nichtdebatte verkürzt Ergebnisse aus Modellen über die Entwicklung der Zukunft als endgültige Wahrheit mitsamt Handlungsanweisungen verkauft werden. Ich bin da ein gebranntes Kind: Die Lehrergeneration vor den heutigen Lehrern bläute uns ein, dass höchstens alle 100.000 Jahre ein Atomkraftwerk in die Luft fliegen wird. Möglicherweise braucht der Mensch auch Horrorszenarien, und man muss wirklich die Hölle predigen, damit er im Diesseits aktiv wird. Nur habe ich es als Radsammler momentan vor allem mit alten, grundsoliden Stahlrädern zu tun, die ausrangiert werden, um energetisch sehr aufwändige Alufahrräder mit Elektroantrieb, Akkus und vielen nicht kompatiblen Kunststoffteilen Platz zu machen. Ich bin nicht Klimaskeptiker, es ist offensichtlich, dass sich das Klima ändert. Ich bin Klimakatastrophenvorhersageskeptiker. Und ganz besonders Klimakatastrophenvorhersagesorgenmacherskeptiker, denn der Mensch passt sich historisch gesehen immer nur so weit an, dass er sich anderen Menschen überlegen fühlen kann.

Das ist übrigens nun wirklich mal eine Konstante der Geschichte, die es erlaubt, Vorhersagen auch über die Zukunft dieser Spezies und des Planeten zu machen – aber leider auch lebensgefährlich, wenn man es den Falschen bei Themen erklären möchte, die das gute, alte Höllensündenfeuer wieder entfachen.