Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Mit grossem Krach in die perfekte Ehe

Da diese Art zu “Schießen” erhebliche Gefahren birgt, und auch schon schwere Unfälle verursacht hat, gerät der Brauch immer mehr in die Kritik, und dadurch in vielen Ortschaften mehr und mehr in Vergessenheit. Außerdem kann es aufgrund der Uhrzeit (meist zwischen vier und fünf Uhr morgens) zu strafrechtlichen Konsequenzen wegen Nachtruhestörung der Nachbarschaft komme.

BAMM! dröhnt es über den ersten Hügel des Mangfallgebirges, und wer jetzt noch nicht wach ist, hört nach ein paar Sekunden wieder ein BAMM! Es ist die Nacht nach dem Anschlag in Stockholm, es ist 5 Uhr morgens, als die Explosionen die Scheiben klirren lassen und alle Leute an die Fenster treiben, Dort drüben, am Bauernhof, flammt er kurz orange auf, das nächste BAMM! kracht entlang der Bergrücken und rollt hinüber bis Ostin. Es ist viel zu laut für ein normales Gewehr, eine Horde von Discobesuchern wäre in diesem Moment sicher schlagartig wieder nüchtern; und würde Deckung suchen. Aber der aus dem Schlaf gerissene Bergrandbewohner hat inzwischen schon verstanden, dass hier kein Anschlag und kein Massaker in der ansonsten totenstillen Alpennacht zu befürchten ist: Zusammen mit allen anderen in 2 Kilometer Umkreis wecken Böllerschützen den Bräutigam auf. Denn es ist 5 Uhr morgens, und der etwas archaische Brauch will es, dass der schönste Tag des Lebens mit der Böllerei beginnt; und mit einem sehr frühen Frühstück mit Alkokohl fortgesetzt wird.

Um 12 ist dann Hochzeit in der Pfarrkirche, und alle kommen in archaisch-festlicher Tracht. Ich gehöre nicht dazu, aber das hier ist halt ein Dorf, und der übliche Lebensweg des Müßiggängers überschneidet sich aufgrund der lokalen Gegebenheiten mit dem Zug des Brautpaares: Man wird vom Böllern geweckt, man sieht die Gesellschaft an der Kirche, und weil grosse Hochzeiten grosse Gastwirtschaften brauchen, sitzt man schon beim Essen mit Bergblick, als die Gesellschaft dort auch einfällt, Geschenke mitbringt und die Musik aufmarschiert. Bei mir daheim hat es sich eingebürgert, Standards wie “Summer of 69” zu spielen, hier ist das alles noch etwas rückschrittlicher und von Blasmusik untermalt.

Das Wetter ist fast perfekt, ein klein wenig diesig, aber sonnig und gerade so warm, dass man gut tanzen kann. Der Vater des Bräutigams ist reich an Kühen und noch reicher an Wiesen, und eine der Wiesen ist eigentlich Baugrund, seit 40 Jahren schon, und könnte parzelliert und verkauft werden: Statt dessen stehen die Kühe drauf, weil der Bauer das Geld gar nicht benötigt. Es geht auch nicht überkandidelt zu, das Auto für das Brautpaar ist normal und kaum geschmückt, auch wenn man hier vermutlich noch ganz anders auftrumpfen könnte. Es gibt hier keinen Platz für Powerpointvorträge über die lustigsten Ereignisse im Leben der Braut, und langsam, ganz langsam ahne ich, dass es an der Zeit wäre, in unseren doch eher unromantischen Zeiten ein ein paar Worte zu finden, die dem Ganzen eine, sagen wir mal, gesellschaftskritische Note verleihen. Und darauf zu verweisen, wie brüchig das Eheglück heute doch ist. Es kann doch nicht sein, dass so eine Bilderbuchhochzeit an einem Ort, an dem sich andere den Urlaub gar nicht mehr leisten können, so sauber und frei von allen Komplikationen verläuft.

Beim Böllerschiessen jedenfalls sind die jungen Männer hier erfahren, getrunken wird erst danach, und man hörte deshalb keinen Sanitäter. Auf dem Kirchhof standen alle friedlich beisammen, Konflikte wegen unterschiedlicher Herkunft sind hier angesichts des vorherrschenden Katholizismus nicht zu erwarten gewesen, und wolkenlos spannte sich der Himmel vom Allgäu bis zum Berchtesgadener Land. Die Küche im Gasthof ist bekannt gut, und wer wirklich einen Haken finden will – und ich weiss, viele wollen das, denn das Glück in Deutschland darf nie komplett und unschuldig sein, und auch nach vielen Milliarden der Wirtschaftshilfe muss man mit der Kanzlerin der Migrantenherzen noch in Sack und Asche gehen, für Verbrechen des Kolonialismus, zu denen kein lebender Mensch und auch kein Vater eines lebenden Menschen und kein zukünftiges Kind etwas kann, so ist das hier, denn “wir” hätten “uns an Afrika” versündigt, ja Sünde, ohne das Erbsündigen und sozialistischen Sichtweisen aus Vorwendezeiten geht es in Deutschland nicht – wer also auch hier einen Haken finden und das Gift des Zweifels in den Kelch der Lebensfreude schütten will, der denkt jetzt: Aber wartet nur, wehe wehe, wenn ich auf das Ende sehe.

Das Ende, so nimmt man nach meiner Erfahrung im Umgang mit schlecht gelaunten Mitmenschen an, kommt nämlich auch hier. Nicht zwingend wegen Fragen der Sauberkeit und des Haushalts, die beständig am Glück nagen und das Wohlbefinden so lange erschüttern, bis sich die Wege trennen. Dafür ist zu viel Geld da, dafür wäre es zu einfach, das Problem mit Dienstboten zu bereinigen. Aber, so vernehme ich immer wieder, der Bruch droht, wenn man wirklich beisammen ist und Probleme stemmen muss, die noch jede Beziehung auf eine harte Probe gestellt haben. Was der Urlaub nicht dahin rafft, so höre ich, würde spätestens der gemeinsame Hausbau schaffen. Über Grundrissen und Küchenaufteilung, Induktionsherden und massgeschreinerten Kachelöfenbänken und die Position des Kruzifixes in der Zirbelholzstube, so nimmt man an, bricht der gleiche Unfrieden über das Paar herein, den andere aus dem gemeinen Stadtvolk vom gemeinschaftlichen Besuch bei Ikea für ein paar Teelichter – wirklich nur Teelichter, Schatz, und keinesfalls mehr! – kennen. Ist das Haus erst einmal fertig, so die übliche Meinung, ist die Ehe und die Liebe vorbei.

(Im Bild: Männertreu. Blumen, die sehr schnell ihre Blüten verlieren)

Und ganz ehrlich, ich habe tatsächlich eine Freundin, der so etwas passierte. Allerdings hat sie mich explizit nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen, weil sie damals schon richtig vermutete, ich würde dortselbst Missgunst böllern und Dinge sagen als wie dass sie gar nie nicht zu diesem Hornochsen da passen tut und spätestens beim gemeinsamen Hausbau würde das alles aber sauber in die Brüche gehen und sie daraufhin wieder dekorativ auf meiner Schäsloongsch rumflacken. Brautpaare hören das offensichtlich nicht so gerne, selbst wenn es die Wahrheit ist, zu der ich qua Beruf verpflichtet bin, ein so ein schiacha Hornochs wie der Gatte war. Es stimmt also. Manchmal. Häuser können Ehen ruinieren, und eigentlich könnte man missgünstig dreinschauen, wenn der Bräutigam seine Zunge in den Hals der Braut steckt und denken, dass er ihr später dann an die Gurgel gehen könnte. Oder aber – wir erinnern uns, wir sind im bayerischen Oberland und manches ist hier anders – warum eigentlich der Hausbau nicht vor der Hochzeit betrieben wird. Quasi als Generalprobe, ob es wirklich passt.

Denn früher war das so: Wer auf dem Land eine Hochzeitserlaubnis haben wollte, musste eine Immobilie vorzeigen können. Wer kein Haus hatte, egal wie klein, bekam einfach keine Erlaubnis. Heutzutage gilt uns das als Form der brutalen Unterdrückung durch die Obrigkeit: Warum besitzen, wenn einem die begrünte Neuauflage der SED in Berlin billige Mieten garantiert, und der Berater der Linken das Loblied auf die Enteignung singt. Jeder kann heiraten, wie er will, und dann mieten, wie er möchte, und zwei Wohnungen mieten, wenn es auseinander geht. Mein Gefühl jedoch sagt mir, dass die alte Regel mit dem Wohnraumnachweis vielleicht doch nicht so schlecht war, zumal sie in Italien durch die Ansprüche der Braut an den Mann faktisch immer noch gilt: So eine Hausbeschaffung bedeutet wirklich Stress, Streit und Ärger, und sie verlangt Sparsamkeit, Kompromissbereitschaft und Disziplin. Wer erst an einem Haus bewiesen hat, dass er sein Leben so weit im Griff hat, hat die nötige Erfahrung, um alle kommenden Stürme des Daseins zu bewältigen. Vielleicht also war das gar nicht so böse gemeint, denn auch heute noch müssen Brautpaare zusammen Stämme durchsägen: So ein eigenes Haus bei der Eheschließung ist die grosse Version des kleinen Brauchtums im Pfarrhof – und deutlich mehr als ein Jahr des Zusammenlebens in einer gemieteten Wohnung des Regimes der alten oder neuen DDR mit ihren traditionell hohen Scheidungsraten.

Man ahnt es vielleicht: Wer wollte, konnte das laute Böllern beim Bauernhof gegenüber kommen sehen, denn der Sohn hat weiter unten, schräg links von meiner Terrasse, die letzten zwei Jahre schon sein eigenes Haus zusammen mit der Braut gebaut. Das ist hier halt so, statt festgeschriebener Mieten gibt es hier Einheimischenprogramme mit billigen Grundstücken und günstigen Krediten, und statt der Maledivenreise die geschreinerte Bank für den Kachelofen. Das Ärgste hat das Brautpaar schon lang hinter sich, als die Knallerei das Tal aus dem Schlaf reisst, das Nest ist gemacht und die Konflikte, sie ansonsten nunmehr drohen würden, sind überstanden. Es gibt keinen Grund, am wolkenlosen Blau des Himmels und an den ernsten Absichten des Paares zu zweifeln. Es ist alles schon da, wie früher, nur heute ohne Obrigkeit, die ansonsten die Hochzeitserlaubnis nicht erteilt. Das hier ist das Land, in dem wenige Mieter sind und viele Ehen, die wirklich halten.

Für solche Kreise wäre ich dennoch zu zynisch, denn auch ich kenne das Gift des Zweifels und bin unromantisch genug, es ohne jede Hemmung zu unpassenden Momenten einzusetzen. Aber wir haben hier nun mal ein gemachtes Nest, und es ist wirklich hübsch, sowie das passende Paar und eine Doppelgarage, und Katzen und Hund wird es auch geben. Man weckt nicht das ganze Tal auf und weist es auf das Kommende hin, wenn man es nicht wirklich ganz ernst meint. Und vielleicht war es bei meinen Bekannten einfach auch nur der grosse Fehler, dass bei uns die Häuser einfach da sind, oder von den Eltern hingestellt werden, wenn es so weit ist: Dann nimmt man das auch nicht ernster als eine Mietwohnung in der Stalinallee, und sorgte eine Weile dafür, dass auch bei uns sie Scheidungsrate in die Höhe ging. Die Millenials bei uns revoltieren gerade gegen diese Einstellung. Vor 20 Jahren jedenfalls war bei uns das Wecken mit Böllerschüssen tatsächlich etwas unüblich. Heute knallt es hier wieder jedes Wochenende.

Meine Altersgenossen haben sich, so scheint es, für diese jungen Leute ganz umsonst durch Scheidungen und individuelle Selbstverwirklichungsexzesse mit Konsens-Sex, Soda und Yoga gequält.