Kann ich zeig’n mein’n Freunden besser mit Messer, was ich gemacht mit Schmutschkinoff
Friedrich Hollaender, Stroganoff
Je nach Umfrage sind 2/3 bis 4/5 der Deutschen für eine Ehe für Alle. Das ist die klare Mehrheit, wenn man von oben auf das Land schaut. Es mag auch den ein oder anderen geben, der sagt, er sei grosso modo dafür, auch wenn er ein paar Vorbehalte hat: Aber Umfragen sind nicht dazu da, um Unsicherheiten und Differenzierungen abzubilden. Neben diesem Regenbogendeutschland, das sich wohltuend vom Treiben des deutschen Flüchtlingspartners Türkei abhebt, gibt es aber auch noch ein anderes Deutschland. Und dieses Deutschland ist eines, das – zumindest nicht offen – nicht gegen Homosexuelle ist. Aber auch der Meinung, dass die Bevorzugung der Ehe zwischen Mann und Frau keine Benachteiligung anderer Beziehungen ist.
Man kann tatsächlich so argumentieren, denn Ehen bringen nicht nur besondere Rechte, sondern auch besondere Pflichten. Anhänger dieser Sichtweise sagen heute nicht mehr, dass man andere Lebensformen benachteiligen oder gar gesetzlich diskriminieren oder verfolgen sollte, wie das früher in Deutschland üblich war. Aber sie sind der Meinung, dass die klassische Familie mit sich liebenden Eltern verschiedener Geschlechter das natürliche Optimum darstellt, und auch optimal behandelt werden sollte. Das kann man als doppelmoralisch bezeichnen, und auf Vorwürfe exzessiver Meth-Parties und Schwulenstrich in Berlin mit Bierzeltexzessen und gschlamperten Verhältnissen von scheinbürgerlichen Bigotten antworten. Das geht wunderbar, wenn man als Abgeordneter der Grünen in Berlin twitternde Mitarbeiter ins Feld führen kann. Aber andere – und das sind gar nicht so wenige – müssen von diesen Leuten gewählt werden.
Und früher war es so, dass diese Leute bewusst Wahlentscheidungen getroffen haben, weil sie in etwa wussten, was sie dafür bekommen würden. Dafür haben Parteien ein Grundsatzprogramm, und nicht alle haben sich damit den Ruf einer Verräterpartei erarbeitet, wie die SPD. Die CSU konnte eine WAA befürworten und dann wieder abblasen, aber ein paar Leitsätze waren verbindlich. Man wusste ungefähr, was man an Filz, moralischer Flexibilität und Opportunismus im Feld der Realpolitik hinzunehmen hatte, damit die grossen Linien der bürgerlichen Vormachtstellung gewahrt bleiben. Das trieb ganze Westviertel in Bayern in die Arme der CSU, was immer deren Söhne und Töchter auch dagegen vorbringen wollten. Heute jedoch wird meine Freude über die Ehe für Alle doch erheblich getrübt vom Mitleid: So viele machten das letzte Mal an der für sie scheinbar richtigen Stelle. Und nun, zum Ende der Legislaturperiode, erleben sie, wie sich SPD-Anhänger fühlen, wenn ihre Partei heilige Grundsätze verrät. Ein, wenn nicht der Grundpfeiler des bürgerlichen Selbstverständnisses wird im Plausch mit einer Frauenzeitung einfach so abgeräumt.
Denn nach bürgerlichen Konventionen – und je weiter man nach Süden und aufs Land geht, desto wichtiger werden sie – ist der Staat ein notwendiges Übel. Das Blut läuft zusammen, Familie über alles, danach die weiteren Verwandten, der Freundeskreis, dann die Gemeinde, die Stadt, manchmal das Land und erst dann die Zentralgewalt – in diesem Gefühl werden in weiten Teiles des Landes immer noch die Menschen erzogen. Darauf ist die Ehe, idealerweise bis der Tod sie scheidet, das grosse Siegel. Wer es nicht so mag – und der Verfasser dieses Beitrags gehört trotz Herkunft aus so einem guten Clan zu den Verweigerern – hat heute keine Probleme mit Ausgrenzung mehr, und kann sich trotzdem zu den Grundwerten des gentilen Denkens bekennen. Ein staatliches Privileg ist da so etwas wie eine Unterwerfungsgeste der latent feindlichen Macht, die einräumt, dass vor dem Gesetz zwar alle Menschen gleich, aber vor dem Clan so unterschiedlich wie Herrschaft und Gschleaf sind. Das klingt hart und wird heute längst nicht mehr so hart umgesetzt, ist aber bei der Frage des Eheprivilegs für das Gefühl nicht bedeutungslos.
Und wird gerade, nachdem die früher zentrale Macht nur noch ein Windbeutel ist, der mit cum Ex Geschäften beraubt, von Banken gemolken und von Brüssel bevormundet wird, in den letzten Jahren wieder deutlich wichtiger. Für diese Gruppe ist die Ehe für Alle zum jetzigen Zeitpunkt sicher nicht mehr auf dem Zenit der Zustimmung, und die Umfragen bei der FAZ verdeutlichen, dass die Leser das Aufweichen der Institution Ehe doch mit deutlicher Mehrheit ablehnen. Es ist vermutlich noch nicht einmal etwas Persönliches gegen Vertreter anderer Einstellungen. Es ist der Eindruck, dass die Zentralgewalt launisch und auf die Schnelle, ohne grosse Debatte, einen Teil des bürgerlichen Selbstverständnisses wegnimmt. Niemand wird etwas weggenommen, sagt Heiko Maas, aber das sagte Frau Merkel auch, bevor zig Milliarden Steuergelder in der Migrationskrise von den Steuerzahlern genommen und in das “Wir schaffen das”-Prinzip gepumpt wurden.
Mir tun die Mandatsträger leid, die jetzt noch zwei Tage haben, ihren erbitterten Widerstand öffentlich zu machen, bevor sie nach Hause und ihren Wählern erklären müssen, wieso sie schon wieder einen Kernpunkt des Selbstverständnisses dem Machtkalkül der Kanzlerin geopfert haben. Zuerst wurden die Deutschen als Nation zu Leuten degradiert, die schon länger hier sind. Jetzt ist die Ehe auch noch noch ein inhaltlich entleertes Ritual, das jeder in Anspruch nehmen kann. Und die nächsten familienpolitischen Angriffszeile sind auch schon bekannt: Abschaffung des Ehegattensplittings und Öffnung des Sorgerechts für mehr als zwei Partner. Es gibt Pressure Groups, die die bürgerliche Welt für überkommen halten und sie abschaffen wollen. Frau Merkel hat diesen unerwartet schnellen Teilsieg erst ermöglicht. Und Teile der Exekutive, die eigentlich getreu den Gesetzen zu handeln hätten, befehlen den Volksvertretern, was sie zu tun und zu entscheiden haben:
Steinmeier als Bundespräsident hätte nicht sein müssen, die Balkanroute haben die Österreicher gegen Merkels Willen geschlossen, so ziemlich jeder Vermieter, den ich kenne, ignoriert ein Gesetz, das versucht, ihm Mietpreise wie im Sozialismus vorzuschreiben, und das alles mit einer dominierenden CDU im Bundestag: Die CDU hat diese Wahl gewonnen, aber ihre Kernanhänger sehen überhaupt nicht wie Sieger aus. Früher wusste man, was man von der Klientelpartei an Wahrung der eigenen Interessen erwarten konnte. Heute ist das Bürgertum eine Verhandlungsmasse in Talkshows. Früher war man wertkonservativ, heute ist man wertlos konservativ. Man hat das eine gewählt und das andere bekommen. Es kann gut sein, dass es bei der Schliessung der Balkanroute eine helfende Hand aus der bayerischen Staatskanzlei gab, die nun auch die Südgrenze mit den Österreichern verrammelt. Aber der Institution Familie konnte man noch schnell zeigen, wo ihr Platz im aktuellen Berliner Geschehen ist. Ich privat würde die Ehe ganz einfach abschaffen und sexuelle Freiheit predigen: Trotzdem habe ich gentile Phantomschmerzen. Nicht weil Homosexuelle heiraten dürfen. Sondern weil deren Lobbyisten danach unsereins weiter als cisheteronormativ diffamieren und bekämpfen werden.
Und den ihnen helfenden Staat, der sie früher unterdrückte, nun als Waffe verwenden, mit seinen Gleichstellungstellen , der Regulierungswut und Gleichmacherei angesichts des Verlangens nach sozialer Gerechtigkeit. Wir passen mit dem Horten von Vermögen und der Suche nach Sicherheit nicht in das Weltbild der schlecht bezahlten Wasmitmedienmacher in den Berliner Mietwohnungen, die Stabilität und Kontinuität nicht kennen, und auch nicht deren Bedeutung. Und niemand kann sagen, was als nächstes kommen mag. Das ungute Gefühl besagt, dass der Staat über den Umweg der von ihm mitverursachten Kinderarmut und dem Ruf nach Chancengleichheit noch mehr als bisher in die Erziehung und Indoktrination der Kinder eingreifen wird – nach der Ehe der nächste Pfeiler der gentilen Weltordnung. Bitte, ich habe keine Kinder und will auch keine. Aber ich kann die Unsicherheit im bürgerlichen Lager, die nun mit dem Ruf nach Artikel 6 des Grundgesetzes und Verfassungsbeschwerde übertönt wird, verstehen.
Denn nach den vier letzten Jahren ist nichts unvorstellbar, und was mir traditionelle Politiker so erzählen, klingt immer gleich und zunehmend gleich verzweifelt: Uneinigkeit nütze nur dem Gegner, zu wenige haben ein klar konservatives Profil, man müsste das aus Sachgründen mittragen, aber man sei sicher, dass am Boden, in der Provinz, die Handhabe dann eine ganz andere sei. Niemand werde bei den Mietpreisen hinschauen, die Flüchtlinge wollten eh alle nach Duisburg und Berlin, der Heiko Maas sitzt mit Anetta Kahane in keinem Biergarten. Das kleine, bürgerliche Paradies kann bleiben, wie es will, und die Wehrpflicht kommt nach der Bundestagswahl teilweise auch wieder. Dann schütten sie eine Halbe auf ihre Magengeschwüre und noch einen Marillenschnaps, weil, in Wirklichkeit, geht es ihnen mit Merkel wie einem Jungsozialisten mit HartzIV und einem SPD-Netzpolitiker mit dem Staatstrojener.
Keiner will das. Aber am Ende machen sie doch mit, wagen keinen Aufstand, und weil der nicht kommt, geht es eben so weiter.