An gscheidn Griag, des is wos Leid wia Ia amoi wiada brahchan.
Die Carolin vom Biergarten antwortet auf die Frage nach Glutenfreiheit
Wenn Sie einmal ein phantastisches Buch über Aufstieg und Fall einer Industrie lesen wollen, die an der Weltspitze stand, innovativ war, und deren Produkte auch heute noch bestehen können – und die trotzdem dem Untergang geweiht war: Kaufen Sie sich “The Golden Age of Handbuilt Bicycles” von Jan Heine.
Ein Prachtwerk, von Rizzoli umgesetzt wie ein Buch über einen Dom oder einen Renaissancemaler. Es beschäftigt sich mit massgefertigten Rädern, die in Frankreich von den 30er bis zu den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts enorm populär waren, mit einem Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die ersten Jahre danach.
Damals, erklärt Jan Heine anschaulich, und nicht anders würden es auch die Vorfahren der deutschen Leser berichten, war Benzin extrem knapp, Autos wurden vom Militär und den Behörden eingezogen, die Autoindustrie hatte für den Krieg zu liefern, und die Bahninfrastruktur war gestört. So blieb den Menschen das Rad als Hauptfortbewegungsmittel. Just in dieser Zeit wurden in den grossen Städten und besonders Paris schnelle, leichte und für den Transport von Lebensmitteln geeignete Räder populär.
Sie erlaubten weite Touren auf das Land, und dort den Einkauf von Lebensmitteln für den Schwarzmarkt in der Stadt. Die französische Radindustrie zehrte bis in die 80er Jahre von den Erfindungen und Entwicklungen jener Epoche, und wir verdanken ihr die Schaltwerke, die Kurbeln mit mehreren Kettenblättern, leichte Schutzbleche und Gepäckträger, Cantileverbremsen und den heute so populären Ahead-Vorbau. Ich habe selbst fünf Maschinen aus dieser Epoche – es sind wirklich herrliche Räder, robust, komfortabel, hochwertig, zuverlässig.
Der Niedergang dieser Industrie kam mit der Verfügbarkeit des Automobils. Die Menschen setzten sich lieber in skurrile Selbstmordmaschinen wie eine Isetta oder einen Messerschmidt Kabinenroller, oder auf eine Kreidler Florett oder eine Vespa – alles, was knatterte, stank und Benzin benötigte. Die Menschen kauften nicht mehr beim Bauern, sondern beim Supermarkt um die Ecke. Das Land wurde vom Sehnsuchtsort mit Knödeln und Würsten zum Produzenten degradiert, dessen Milch nie mehr als einen Euro kosten darf, und das Pfund Hack geht nur mit Tiefstpreisgarantie über den Tresen.
Kaum jemand erradelt sich noch einen Speck oder Eier. Das machen ein paar Kenner wie ich, die alte Räder lieben, aber die Mehrheit ist anders. Cem Özdemir fährt mit dem nagelneuen E-Bike zur Industriellenvereinigung, Lindner lässt sich in der S-Klasse ablichten. Ich warte darauf, dass in anderen Medien wunderbar bebilderte Beiträge über klassische Tourenräder, Nervex-Muffen und Kurbeln von Specialites T.A, kommen, die nun bald 70 Jahre alt sind. Es kommt: Nichts.
Es müsste aber so sein, wenn man das Fahrverbot für Diesel ernst meint. Kaum ein LKW fährt mit Strom oder Brennstoffzellen. Die gesamte Versorgung von zivilisierten Städten wie München und Stuttgart bis hin zu lebensfeindlichen Krisenzonen wie Berlin, Kinshasa, Bogota und Düsseldorf läuft nun mal mit grossvolumigen Dieselmotoren. Man kann natürlich “den Diesel” aus der Stadt verbannen, das ist nicht das geringste Problem. Aber dann sollte man auch konsequent sein, und nicht die Russpartikel des LKWs oder Rettungssanitäters gegenüber den Abgasen der Pendler bevorzugen. Emissionen sind gefährlich? Dann muss man eben alle gleich reduzieren, und nicht Menschen aus dem Umland benachteiligen, während die Städte für ihre Belange gern den Diesel aufs Land schicken. Und die Vorfahren können berichten, dass Krankentransport auf dem Leiterwagerl in der ganz schlechten Zeit auch üblich war. Man muss nur wollen, dann geht es ohne Verbrennung und Emission durch Diesel.
Man kann die alten Räder nicht nur nachbauen, man tut es bereits. Jan Heine zum Beispiel lässt alles, was früher schick und praktisch war, wieder herstellen, und es gibt auch Messen und Blogs für die Schönheit des alten, sauberen Gefährts aus Stahl und europäischer Fertigung. Was ich aber lese, und nicht nur ich, sondern auch alle, die in den letzten Jahren neiderfüllt meiner kleinen, dummen Heimatstadt an der Donau den totalen Niedergang gewünscht haben, und dachten, mit dem Abgasskandal würde es endlich so kommen, ist etwas ganz anderes: Der VW-Konzern verkauft wieder blendend. Die Kunden gehen all der Skandel zum Trotz doch wieder zum altbekannten Hersteller. Und kaufen, wo Scheckheft-Reparaturen, Restwert, Betriebszeit und Zuverlässigkeit mitsamt 17-Zoll-Felgen und mehr als 200 PS für den 2 Tonnen schweren Geländewagen geboten werden.
Und sie tragen dadurch bei, dass einer wie ich zwar Räder explizit befürworten, aber gleichzeitig den Reichtum dank Immobilien nahe der Autofabriken mehren kann, ohne auch nur einen Finger zu rühren oder nachzudenken, was mir ohnehin zu schwer fallen würde. Weil das ist nämlich wirklich nicht meines und wider meine Natur, und vermutlich wird man sich auch bei den denkenden Kollegen in den Redaktionen sagen, dass ich damit nicht allein bin: Denn wie sonst wäre es zu erklären, dass trotz Skandal und Aufklärung und Schlagzeilen der Verbrecher von gestern das Luxusgut von heute liefert. Meines Erachtens – ich habe gegen meine Grundüberzeugung nachgedacht – liegt das daran, dass solche Journalisten und der typische Käufer eines hochwertigen Automobils in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären lebten. Gestern Abend beispielsweise hat mich ein Kollege aus Hamburg und Berlin bei Twitter angemault, und ich habe einmal nachgeschaut, was er in den letzten Jahren veröffentlichte: Das reicht kaum für einen gebrauchten Dacia, geschweige denn für einen deutschen Mittelklassewagen.
Deutsche Hersteller der Oberklasse wenden sich nun nur mit ihren Car-Sharing-Lösungen an schlecht bezahlte Projektmenschen. Das Hauptgeschäft machen sie mit der fest angestellten Mittelklasse, gut verdienenden Freiberuflern, mit Firmen für dié Dienstfahrzeuge, und Menschen, für die der satte Klang beim Türenschliessen auch beim Drittauto wichtiger als ein paar tausend Euro ist. Es mag durchaus zutreffen, dass eine gewisse urbane Schicht dem Auto gänzlich entsagt und das Prestige bei jungen Menschen gelitten hat. Viele junge Menschen restaurieren auch keine alten, französischen Tourenräder und radeln nicht im Eisacktal – aber für den Markt ist allein relevant, was die Zielgruppe tut und denkt. Supermärkte leben davon, dass jemand billiges Hackfleisch und einen Einmalgrill für den Görlie kauft, und Hotels am Tegernsee profitieren, weil jemand Geld für Kuren und Botox verschwendet, um nicht wie billiges Hackfleisch oder Griller im Görlie auszusehen. Das alles ist in einer ausdifferenzierten Klassengesellschaft mit widersprüchlichen Interessen gleichzeitig möglich. Wer nur sein Kind in Berlin Mitte zur Kita nebenan bringt, sieht die Welt mit anderen Augen als jene, die das Kind zum Pferd oder am Abend zum Konzert bringen, und das hingehauchte Kleid von Moschino nicht in die Kette eines hinreissenden Porteurs von Rene Herse gewickelt sehen möchten. Der erste Typus ist Journalistin, hat wechselnde Partner und schreibt über Nahverkehr und Patchwork. Der zweite Typus kümmert sich erst mal ein paar Jahre nur um Haus, Katze, Kinder, Wellness, Vermögen des Partners und Pferde und liest Frauenzeitschriften.
Und dieser Typ würde es auch nicht ertragen, wenn der Mann 2017 immer noch mit dem zu Abwrackprämienzeiten gekauften Mazda in ein Hotel fährt, in dem alle anderen etwas Besseres in die Tiefgarage stellen. Es liegt in der Natur der meisten Medienmacher, dass sie gern über das Gute schreiben, wie eben Umwelt und Abgasreduzierung, und daher über den Dieselskandal empört sind. Es liegt aber eher in der Natur der Menschen, dass sie kein heiliger Franziskus oder neuer Stalin sind und alles Vermögen sofort und radikal umverteilen. Sie sind vielmehr ein wenig egoistisch, bequem und bedacht, das Leben in exakt jenem Wohlstand zu verbringen, von dem sie meinen, er stünde ihnen zu. Und deshalb werden auf den grossen Parkplätzen vor den Malls die Windschutzscheiben mit “Kaufe Ihr Auto”-Karten verziert, auf dass die alten Wägen ein zweites Leben in Nigeria, Jordanien und im Kongo erhalten, und der Ersatz mehr Raum, mehr PS und mehr farblich passendes Leder hat. Diese Verschwendung ist dem schlecht bezahlten Moralredakteur aus dem ökonomischen Mangel heraus so fremd wie mir, der ich nach der Oberschichtendevise Raffen, Räubern und Reparieren aufgewachsen bin.
Man könnte das Elend der Verschwendung und alle aus ihr entstehenden Ungerechtigkeiten sofort beenden, man müsste nur verführen, es anders zu machen, und die anderen müssten sich verführen lassen. Das neue Strafgericht Gottes mit Feinstaubmassensterben und Dieselpest jedenfalls scheint kaum zu wirken. Die Franzosen wollten nach der automobilen Zwangspause im 2. Weltkrieg nicht wie ein Indochinese unter ihrer Kolonialverwaltung mit dem Fahrrad fahren, und auch jene, die noch nicht so lange hier sind, sehen in geschenkten Rädern die gesellschaftliche Abwertung: Angesichts der Realität der Konsumgesellschaft reicht es offensichtlich nicht, den einen Lebensentwurf zu verdammen, ohne angenehme Alternativen benennen zu können.
Das ist immer so: Der Katholik sieht den Skandal bei den Regensburger Domspatzen und tritt nicht aus der Kirche aus, weil er eine weisse Hochzeit und Taufe für die Kinder will. Der Muslim könnte gegen den Terror demonstrieren, und hält sich lieber an den Fastenmonat. Witwen könnten ihre Villen für Migranten räumen, und Migranten sollten Immobilien besser behandeln, und schönere Geschichten liefern, und die stünden dann sicher an der Stelle jener bedauerlichen Nachricht, dass die Deutschen einfach nicht verstehen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Man hat es ihnen schließlich gesagt. Es stand in der Zeitung, ganz gross. Es kann nicht sein, dass die Realität der Realitätskonstruktion Hohn spricht, denken die Autoren auf dem Weg in die Kantine. Sie sind so gedankenverloren, dass sie die mindestentlohnte Tunesierin hinter der Theke beim Verkochtepampeindenblechnapfklatschen nicht fragen, wie es eigentlich jetzt schon Dessert mit Äpfeln geben kann, obwohl die noch gar nicht reif sind und auch nirgendwo in nachhaltig-biologisch vertretbarer Nähe da oben am Hamburger Polarkreis wachsen. Auch haben sie noch nie gefordert, dass es täglich ein Kraut-, Wirsing-, Kohl- und Rübengericht gibt, obwohl man darüber wirklich schöne Geschichten schreiben könnte, so biodynamisch der Eigenanbau kurz nach dem Krieg gewesen ist.
Auch davon könnten die Alten erzählen. Und warum nach der Zeit des Krauts die Epoche des Fleisches kam, der vollen Teller und Tanks und einer Gesellschaft, die sich mit dem Wohlstand so arrangiert, dass sie über die Probleme nachdenkt und die konkreten Folgen ignoriert, bis es nicht mehr anders geht. Das ist der historische Normalfall, radikale Umsetzungen erkannter Probleme findet man bei Wikipedia unter “Holdomor” und “Rote Khmer”, unter “Generalplan Ost”, “Fünfjahresplan”, “Grosser Sprung nach vorn” und dem, was Alte zu allen Zeiten als “gscheidn Krieg” bezeichneten, um Jüngeren die Flausen von Luxus und plakativem Selbstekel auszutreiben.
Also. Es werden teure, deutsche Autos gekauft, die Löhne steigen in vielen Bereichen, die Mieten gehen nach oben, und wer in Sektoren arbeitet, die wirklich absteigen – Medien zum Beispiel – bleibt dabei auf der Strecke und lebt langfristig eher in einer multikulturell geprägten Randlage mit sozialen Herausforderungen. Ginge es der Autoindustrie schlecht, ginge es Medien sogar noch schlechter. Ich verstehe die Verbitterung und all die Rufe nach einem Ausgleich sozialer Gerechtigkeit. Aber ich finde es ausreichend, wenn ich meinen Teil dazu beitrage, indem ich das Radfahren propagiere und beschreibe, wie viel Spass es macht, mit einem alten Umberto Dei oder Chesini die Mille Miglia zu besuchen, oder mit einem vom Schrott geretteten Bianchi die Alpen zu überqueren. Das ist mehr als nichts, und amüsanter als Klagen über ausbleibende Einsicht und Selbstkasteiung von Höherstehenden, die das traditionell einfach nie und nimmer tun werden.
Wir sind so. Wir ändern uns nie.