Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Her mit den leicht bekleideten Romanen

Sie schaut her, und ich schau hin – Schwupps! – Heidi, nun bin ich drin!
Demetrius Schrutz

Ich bin – eigentlich – der ideale Kunde für Verlage. Und wenn mein wohlgesonnenes Auge auf dem stetig wachsenden Bücherstapel am Sofa ruht, verzeichnen mich die deutschen Verlage sicher auf der Seite der wirklich guten Kunden. Immer noch. Der Buchmarkt lebt, ähnlich wie Konzertveranstalter, von Menschen wie mir. Von einem kleinen Teil der Bevölkerung, der Zeit und Geld hat und wirklich gern liest. Von denen, die wirklich noch in kleine Buchgeschäfte gehen. Wenn ich in Bad Tölz bin, zum Beispiel, gibt es eine hübsche kleine Buchhandlung. Da gehe ich praktisch immer hinein und kaufe ein Buch. Da gibt es, wie in der dummen, kleinen Stadt an der Donau oder in Wasserburg, einen Buchhändler, der selbst liest und mir zutreffend sagen kann, was mir gefallen könnte.

Manchmal lese ich auch den Waschzettel und sage mir: Das probieren wir mal. Das sind dann meistens die Rohrkrepierer, bei denen ich nach 50 Seiten den Eindruck habe, man müsste mir die Innenwände meines Gehirns mit Kernseife ausschrubben. Natürlich mag man das unter denen, die nicht nur aus Freude lesen, anders sehen, aber einmal lieh sich meine Mutter am Tegernsee ein Werk eines eher akademischen, deutschen Nachwuchsautors aus und rief mich an, nur um mir mitzuteilen, dass das Buch ganz schrecklich sei und sie nicht gedenke, da auch nur einen einzigen weiteren Absatz zu lesen. Manchmal kaufe ich Bücher, weil ich mir sage: Es mag sein, dass es mir beim ersten Anschein nicht gefällt, aber man muss alles mal probiert haben. Dadurch kam ein in den Medien Vielgerühmter mit beachtlicher Preissiegerliste in meiner Wohnung, und ich fand ihn selbst ganz schrecklich. Früher empfand ich es als persönliche Niederlage, ein Buch nicht auszulesen, Inzwischen bin da radikal: Es gibt keinen Grund, sich von so einer Person nach einer gewissen, ernsthaften Abmühung am Text auch nur eine weitere Minute Lebenszeit vergällen zu lassen. Ich lasse mich schließlich auch nicht zwingen, Leberkäse zu essen. Im Sommer darauf griff meine Mutter ins Regal und lieh sich ein Buch von Deborah Levy aus, weil sie dachte, es könnte spannend sein. Das habe ich mir damals rein äußerlich auch gedacht, sicher irgendeine französische Poolgeschichte, und wir beide fanden es dann belastend. Da bin ich auf Cover und Waschzettel hereingefallen.

Wenn man eine weitere Wohnung bezieht, wächst eine Bibliothek der dort gekauften Bücher, und daher habe ich etwas Überblick über meine immer noch häufigen, aber seit Studentenzeiten klar abnehmenden Erwerbungen. Zwei von drei Büchern sind Monographien und Ausstellungskataloge über Kunst, denn ich gehe in kein Museum, ohne mir nicht mindestens ein Buch zu kaufen. Das ist geblieben, wie es schon immer war. Bei Belletristik könnte ich nun geschickt ablenken und Ihnen die bibliophile Ausgabe der Prínzessin Brambilla dem Verlag Artur Wolf, Wien, zeigen, und erzählen, wie ich dieses Buch im Privateinband mit Kennerblick aus einer roten Plastikkiste auf dem Flohmarkt zog. Ich könnte versonnen im weimarschen Musenhof von Wilhelm Bode blättern und sie darauf hinweisen, schauen Sie mal, dass das Buch noch 1919, ein Jahr nach der Revolution, von Mittler&Sohn, königliche (!) Hofbuchhandlung verlegt wurde, und gemütlich in eine Debatte über monarchistische Kultur in der Weimarer Republik abrutschen. Seit 1901 hatte dieses Werk damals bereits 17.000 Exemplare verkauft, und es liest sich erfrischend. Und es ist als Buch nach 100 Jahren mit seinem Dünndruckpapier der allerschlechtesten Zeit immer noch in einem famosen Zustand.

Ich lese also auch “alte Schinken”, die andere achtlos dem Wohnungsausräumern überlassen. Ich habe meine Vorlieben und gebe für eine gute Gestaltung der Bücher auch gern mehr Geld aus. Ich komme aus einem lichten Tale und singe ein Lied, das lautet “Kommet zu mir, Verleger, bringt mir Eure Güter, die jungen, heissen Feger, die delektieren die Gemüter”. Aber das Tal wird zu einer nebligen Schlucht, und während überraschenderweise der grässlich klingende Titel Krematorium von Rafael Chirbes tagelanges Lesevergnügen nahe an Gabriel Garcia Marquez lieferte, rutschte meine Stimmung bei Veronique Ovalde, Die Männer im allgemeinen gefallen mir sehr, zunehmend in den Abgrund Bei manchen schlechten Büchern lese ich hinten wenigstens nach, was aus den Figuren wurde, aber mittlerweile ist mir das mitunter egal.

Es ist nicht durchgehend so, dass “alle jungen Frauen und alle deutschen Autoren” langweilig wären, und nachdem ich Nora Gomringer persönlich erlebt habe, habe ich ihre Bücher gekauft und mit Genuss gelesen. Ich stehe nur in Buchläden vor den Regalen und merke selbst, wie spanische oder portugiesische Namen und deren Titel meine Aufmerksamkeit bekommen. Das ist nicht neu, in meiner Jugend galt zum Beispiel Jorge Amado als absolute Pflichtlektüre für jeden, der sich auf amüsante, linksliberale Art mit den Kulturen und Widersprüchen Südamerikas auseinander setzen wollte. Es kann sein, dass “Das Nachthemd und die Akademie” heute noch einen neuen Verleger fände, aber “Dona Flor und ihre zwei Ehemänner”, “Die Geheimnisse des Mulatten Pedro” und “Die Abenteuer des Kapitäns Don Vasco Moscoso“? In einem Land, in dem Mohrenapotheken wegen ihres Namens unter Druck gesetzt werden, wäre Amado einer der ersten Kandidaten für das Autodafé der Bildungsfernen. Was glauben Sie, wie oft bei Amado Frauen, gern auch mit Hinblick auf ihre teilweise afrikanische Abstammung – Amado geht damit ganz offen um – auf den Hintern… Das könnte man heute nicht mehr neu verlegen. Dauernd reden die Leute und Sex, Essen und soziale Gerechtigkeit – zwei von drei Themen haben im von jungen Frauen dominierten Verlagswesen gar nichts mehr verloren. Aber ich merke beim Lesen, dass Amado, Ibargüengoitia und andere immer noch bei jüngeren Autoren Lateinamerikas durchscheinen.

Das geht auch in Italien, wo das Erbe von Calvino nicht unbedingt vergessen ist. Aber wenn ich vor Deutschen stehe, und die machen klar die Mehrheit in Buchläden aus – da denke ich mir: Wenn ich das jetzt kaufe, und es ist schon wieder ein Literaturbetriebsprodukt mit Blick auf Studienaufenthalte in Rom und Stadtschreiberposten in Bochum, dann denken die Verlage, sie könnten sich das leisten, und publizieren noch mehr von dieser Sorte. Meine Experimentierfreude bestätigt sie in der Einfallslosigkeit anämischer Stilisten, die wahrhaft schöne Themen nur in ironischer Verblendung oder gestelzter Distanzierung aufnehmen, mit dem klaren Ziel, überall ein Problem zu sehen. Oder eine Nazigeschichte. Oder ein Vergewaltigungstrauma. Oder eine ansteckende Krankheit. Oder einen Mutter-Tochter-Konflikt, den ich auf meinem Sofa nicht lesen will, und auch nicht gern im Regal meiner geschätzten Buchhandlungen sehe.

Im Ergebnis dominieren zwar Frauen die Bestsellerlisten, aber sie tun es mit geringer werdenden Umsätzen. Das kann ihnen gleichgültig sein, der Ruhm ist ihnen gewiss. Aber auf der Kundenseite finde ich wie viele andere weniger, was ich einfach gerne haben will. Ich ertrage nur einen gewissen Anteil Experiment auf sicherer Freude, ich werde ungehalten, wenn jedes dritte Buch ein Flop ist, und kaufe dann lieber noch eine Kunstmonographie.

Es macht mich nicht ungebildeter, mein Schwerpunkt verlagert sich, und wenn ich dann höre, dass der Buchhandel mit Einbrüchen zu kämpfen hat, denke ich mir nur: Ach? Soso. Ja, das mag sein. Wissen Sie, früher wurden Buchgeschäfte gleichermaßen von Männern und Frauen besucht, heute stelle ich oft fest, dass auf einen Kunden drei, vier Kundinnen kommen. Vielleicht bin ich nicht der einzige, der nicht schon wieder Bücher über Ekzeme und SS-Opas lesen will.

Literatur war nie die Literatur für alle, aber früher angelte die gewerkschaftliche Büchergilde Gutenberg den Arbeiter wie den besseren Sohn mit Büchern von B. Traven – ein weisser, deutscher Mann, der die grausame Geschichte von indigenen Völkern für seinen eigenen Weltruhm benutzte und an Hollywood verkaufte. Man fühlt geradezu das aufgeregte Tastenhämmern von Schwarzrandbrillenträgern, die einen Rollkragenpulli tragen und sich deshalb trotz Tätigkeit für SPON für Feuilletonisten halten, um so einen Kolonialrassisten zur Strecke zu bringen, denn bei Christian Kracht konnten sie sich damit ja auch schon ins Scheinwerferlicht inquisitionieren. So trägt der Betrieb dazu bei, dass das eine in die Vorschauen kommt, und das andere vielleicht eher nicht, und wer will schon den verbliebenen Markt der mittelalten, weissen Frauen mit sozial korrektem Bewusstsein gefährden, um verlorene Leserschichten anzusprechen, denen nur mit viel Sex und Gewalt eine undogmatische Ahnung der richtigen Einstellung angeboten werden konnte.

Also, komplizierte Gouvernantenliteratur kaufe ich nicht, um Verlage nicht auf falsche Ideen zu bringen, Amado kann man auch drei, vier mal lesen, ohne dass es langweilig werden würde, es kostet auch nichts, und Museen freuen sich natürlich, wenn teure Werke über Bustellis laszive Porzellanarbeiten, Photographie im Moulin Rouge oder die Beziehungen zwischen Rom und den Barbaren zum Festpreis verkauft werden. Ich bin Kunde, man liefere nach meinem Plaisier: Hic Rhodus, hic salta. Tanja Blixen hat es doch auch geschafft, auf 65 Seiten sieben Skandale der besseren Kreise mit Sex und Gewalt unterzubringen: Beziehungen können ohne 180 Seiten Leiden an der deutschen Geschichte formvollendet scheitern.

Und Wagenbach möchte ich von der Kritik meistens ausdrücklich ausnehmen.