Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das richtige Gefühl für Heimat siegt

Sie waren zufrieden mit sich. Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen.
Lion Feuchtwanger

Früher war das mit den freien, gleichen und demokratischen Wahlen in Bayern ganz einfach: Es gewann die Partei, die man in Deutschland kaum mit Freiheit, Gleichheit und Demokratie in Verbindung bringt. Manche sagen ja, die CSU sei die letzte Volkspartei, aber ich denke, sie ist nach dem Ende der SED die letzte Staatspartei gewesen. Und wenn man wie ich immer die anderen wählte, hatte das erstens keine Bedeutung, weil die CSU eh machte, was sie wollte, und zweitens konnte man sagen, wenn die CSU mal wieder einen Skandal verursachte: Ich habe sie nicht gewählt, weil die eh machen, was sie wollen. Es war eine angenehme Art, der eigenen Verantwortung zu entgehen. Aber seit Neuestem wähle ich zwar weiterhin nicht CSU, aber dafür Wahlgewinner. Erst gestern ist mir das in Gmund wieder passiert, jetzt – nach dem grünen Landrat – schon zum zweiten Mal.

Das war überhaupt nicht zu erwarten, denn Gmund, wo auch Ilse Aigner ihr Wahlkreisbüro hat, war lange, lange Zeit fest in der Hand der CSU-Granden. Wer bei Google sucht, findet da auch einige Skandale, aber einer der Gründe für die Partei war beispielsweise der Konditor Wagner, der einen Tages durch ein Missgeschick herausfand, wer ich bin und was ich beruflich mache: Der war von meinen Texten über Gmund, der Perle am nördlichen Tegernsee, wenig begeistert, obwohl ich oft seine famosen Torten abbildete. Aber er beschwerte sich auch auf eine nettere Art als die meisten Twitternutzer und versuchte nie, mich irgendwie zu bestechen. Er meinte nur manchmal: So, was hom’Sn heid wieda gschriem? Und das war es dann auch. Dann ging der alte Wagner in Pension, weil er sich nach einem langen Arbeitsleben mit der selbst aufgebauten Konditorei jetzt auch um sein Privatleben, die Familie und etwas mehr um die Gemeinde kümmern wollte, und starb statt dessen bald am Herzinfarkt. Das war schlimm.

Vor ein paar Wochen habe ich dann auf dem Weg von Gasse zum Oberbuchberger Hof den Herrn Bürgermeister getroffen, ebenfalls von der Partei, und er grüsste mich freundlich – ich habe den starken Verdacht, dass auch er weiß, wer ich bin und was ich hier treibe, und daher scharf beobachtet, dass ich Hodalump nix Falsches nicht schreibe über unsere schöne, gemeinsame Heimat. Ich hätte eigentlich allen Grund, etwas gegen ihn zu haben, weil er auf die schlechte Idee kam, die Alm gegenüber meiner Wohnung aus dem Alpenschutzgebiet zu nehmen und zu bebauen. Natürlich braucht Gmund Wohnraum, aber nicht vor meiner Terrasse anstelle meiner Kühe. Zum Glück sah das Landratsamt die Sache genauso wie all die dort oben wohnenden nicht ganz armen Menschen, und hat die Bebauung untersagt. Das hat den Bürgermeister so geärgert, dass er im Gegenzug überlegt hat, gemeinsame Leistungen für andere Talgemeinden, die an diesem Beschluss beteiligt waren, zu reduzieren. Der Bürgermeister war hier nach inzwischen 18 hauptamtlichen Berufsjahren nicht wirklich der Typ Mensch, der mit Widerspruch gut umgehen konnte.

Ich grüsse ihn trotz des Anschlags auf meine Aussicht, weil ich auf der anderen Seite seinen brachialen Charme schätze – stellen Sie sich Don Camillos Peppone mit guter oder schlechter Laune vor, so nett kann dieser Bürgermeister sein, und seine Wutausbrüche sind fast so gut wie die von Luis de Funes. So etwas wird heute gar nicht mehr gebaut und wenn doch, gibt es sicher eine von Beraterwieseln angeregte Brüsseler Vorschrift dagegen. Er hat auch fraglos komödiantisches Talent, er ist manchmal ein Spaßvogel und seine Schreiben an seine Untertanen im Gemeindeboten zeigen deutlich, dass er auch um seine Außenwirkung und sein Temperament weiß. Er war einer, der siegen wollte, und das auch mit Methoden, die eher rustikaler Natur waren. Jedenfalls, im Gegensatz zu mir ist er aber auch einer, der weiß, wann es genug ist, und im Gemeindeboten schrieb er zum Schluss nach einer abgeschmetterten Anzeige gegen ihn noch einmal auf, warum ihn das so ärgert:

Bevor er dann das tat, was jeder gute Demokrat tut: Platz für eine neuen CSU-Kandidaten machen, dem dann vom Volke per Wahl gehuldigt wird. Und weil das hier eine bayerische Vorzeigeregion ist und die Demokratie auch bayerisch, war der neue Kandidat der CSU der Sohn des alten Bürgermeisters. Andernorts, wo sich lesbische Netzwerke üppig dotierte Genderprofessixstellen mit gefälligen Gutachten zuschieben, würde man sich am gentilen Prinzip vielleicht stören, aber warum sollte eine Gemeinde anders laufen als ein Bauernhof. Und außerdem könnte dann der Neue auf den mit allen Tegernseewassern gewaschenen Erfahrungsschatz des Alten zurückgreifen. Außerdem, fügten Parteianhänger hinzu, habe man es als Gemeinde natürlich leichter, wenn Bürgermeister und Staatsregierung Parteifleisch vom Parteifleische sei. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dass die Partei ernsthaft Werbung machen muss, liegt am Debakel um den alten CSU-Landrat: Der musste zurücktreten und – man höre und staune – ein Grüner hat gewonnen. Ein Grüner! Was den Menschen hier nicht alles einfällt. Am Ende wollen sie nicht einmal den Sohn des Alten als Bürgermeister.

Vor zwei Wochen war die erste Runde, und angetreten sind neben dem Parteikandidaten auch noch ein Roter, der mit einem für die Bundes-SPD bald formidablen Ergebnis von etwas mehr als 13% ausschied, und a gschdandns Mannsbuid von den Freien Wählern, das für das Wahlplakat noch nicht einmal den Rasierapparat bemühte und wirkte, als bewerbe es sich für den Posten eines Wilddiebbandenchefs. Der von der Partei dagegen trug die brave, rote Jacke der Bergwacht und man kann jetzt nicht sagen, dass er wirklich etwas falsch gemacht hätte: er lag nur nach der ersten Runde knapp an zweiter Stelle. Und gestern nun habe ich natürlich wieder nicht die Partei gewählt, sondern die anderen und siehe da: Der Unrasierte, der wo verhaut ausschaugt und im echten Leben im Baureferat von Miesbach arbeitet, hat gewonnen.

Warum, darüber streitet man sich hier noch, aber es mag etwas mit dem früher beliebten Biergarten von Kaltenbrunn zu tun haben, den der Schörghuber mit Hilfe der Partei zu einem Luxushotel umbauen wollte, und daher dem alten Pächter gekündigt hat. Neu und besser sollte das alles werden und internationale Gäste anziehen, die angeflogen kommen und nicht wie der hiesige Klein- und Mittelmillionär zu Fuss am Strandbad vorbei laufen. Dazu gab es in der Gemeinde fast so eine Art Bürgerkrieg, bis am Ende ein Gericht in München einen Strich durch die Hotelpläne machte. Dann starb auch der Schörghuber – es sind ziemlich viele Leute gestorben in den letzten Jahren – und der junge Käfer machte daraus einen Biergarten, wie zugezogene Münchner und Sylter sich vorstellen, dass ein Biergarten aussehen sollte. Wengadem Schmarrn dem greislign sitzen dann Leute wie ich auf der anderen Seite in Seeglas oder am Gasteig und verzichten auf das Privileg, “Tegernsee meets Sylt”-Wochen zu Sylter Preisen in diesem pardon hochgschissnen Sparifankerlbiergarten der wo eine Parodie ist, wenn man ihn mit dem alten Biergarten vergleicht.

Es sind solche – im Prinzip – Kleinigkeiten wie die Alm oder der Biergarten, die hier entscheiden. Andere müssen mit Nachverdichtung leben oder finden keinen Parkplatz, brandgefährliche Gangs betreiben Spielhöllen, Bordelle und vegane Kindergärten in der Nachbarschaft, und es passieren Elbphis und BERs und Stuttgart21. Bei uns baut man geräuschlos mit dem Geld der Staatsregierung ein Haus für Migranten und denkt daran, dort bald Einheimische unterzubringen, und reißt schnell nach dem Ende der Notunterkunft die alte Seeturnhalle weg: So muss man sie nicht sanieren und bei der nächsten Einladung aus Berlin hat man leider, leider keinen Raum, der bezogen werden könnte. Das ist vielleicht nicht nett gegenüber anderen Gemeinden, und da erkennt man, wie gewieft bei uns Lokalpolitik gemacht wird.

Aber die Alm. Und Kaltenbrunn. Und der Umstand, für den der Bürgermeister nichts kann, aber der in seiner Zeit wegen der Merkel auftrat: Nämlich, dass sich die Immobilienpreise in den letzten 10 Jahren verdreifachten und zu wenig Bauland da ist. Und die generelle Unzufriedenheit im Tal mit dem Gefühl, dass man mehr und mehr zur Kulisse in einem Tourismuskonzept verkommt. Und dass wir jetzt auch mal wieder dran sind. Und dass noch weniger Modernisierung noch besser wäre. Dass einfach wieder mehr für die ganz normalen Leute in den ganz normalen 250m²-Villen getan werden sollte. So eine Gemeinde hat schließlich auch eine soziale Verantwortung für die Bürger und ihre Bedürfnisse. Das hörte man hier immer wieder.

Und so ist es jetzt halt gekommen, und es muss auch kein Signal für den Fremdfranken Söder sein, der am kommenden Sonntag den Hiesigen beim Josefifest in Reutberg seine Aufwartung machen wird (hier wird von diesem Unterwerfungsritual berichtet). Manche sagen, dass sich alles ändern muss, damit alles bleiben kann, wie es ist, aber hier denkt man, alle anderen sollten sich besser ändern, damit es ist, wie es bleiben kann. Der unrasierte Wilddieb von den Freien Wählern war irgendwie uriger, kantiger, nicht so glatt und schon die Plakate rochen nach Testosteron: Das kommt hier nun mal an, und die Bewahrung der Heimat hat er so massiv betont, dass man woanders die Schulen geschlossen hätte, damit die Kinder gegen ihn demonstrierten. Die Staatspartei und ihr Kandidat haben trotzdem noch 47% bekommen, und müssen sich nicht gerupft fühlen. Der andere ist nicht der Sohn vom alten Bürgermeister, aber vielleicht auf seine Art ein Original wie der alte Wagner eins war. Die Siegerparteinamen ändern sich, die Vorliebe für bodenständige Charaktere bleibt.

Es muss nichts mit der Grossen Koalition in Berlin und mit Frau Merkel zu tun haben. Wirklich nicht. Es gibt viele kleine, lokale Gründe, warum die alte Macht sich nicht mehr durchsetzen kann und durch Leute bedrängt wird, die noch etwas regionaler und traditioneller sind. Erst beim zweiten Nachdenken sollte das den Bürokraten und Berlin und Brüssel vielleicht etwas Sorgen machen, aber bis dahin haben wir hier einen weiten Weg. Noch.