Eigentlich ist zehn vor acht zu früh zum denken. Nichts denkend fällt mein Blick also auf das Schild im noch leeren Café: ChariTea. Nie gehört. Ein Lifestyle Drink? Fair Trade Tea Drink steht weiter unten auf der Tafel. Wie bitte? Vielleicht doch Cherry Tea? Nein, wirklich ChariTea, Charity, Wohltätigkeit, Almosen. Was um Himmels Willen hat Charity mit Fair Trade zu tun? Mir erscheint schon Fairness als eine recht minimalistische Konzeption von Gerechtigkeit, aber die nun auch noch in ein Almosen zu verwandeln… Ist die wohlwollende Wohltätigkeit nicht so ungefähr das Gegenteil von fairen Tauschbeziehungen?
Heute Morgen, in diesem grauen Herbst, scheint mir in dieser Vermischung von Almosen und Fairness das ganze Elend unserer Gegenwart zusammengefasst: Denn sie verschleiert die eigentlichen Prozesse der Aneignung. Sie verwandelt die Ausgebeuteten in Bittsteller und die anderen in Wohltäter. Die Tauschprozesse, die unser aller Beziehungen eigentlich konstituieren, werden mystifiziert. Indem wir Gerechtigkeit in einen Gnadenakt verwandeln, trösten wir uns darüber hinweg, dass es mit der Fairness nicht weit her ist: Auf der website von Fairphone kann man z.B. erfahren, dass es bisher noch nicht möglich ist, ein fair produziertes Handy zu kaufen: Die Produktionsketten sind zu komplex, als dass man jedes Element daraufhin untersuchen könnte, ob es fair hergestellt wurde. Unzählige Güter sind „fair“ einfach nicht zu haben. Überraschend ist das ja eigentlich nicht. Faires Öl?
So helfen wir uns, indem wir Politik in Moral verwandeln. Nichts gegen Moral, schon gar nichts gegen Barmherzigkeit, aber Wohltätigkeit verteilt die Rollen eindeutig: Hier die, die geben – und darüber ihrem persönlichen Heil etwas näher kommen; dort die, die zu passiven Empfängern reduziert werden.
Wir können diese Rollenzuschreibungen natürlich nicht durchsetzen. Aber die, die einen Anteil einfordern, ertrinken vor Lampedusa. Oder sie „missbrauchen“ das Asylrecht. Man fragt sich, welches Gesetz die Migrant_innen denn sonst missbrauchen sollten als das Asylrecht. Haben sie irgendeine Alternative?
„Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht.“ Vier Worte. „Politisch“: Im obigen Sinne könnte man ja durchaus sagen, dass das Elend, vor dem die Menschen fliehen, politisch ist. Wikipedia sagt mir, dass Politik „sämtliche Institutionen, Prozesse, Praktiken und Inhalte, die die Einrichtung und Steuerung von Staat und GAsylrecht statt Charityesellschaft im Ganzen betreffen“, bezeichnet, also, so würde ich meinen, auch sämtliche Institutionen, Prozesse, Praktiken und Inhalte, die die Einrichtung und Steuerung des globalen Kapitalismus und uns als Weltgesellschaft betreffen. O.k., das ist zwar der einzig konsequente, weil unsere Verflechtungen reflektierende Politikbegriff, aber auch ein sehr weiter. Insbesondere wenn man das nächste Wort hinzu nimmt, „Verfolgte“. Wenn aber nicht mal einer, der wirklich seinen so eingeschränkten, man möchte fast sagen anachronistischen Kriterien entspricht, wie Edward Snowden, es in Anspruch nehmen kann, fragt man sich, wofür dieses Asylrecht überhaupt noch taugt. „Geniessen“ – nun ja, das lass ich mal aus, möchte nur kurz betonen, dass man ein Recht geniesst. Also nun zum „Asylrecht“: Ist das Recht auf Asyl wirklich überhaupt noch als „Recht“, also einem Individuum durch das objektive Recht zuerkannten Anspruches zu bezeichnen, oder ist es jetzt auch ein Almosen? Ist hier gegenwärtig wieder die Verlagerung von verbindlichen Rechten in den Raum einer nicht mehr einklagbaren Moral zu beobachten: Asyl als soft law? Wenn man schon von Missbrauch spricht, wäre es ein Gebot der Fairness, Alternativen zu schaffen – und zwar nicht nur, indem wir uns die, die aus welchem Elend auch immer kommen, weniger brutal oder dort, wo wir es nicht mit ansehen, vom Leibe zu halten, sondern indem wir erstens die Migration entkriminalisieren. Und zweitens wirklich fair handeln. Nicht nur Tee.
Vielleicht ist es auch nur ehrlich, die Sache beim Namen zu nennen: dass wir heute Fairness nur in begrenztem Umfang und nach Gutdünken als Almosen vergeben.