Es könnte ein trauriger Anblick sein, ein Theater ohne Publikum und ohne Mitspieler, nur ein alter Mann steht in der Mitte der Bühne und spielt immer noch das gleiche Stück. Ein Scheinwerfer wirft einen Kreis auf den Bühnenboden und der Alte tappt hinein und wieder hinaus. Das Ende der Vorstellung liegt längst hinter ihm, er selbst aber scheint nichts davon zu wissen.
Wenn jemand sein ganzes Leben in einer immer größer gewordenen Fiktion verbracht hat, was geht in seinem Kopf vor, sobald die Wirklichkeit vor ihm steht und ihn herzlich hart umarmt? Wenn sich seine Getreuen von ihm abwenden und selbst sein Kronprinz nicht mehr mit auf die Barrikaden steigt, um den egomanischen Stolz des Ziehvaters zu verteidigen? Wenn sich die Justiz plötzlich gegen ihn wendet wie gegen jeden anderen Bürger auch, der die Gesetze verletzt hat? Wenn die Menschen nicht mehr die Rollen spielen, die er ihnen zugedacht hat?
Silvio Berlusconi ist im Traum groß geworden. Als junger Mann sang er Schnulzen von unendlicher Liebe, während er die Liebesobjekte wechselte wie andere Leute ihre Oberhemden. Billige Fernsehfiktionen machten ihn später zu einem der reichsten Männer Italiens, während er ganz reale Bevorteilungen von Politikern für sich einstrich und die Grenzen des Legalen ignorierte. Schließlich übernahm er selbst die Hauptrolle in einer Politsoap, die zu weit in die Realität hineinragte, als dass man sich über die Eskapaden des nonchalanten Protagonisten hätte amüsieren können.
Die erste Folge wurde 1992 ausgestrahlt, als die Korruptionsaffäre Mani Pulite („saubere Hände“) das tiefe Wurzelwerk aus Schmiergeldschiebereien und Gefälligkeiten innerhalb der italienischen Politikerkaste offenlegte. Sämtliche Parteien stürzten in sich zusammen und als Gewinner thronte über den Ruinen der Unternehmer und scheinbare Politikneuling Silvio Berlusconi, der sein Geld in der Wirtschaft gemacht hatte, was vielen im Vergleich zum verfilzten Politikbetrieb als Inbegriff des Ehrlichen erschien. Berlusconis angebotene Mischung aus tolldreister Frechheit und behaupteter Freiheit schienen eine Antwort auf die Misere zu sein, ein Ventil für die ganze angestaute Wut. Einmal laut lachen, wenn alles nur noch zum Heulen ist. Die Wirklichkeit wurde mehr und mehr auf die schlechten Sendeplätze verdrängt, man atmete auf.
Seit Mittwoch könnte diese Sendung nun doch endgültig abgesetzt sein, da entschied sich das Parlament für Berlusconis Ausschluss aus dem Senat. Was macht ein fiktiver Held, wenn seine Geschichte zu Ende erzählt ist? Löst er sich in Luft auf? Oder kämpft er darum, die Fiktion aufrecht zu erhalten, weil er für alles andere nicht lebensfähig ist? Endgültig, dieses Wort gibt es eigentlich nicht im Universum Berlusconi. So oft ist er gestürzt, so oft ist er wieder gekommen. Berlusconis Anhänger werden weniger, aber noch soufflieren sie ihm zu, was er hören will. Seine Kritiker seien Verräter, die ihn verurteilenden Richter Putschisten. Sie spielen mit Gefühlsaufwallung und Herzenseifer, es ist keine Tragikomödie antiker Größe, sondern ein trauriges Possenspiel – und vielleicht der letzte Versuch, die Wirklichkeit ein paar Minuten hinauszuzögern, ihm dort oben auf der Bühne noch Gesellschaft zu leisten, ehe der Saaldiener auch sie hinauswirft. Ob Silvio Berlusconi es merken wird?