„Gar nicht so selten trifft man auf Fälle, in denen Wörter auf eine Weise verwendet werden, die ihrer eigentlichen Bedeutung diametral entgegensteht.“
Max Goldt
Neulich stand ich schon etwas müde geworden in einem sehr schönen Opernhaus in Berlin unter glitzernden Kronleuchtern und dachte nach, bis ein ziemlich wichtiger Politiker mich ansprach. Er nahm Bezug auf eine Fernsehdiskussion, in der ich gesagt hatte, dass ich nicht wähle und alle Politiker für Lügner halte. Er war unglaublich höflich und geradezu interessiert daran, alle Zweifel am Politikerdasein, an der repräsentativen Demokratie, an Politik überhaupt aus dem Raum zu kehren. Dann sagte er: „Na ja, wenn so Kulturleute wie Sie über Politik reden, das ist ja so, als würde ich jetzt über Theater reden.“
Ich musste lachen, weil das eher nach einem Chaostheoretiker klang, als nach einem Politiker. Aber offenbar sind diejenigen, die am lautesten Demokratie schreien, deren ärgste Widersacher. Das Wort „demokratisch“ ist die Schwester von „lecker“. Alles ist heute entweder „demokratisch“ oder „lecker“. In den meisten Fällen trifft keines von beiden zu.
Insofern war der Krach zwischen Marietta Slomka und Sigmar Gabriel Ende letzter Woche im ZDF-Heute-Journal ein großer Fernsehmoment und unfreiwillig entlarvend: “Das ist doch Quatsch!“, „Was wäre denn demokratischer, als…“ oder „Das haben Professoren in der Zeitung geschrieben!“ Offenbarte er doch, wie Politiker, während sie freimütig von „demokratisch“ reden, wirklich über die Bevölkerung denken. Sie sind von ihr im Zweifelsfall nur genervt, jedenfalls, wenn sie Kritik anbringt. Das Gespräch war, als würden sich zwei Politiker über ein Theaterstück unterhalten.
Oder war das nur der Vorgeschmack auf die Große Koalition, auf eine Form politischen Stillstands, der zwar wenig wünschenswert ist, aber immerhin zumeist ein ordentlicher und ruhiger Zustand ist, der nur durch so nervige Frauen gestört werden kann, die schon wieder verhaltensauffällig werden und Fragen stellen? Und wenn Horst Seehofer sogleich einen Tag nach dem Gespräch Sigmar Gabriel beispringt, muss sich doch jeder Wähler der einen oder anderen Partei fragen: Was habe ich nur getan?
Jedenfalls, und das war einfach eine schöne Überraschung, war das Interview von Marietta Slomka kein Schwabbel- oder Trallalagespräch, sondern für unsere Verhältnisse sehr interessant. Weil sich Slomka und Gabriel mit Begriffen wie „demokratisch“ und „verfassungswidrig“ bewarfen, obwohl keiner so genau wusste, wovon er da überhaupt redet. Und weil das Interview, vielleicht versehentlich, die Frage aufwarf: Was verstehen wir unter Demokratie? Ein ordentliches Abgeordnetensystem, in dem Entsandte des Volkes deren Sachen regeln oder diese merkwürdige Scheinvolksabstimmung an der sogenannten „Basis“ der Parteien?
Es ist daher extrem verwunderlich, dass die Interviewerin sofort abgestraft wurde, statt dass über den Inhalt diskutiert wurde. Sogleich rotzten selbstsicherste und immer rechthabende Blogger durchs Netz, wie „zickig“ und „schroff“ die Alte da im Fernsehen war. Warum heißt es denn „zickig“ wenn eine Journalistin ihren Standpunkt verteidigt? Warum werden ihre Fragen als „Blödsinn“ abgewürgt, während auf viele Leitartikel eine solche Beschreibung viel besser zutreffen würde und das Fernsehen davon sowieso voll ist? Zivilisation beruht auf gegenseitiger sanfter Kontrolle und Korrektur, deshalb war das alles kein Blödsinn, sondern auf demokratische Weise lecker.
Hat die Autorin den Streit zwischen Slomka und Gabriel eigentlich überhaupt gesehen?
Da stellte Slomka dreimal dieselbe Frage, mit der Frage immer unterstellend, die SPD handle mit ihrer Mitliederbefragung verfassungswidrig. Gabriel erwiderte auf diesen Blödsinn genau das, was jeder Zehnjährige mit eigenem Denken auch schon herausbekommen hätte – wenn eine Mitgliederbefragung zu einer Koalition verfassungswidrig sein soll, dann ist es ein Parteivorstandsbeschluss zu einer Koalition erst Recht. Die Antwort war klar, eindeutig und korrekt.
Nicht korrekt war der dritte Versuch von Slomka, Gabriel erneut dazu zu bringen, das verfassungsgemässe Verhalten der SPD als verfassungwidrig zu kennzeichnen, ohne dafür ein neues Argument anzubringen oder auf Gabriels Antwort einzugehen. Slomka hatte auch keinen “Standpunkt”, sondern berief sich auf angebliche Verfassungsrechtler (genau einen), dessen krude These sie unverstanden dreimal wiederholte.
“Interviewerin sofort abgestraft …”??? Eben nicht. Das ZDF nahm sie in Schutz und sie hat noch immer ihren Job, nicht wahr? Die Debatte um die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der SPD aber ist erstaunlicherweise seit dem Streitgespräch beendet. “Zivilisation beruht auf gegenseitiger sanfter Kontrolle und Korrektur”? Schön. Dann darf sich Slomka völlig zu Recht korrigiert fühlen.
Glückwunsch an Gabriel, der endlich einmal das tat, was Politiker in einer systematisch verrückten Öffentlichkeit viel öfter tun sollten: Dummheit benennen und sich nicht alles gefallen lassen.
Ob deutsche Intellektuelle, wie die Autorin, das dann demokratisch lecker finden oder nicht. Obwohl sie erkennbar auch nicht so genau wissen, worüber sie da reden. Weshalb Politiker im Zweifelsfall völlig zu Recht genervt sind. Die Autorin ist herzlich aufgefordert, den Praxistest zu machen – sie befrage dreimal einen zufällig befragten Bürger auf der Strasse und unterstelle ihm/ihr mit der Frage gleichzeitig Betrug oder einen anderen Gesetzesverstoss. Nach diesem Sebstversuch können Sie, Frau Hünniger, dann weiter Ihrer Empörung darüber Ausdruck verleihen, dass auch Politiker nicht immer und zu jeder Zeit den Watschenmann der Nation abgeben wollen. Wenn Sie dann noch wollen …
Last but not least – mitnichten ist jeder Unsinn Kritik. Zu “Kritik” gehört ein Mindestmas eigenen Denkens. Die Antwort von Gabriel auf Slomkas Unterstellungen hätte sie sich auch selbst geben können. Und auf dumme Fragen verzichten. Es ist ein auch in Medien und Blogs immer weiter verbreitetes Missverständnis, jedes rausgerotzte Vorurteil sei “Kritik”.
Hätte ja nie gedacht, dass ich mal ausgerechnet Gabriel gegen Medienleute in Schutz nehmen würde. Aber lieber einen Gabriel als zehn Slomkas, Hünnigers oder andere Journalisten, die das eigene Denken offenkundig outgesourct haben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Lecker sinnfrei
war das Interview von SPD-Gabriel durch ZDF-Slomka kaum, denn es spiegelte den Redundanzanteil und den “Briefingstatus” vieler Gespräche wieder. Slomka trug den Mediensound, ob die SPD-Abstimmung, Grundgesetz, Demokratie… nicht unerlaubt tangiere >dem Gabriel< vor. Der war wohl zur Zeit entweder über die “Medienlage” nicht gebrieft, inhaltlich sauer oder verärgert über Slomka, dass sie ihrer “Gatekeeper-Funktion” nicht gerecht wurde. Slomka verteidigte zurecht ihre richtige Rolle bei der Beurteilung der Medienlage – so sinnfrei diese war. Warum Seehofer intervenierte, will man gar nicht mehr wissen. Am Ende blieb, selbst gestern in einer sich nicht kennenden Gesprächsrunde, wie zickig darf Slomka sein und wie “eisig” sind ihre Augen. Ich stand allein als ich Gabriel für zickig hielt, statt als Sozialkundelehrer noch besser zu erklären, andererseits das für einen lebensnahen Bürokrach hielt (vgl. Brüderle-Aufschrei), der zum Mündlichen dazugehört und der Empörung nicht lohnt.
Jetzt gendert Ihre schriftliche Meinung heran: Slomka ist gar nicht zickig und viele Leitartikel sind viel blödsinniger. Aber, das wäre gar nicht der Streit gewesen.
demokratisch = ausreichend legitimiert
Demokratisch, lecker, irgendwie gut – ist der Begriff nicht seit jeher eine Schachtel für die unterschiedlichsten Vorstellungen davon, was ein gutes Staatswesen ausmacht, gewesen? “Deutsche demokratische Republik”, “Demokratische Volksrepublik Korea”, usw.; dass wir “Bundesrepublik Deutschland” heißen, war ja durchaus einem Wunsch nach etwas mehr Präzision geschuldet. Eigentlich heißt doch “demokratisch” nichts weiter, als dass sich die herrschende Macht in Zeiten, in denen das Gottesgnadentum nicht mehr zieht, um Legitimation bemüht, die so weit ausreicht, dass auch die Beherrschten mit der Herrschaft einigermaßen einverstanden sind. Und Herr Gabriel bemüht sich! Er befragt die Mitglieder, er unterwirft sich den Regeln des bescheuerten Fernsehens, er nimmt die Risiken von Neuwahlen und noch schlechteren Wahlergebnissen für die SPD in Kauf. Er weiß aber auch eins: wahrscheinlich hat er die Mehrheit der Fernsehzuschauer_innen hinter sich, wenn er Frau Slomka als blöd hinstellt. Mich nervt diese pseudo-aggressive Masche unserer Fernsehjournalist_innen auch, die ihren Mangel an Interesse kaschieren, indem sie besonders frech und vorlaut daher kommen. Gabriel verhält sich also durchaus demokratisch-lecker, das Abkanzeln der Slomka verschafft ihm Legitimität.
Ich verstehe allerdings nicht, was es bringen soll, sich durch Nicht-Wählen ausgerechnet der Legitimationsbeschaffung durch Wahlen zu entziehen und gleichzeitig die Legitimationsbeschaffungsmaschine der Medien durch Talkshow-Auftritte als “kesse Nicht-Wählerin” zu bedienen und zu bespielen. Die Politiker sollen alle Lügner sein, aber Jauch und Co. haben den Mund voller Wahrheit? Anders als diese zynischen Mediengestalten scheint ein guter Teil unserer Politiker_innen – und gerade der sozialdemokratischen – doch immerhin noch über ein gewisses ethisches Fundament zu verfügen. Also mir jedenfalls kommen sie “leckerer” vor.
Kritik
Liebe Marion Detjen, das Bespielen von Medien ist ja nun unser Beruf und hat damit zu tun, Geschichten zu erzählen und sich öffentlich Gedanken zu machen, vielleicht sogar stellvertretend, in welchem Medium auch immer. So per Se aufs Fernsehen drauf zu hauen, ist auch nicht richtig.
Aber leider habe ich nie das Gefühl gehabt, dass es bei einer Wahl um etwas ginge, das mich betrifft. Rente? Wirds nicht mehr geben, wenn ich so alt bin. Mindestlohn? Kenne wenige, die noch eine Festanstellung bekommen. Ich möchte das einfach als Standpunkt und Kritik einwerfen und bin gern bereit mich auch für bessere Lebensbedingungen Anderer einzusetzen, also auch im Zweifelsfall zu wählen, obwohl mich die Wahlmöglichkeiten nichts angehen. Aber es fehlt etwas. Vielleicht so etwas wie Bedeutung hinter den Worten Demokratie oder Gerechtigkeit.
Sturm im Wasserglas..?
vom sich hinterher staatsmännisch gebenden Gabriel ja auch schon entsprechend bewertet –
“Schwamm drüber”. Eine Plänkelei, initiert von einer sich von Amts wegen berechtigt fühlenden
Journalistin, einem leicht gestressten Siegmar Gabriel uncharmant auf den Zahn zu fühlen….
Was soll`s – die Meinungsbefragung eines Teiles der SPD-Mitglieder ist in vollem Gange und
sie ist kaum verfassungswidrig, wohl aber riskant, wenn es nicht gelingt, dieser vorher stramm gegen Merkel getrimmten Parteibasis nunmehr die Koalition mit ihr anzuraten, weil man eine
andere, eine linke Mehrheit, prinzipiell ausschloss – wenigstens akut. Ziemlich viel verlangt von
von vielen Leuten, die Politik nicht als das wahrzunehmen bereit sind, was sie stets war und ist :
im Wahlkampf ein Maximum zu fordern, um am Ende etwas mehr als ein Minimum zu erreichen.
So gesehen, hat sich die SPD unter Gabriel so gut behauptet, dass man sich schon fragen muss,
warum diese Partei in Verkennung der Personen an der Spitze nicht gleich auf Gabriel gesetzt hat
Es besteht Hoffnung, daß die Befragung das von der Parteispitze gewünschte Ergebnis haben
wird und Deutschland noch vor Weihnachten wieder regiert wird – besser oder nur ordentlich..?