Bald werden wir die ersten Bilder von Ursula von der Leyen in Tarnweste in Afghanistan sehen. Sie wird nicht mehr bei ihrem Namen genannt werden, sie wird die Mutter der Kompanie sein oder das Drohnen-Röschen. Die erste Verteidigungsministerin ist natürlich die aufregendste Personalie im neuen Kabinett.
Heute Morgen aber musste ich an Frank-Walter Steinmeier denken, den neuen alten Chef des Außenministeriums. Den „Ferrari der Bundesregierung“ hat er das Amt in seiner Antrittsrede 2005 genannt. Mittlerweile hat der Ferrari an Glanz verloren. Das liegt an Guido Westerwelle, der seine Rolle leider erst ganz zum Schluss fand, aber nicht nur. In Europa verhandeln mittlerweile lieber die Regierungschefs selbst, statt ihre Außenminister zu schicken. Und seit Ausbruch der Schuldenkrise ist Schäubles Finanzamt das Ministerium Nummer Eins. Niemand erhob in den Koalitionsverhandlungen Anspruch auf das Auswärtige Amt, nicht einmal Steinmeier selbst.
Nun ist er doch wieder Außenminister. Was muss ein Chefdiplomat im 21. Jahrhundert können? Längst geht es in der Diplomatie nicht mehr nur um Verhandlungen zwischen Staaten. Es gibt neue Mitspieler: Etwa 100.000 multinationale Unternehmen und 50.000 NGOs wollen mitreden. Auch das Internet hat die Außenpolitik enorm verändert: Wer sich über Deutschland informieren will, liest nicht mehr zwangsläufig Broschüren der Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn man bei Google India „Merkel“ eingibt, sind die Internetseiten russischer Medien die ersten Treffer. Da stehen allerdings ganz andere Sachen drin. Es gibt einen Kampf um die internationale Meinung. Man muss ihn ernst nehmen. Es geht um soft power, um kulturelle Attraktivität: darum, was man der Welt von sich erzählt und ob die Welt einem das glaubt. Mit Wirtschaftsmacht kann man andere unter Druck setzen. Echte, nachhaltige Unterstützung bekommt man nur, wenn man für etwas steht, was andere gut finden.
Die Experten der internationalen Welt, die Diplomaten, sind ebenso von der Globalisierung überfordert wie alle anderen auch. Die WikiLeaks-Enthüllungen und der NSA-Skandal zeigen, dass sie ihre geschützten Räume verlieren. Wer will in Botschaften, die abhören und abgehört werden, vertrauliche Gespräche führen? Wie sollen hochkomplizierte Fragen verhandelt werden, wenn alles sofort veröffentlicht werden kann?
Ein deutscher Außenminister muss mit der Ukraine über die EU reden, während er in China BMWs verkauft und in Berlin versucht, sich von der Kanzlerin nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Willy Brandt hat vorgelebt, dass der Chef des Außenamts sich nicht nur für Sicherheits- und Wirtschaftsfragen, sondern auch für Kultur interessieren sollte. Steinmeier ist der einzige Außenminister der letzten Jahre, der Außenkulturpolitik wirklich ernst genommen hat. Was bedeutet es, wenn die Berliner Philharmoniker in Tokio Brahms spielen oder Ingo Schulze in Peking vorliest? Es bedeutet: sich mit anderen, mit der Welt da draußen, darüber zu verständigen, wie wir leben. Dieses Sprechen über Kultur findet in literarischen Lesungen oder Theateraufführungen ebenso statt wie in Diskussionsveranstaltungen über Flüchtlingspolitik oder Frauenrechte.
Mit der Schuldenkrise fiel allen plötzlich auf, dass Europa nicht nur aus Währung besteht. Wenn Geld nicht mehr glücklich macht, wird nach „der Kultur“ gerufen. Es gibt ein paar wirklich wichtige Fragen: Was macht die digitale Überwachung mit uns, die Ökonomisierung, der Klimawandel? Es sind globale Fragen, die in allen Kulturen gestellt werden, Fragen für einen Außenminister. Es ist gut, dass Frank-Walter Steinmeier wieder da ist. Er wird sich dafür einsetzen, dass diese Fragen diskutiert werden, von Kulturleuten und von Politikern, bei uns und anderswo. Auch in China interessiert man sich nicht nur für Autos.
Ein Auswärtiges Amt, das die Bedeutung von Kultur hochhält, könnte das vornehmste aller Ministerien werden.