Was hat es auf sich mit dem „Chinesischen Traum“? Hier in China weiß das niemand so genau, aber alle wissen, dass sie ihn träumen sollten, seitdem ihn Xi Jinping, der Kopf der Kommunistischen Partei und Präsident, vor einem Jahr ausgerufen hat. Für Herrn Xi hat der Traum zwei Inhalte: erstens die „Große Verjüngung der chinesischen Nation“, und zweitens „Wohlstand für alle“, vielleicht eher eine Variation des amerikanischen Traums als eine Anleihe am deutschen Konzept der sozialen Markwirtschaft. „Jeder Chinese ist ein Mitglied des chinesischen Dream-Teams“, sagt Zhang Haiou, der Chefredakteur der staatlichen New World Press. (https://news.xinhuanet.com/english/china/2013-08/31/c_132679026.htm) Der Chinesische Traum hat sich mit dem Gerede der staatlichen Medien über Frieden, „win-win“ Entwicklungen und ökonomische Stärke verschmolzen. Für einige im Militär besteht er darin, dass China die Nummer Eins in der Welt werden soll. So ist es mit den Träumen: Sie haben ihr Eigenleben. An den kreativen, kulturell subversiven Rändern der Gesellschaft, wo der Wandel von Denkweisen und Werten stattfindet, sehen sie ganz anders aus. Vielleicht ist die Kluft zwischen dem, was der Staat will und dem, was die Menschen tun, nirgendwo so offenkundig wie beim Träumen des Chinesischen Traums. Schauen wir uns das Ständige Komitee des Politbüros an, wie es in schwarzen Anzügen aufgereiht dasteht: Der staatliche Traum ist bisher klar geschlechtergebunden, ein Traum von Männern. Männer haben in China das Sagen: die sieben Männer des Komitees, einer von ihnen Xi. Und schauen wir uns diejenigen an, die grundsätzlich von der Macht ausgeschlossen sind: Frauen. China ist voll von klugen und tapferen Frauen. Zum Beispiel He Chengyao, eine Künstlerin aus Peking, die zur Zeit im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen in der Ausstellung „Sie. Selbst. Nackt“ zu sehen ist (bis 2. Februar). (https://www.museen-boettcherstrasse.de/) Frau He findet allein schon die Idee eines Traums in einem Einparteienstaat bizarr: „Die zentralisierte Staatsmacht will, dass wir alle den gleichen Traum träumen, ist das nicht absurd?“, fragt sie und lacht. Frau He, die in ihrer Kunst ihren ganzen Körper einsetzt und sich in China vernachlässigten Themen wie den psychischen Erkrankungen widmet, ist kürzlich aus Tibet zurückgekehrt, wo sie sich mit dem Buddhismus beschäftigte. „Vom Buddhismus können wir lernen, dass wir aus unseren illusorischen Träumen aufwachen sollten“, sagt sie. Ihr Traum ist also, nicht zu träumen; jedenfalls nicht so, wie der Staat es möchte. Andere haben weniger anspruchsvolle, aber ebenso verlockende Träume. Ma Jiajia, eine 23jährige Universitätsabsolventin, träumt davon, allen Chinesen mehr und besseren Sex zu ermöglichen. Sie hat eine Online Platform eingerichtet, die sie „Powerful“ nennt, wo die Kundinnen und Kunden ihres Sex Shops, der ebenfalls „Powerful“ heißt, sich verabreden und Ratschläge oder was immer sie wollen austauschen können. Sex, sagt sie, sollte Spaß machen und nicht mit Scham verbunden sein. Für viele ist das eine Neuigkeit, sagt sie. Gerade den Frauen wird in einer tief verwurzelten Schamkultur beigebracht, ihre Wünsche zu verstecken, sagt sie. Und dann sind da diese Gruppen junger, engagierter, oft akademisch gebildeter Frauen, die singend und tanzend ihren politischen Protest mit Kunstaktionen und Performances in die Öffentlichkeit bringen, zum Beispiel indem sie öffentlich ihren Kopf rasieren und Toiletten besetzen. Sie träumen davon, die weit verbreitete, oftmals versteckte Diskriminierung von Frauen zu beenden. Diese Diskriminierungen zeigen sich in den Anforderungen von Universitäten, die bei bestimmten Fächern von Frauen eine höhere Punktzahl verlangen als von Männern; in den invasiven gynäkologischen Untersuchungen an weiblichen Bewerbern für den Staatsdienst; in den frauenfeindlichen Anstellungspraktiken vor allem bei privaten Firmen; im Ausbleiben staatlicher Hilfe für die Opfer häuslicher Gewalt; in den Schwierigkeiten, die die Frauen in der Landwirtschaft haben; und in vielen anderen Bereichen. Eine nationale Verjüngung für China? Ja, aber wahrscheinlich nicht so, wie es sich die sieben Männer des Ständigen Komitees vorstellen. China träumt. Fragen wir die Frauen. Aus dem Englischen von Marion Detjen
Der „Chinesische Traum“ – geträumt von den Frauen
1. Januar 2014 | 3 Lesermeinungen
Na, ich weiß nicht...
Die meisten Frauen, die ich in China kennengelernt habe, träumen da wesentlich weniger anspruchsvolle Träume. Das waren hauptsächlich Studentinnen & da geht es eher darum, einen möglichst guten Job zu finden, bald nach dem Studium (spätestens mit 28) zu heiraten & mindestens ein Kind zu kriegen.
Habe zwar immer versucht, ihnen zu zeigen, daß es mehr gibt als Familie & Beruf, aber glaube nicht, daß ich sehr erfolgreich war. Wenn überhaupt, dann gibt es abweichende Lebensplanung nur im Bereich Selbstverwirklichung (sprich: statt eines “anständigen” Bürojobs will man Fotografin oder Journalistin werden), aber selbst das sind Ausnahmen.
Antwort...
(Bitte Schreibfehler verzeihen!) Klar gibt es viele solche Frauen! Ich kenne sie auch, die, die sich gar nicht erlauben zu träumen, oder von dem sicherem Job, Kind mit 28, Auto, Wohnung träumen. Aber manche erlauben sich anders zu träumen, und darin stecken einige Ueberaschungen…
Ich bin dankbar
über jeden einzelnen Denkfehler von Genossen Xi, der Rot-China beim Wachstum über alle Maße stört und behindert. Auch die chin. Kommunisten hängen an der Kunstform des homo oeconomicus. Sie meinen, Willen und Handlung der Menschen werden von logischen und materiell interessensbedigten Einflüssen bestimmt. Also setzen sie “win-win” und das neue “Reichwerden” in das Zentrum der Beeinflussung des Denkens der Massen. Glücklicherweise zerstören sie so den rot-chinesischen Individualismus, der Leistung aus vielen privaten Grün- den massenhaft ermöglicht. Findet Herr Xi jedoch dafür den politischen Schlüssel, wärs mit dem Westen wohlmöglich doch zuende. In diesem Kontext tut mir die chin. Weiblichkeit leid. Parallel dazu ist mir mgl. viel Unterdrückung zwecks Schwächung gerade recht. Niemand muss sie dann von außen her aufhalten.