Dank Online-Petition ist es heute so einfach wie nie, sich für eine gute Sache (oder absurden Quatsch) einzusetzen: Für die Freilassung politischer Gefangener, den Fortbestand des Deutschen Fernsehballetts oder die Einführung der Sitzplatzpflicht in bayerischen Schulbussen. Drei Klicks und schon ist die Unterschrift erstellt, die gute Tat des Tages abgehakt.
Doch dass die gutgemeinte Idee solcher Plattformen auch menschenverachtende Hetze verbreiten kann, beweist derzeit openpetition.de. Wer in diesen Tagen die Webseite aufruft, stößt umgehend auf Sätze, in denen Homo- oder Transsexualität mit Sodom und Gomorrha, Satan, Hass oder ähnlichem in Verbindung gebracht wird.
Diese finden sich unter der Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“, eingereicht von Gabriel Stängle, 41, Realschullehrer aus dem Schwarzwald. Privat ist der 41-Jährige in einer christlichen Gemeinschaft aktiv, die bibelorientiert lebt, schreibt die taz.
Die Petition, die derzeit ca. 58.000 Menschen unterschrieben haben, richtet sich gegen ein Positionspapier der rot-grünen Regierung zur Bildungsplanreform. Dort ist auch ein Passus zur „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ enthalten: Schule soll ab 2015 vermitteln, dass nicht alle Menschen heterosexuell sind oder in das Männlein/Weiblein-Schema passen und dass dies vollkommen in Ordnung ist.
Stängle bezieht mit Argumenten Stellung, wie man sie von Kampagnen evangelikaler Christen in den USA kennt. Im Unterricht würde eine „neue Sexualmoral propagiert“, natürlich mit schlimmen Folgen: Es fehle die „ethische Reflexion der negativen Begleiterscheinungen eines LSBTTIQ-Lebensstils, wie die höhere Suizidgefährdung unter homosexuellen Jugendlichen, die erhöhte Anfälligkeit für Alkohol und Drogen.“ Eine frühere Fassung der Petition, die von den Betreibern der Plattform entfernt wurde, war da noch eindeutiger. Stängle musste den Text ändern, um nicht mehr gegen die Nutzungsbedingungen der Plattform zu verstoßen. Diese verbieten ausdrücklich Diskriminierung von Einzelpersonen oder Personengruppen, auch nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.
Die diskriminierenden Inhalte sind inzwischen also verklausuliert, im Gegensatz zu den Kommentaren. Ihr Duktus erinnert an kreuz.net, der 2012 wegen „Verdachts auf Volksverhetzung“ eingestellten Plattform. Empörend ist, dass diese Hetze gegenüber Homosexuellen nun eben legitimiert wird, denn Online-Petitionen besitzen eine hohe Glaubwürdigkeit. Selbst die Lehrergewerkschaft GEW verurteilt die Petition, gegen Stängle wurde Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.
Warum wird diese Petition also nicht gelöscht? Fritz Schadow, Pressesprecher von openpetition.de erklärt mir: „Die Petition zum Bildungsplan formuliert eine sehr konservative Forderung.“ Ja, diese Petition ist erzkonservativ. Doch die Kommentare stammen von Menschen, die eine wortwörtliche Auslegung des alten Testaments propagieren. Das nennt man Fundamentalismus.
Schadow ist der Meinung, dass Betroffene und Gegner der Petition selbst die Kommentar- und Debattenfunktion nutzen sollen. Schadow: „Wenn andere Nutzer*innen zeigen können, dass die Befürchtungen unbegründet sind, ist das eine gute Möglichkeit, dem zu begegnen. (…) Verlinkte Quellen bieten die Möglichkeit, sich intensiv mit dem diskutierten Thema auseinander zu setzen und sich ein besseres Bild zu machen, als es durch den Petitionstext allein möglich ist.“ Aussagen wie „Homosexualität kommt von Satan“ kann man jedoch nicht mit Argumenten begegnen. Und es ist eine Zumutung für die Betroffenen, sich damit beschäftigen zu müssen. Solange openpetition.de sie nicht angemessenen schützen kann, muss die Petition von der Plattform genommen werden.
Darstellung in Ihrem Artikel scheint mir sehr einseitig
Ich habe mir die Mühe gemacht, die Online-Petition zu lesen. Bei den Kommentaren habe ich allerdings schnell aufgehört. Dort bekriegen sich unter Pro und Contra in übelster Shitstormmanier Kommentatoren. Aber – die hasserfüllten Kommentare finden sich nicht nur unter Pro sondern genauso unter Contra. Ich für meinen Teil konnte nicht erkennen, welche Seite weniger diffamierend ist.
Der Ton der Petition ist deutlich sachlicher, als die Verkürzung auf zwei Teilsätze im obigen Artikel suggeriert. “Menschenverachtend” scheint mir die Petition nicht zu sein, aber sie bezieht klar Stellung.
Vermutlich werden die Schulkinder in BW auch heute schon aufgeklärt und es wird ihnen vermutlich auch nicht erzählt Homosexualität sei abartig. Die Petition erklärt ausdrücklich die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Vorstellung von homosexuellen Lebensentwürfen, fordert aber Grenzen und begründet diese recht unaufgeregt.
Auch wenn jemand “in einer christlichen Gemeinschaft aktiv [ist], die bibelorientiert lebt” ist es möglich, dass er rational und geradeaus denken kann. Auch wenn die community der taz sich das vermutlich nicht vorstellen kann.
Ich empfehle jedem Eiferer, die Petition selbst zu lesen. Das Lesen der Kommentare empfehle ich ausdrücklich nicht.
Naja, was da oben steht, ist ja schon die, wenn Sie wollen, zensierte Fassung der Petition. Das Original durfte der Urheber nicht stehen lassen- Auf das Original verlinke ich im Text auch, das kann man auch bei Openpetition anschauen, das liest sich schon ganz anders. Aber die aktuelle Fassung kann ja auch da stehen bleiben, wenn Open Petition es schafft, die Hass-Kommentare angemessen zu moderieren. Meine Argumentation ist, dass sie das nicht tun und das DESWEGEN die Petition runter soll, wegen der Unfähigkeit von openpetition.de. In den Kommentaren geht es nicht um Argumentation für oder gegen die Petition, sondern darum, dass Individuen ihren Hass auf Homosexuelle rauslassen. Das gehört da nicht hin.
Verstehe ich Sie richtig: Zensur, weil die falschen Geister gerufen werden?
Verstehe ich Sie richtig , Frau Lohaus, Sie empfehlen die Petition zu löschen, weil die falschen Geister gerufen wurden? Weil das Gebrüll des Mobs zu groß werden könnte, darf eine Meinung nicht geäußert, begründet und zur Disposition gestellt werden?
Wenn ich beispielsweise eine Petition für die Gleichstellung von Homosexuellen in in Bezug auf Ehe und Adoption starte und die gleichen Leute in gleicher Form sich auf der Kontraseite auslassen, dann muss diese Petition gelöscht werden, weil dem Mob sonst ein Forum geboten wird?
Wenn ich eine Petition für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf den Weg bringe und auf der Pro-Seite die gesamte AntiFa ihren Hass auf die bürgerliche Gesellschaft artikuliert und vielleicht auch ein paar verwirrte Geister zum Mord am Establischment aufrufen, dann muss die Petition zurückgezogen werden?
Ihre Empfehlung zur Selbstzensur scheint mir bizzar.
Nein, das verstehen Sie falsch, ich setze mich nur und ausschließlich für eine Löschung (oder auch nur zeitweise Sperrung) der Petition ein, solange die Betreiber der Plattform nicht in der Lage sind, die Kommentare der Petition entsprechend ihren Nutzungsbedinungen zu moderieren. Solange sie das nicht tun, geht es auf der Plattform nicht mehr um die Petition (den Bildungsplan in Ba-Wü), sondern darum, dass Menschen die Möglichkeit haben, ihren Hass auf Schwulen und Lesben loszuwerden. Eine andere Möglichkeit wäre, die Kommentare strenger zu redigieren, z.B. nur die stehen zulassen, die sich auch tatsächlich mit der Petition befassen, oder die Kommentarfunktion für diese Petition zu sperren, aufgrund er besonderen Situation. Dann kann man imer noch unterzeichnen.
Sorry, wenn ich da noch einmal nachhake
Sorry, wenn ich da noch einmal nachhake, Sie würden sich also auch für die Löschung oder vorübergehender Sperrung einer Petition für die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft stark machen, wenn sich in den Kommentaren – dann auf der Kontraseite – Hass gegen Homosexuelle erkennen lässt? Zumindest solange die Betreiber der Seite nicht in der Lage sind, den Spam zu entfernen?
Das kommt aus Ihrem Artikel für mich nicht so rüber.
Selbstverständlich, wenn die Petition dazu genutzt oder missbraucht würde, Hass-Kommentare zu rechtfertigen.
Spielt der Inhalt der Petition für Sie jetzt eine Rolle oder nicht?
Spielt der Inhalt der Petition für Sie jetzt eine Rolle oder nicht, wenn Sie entscheiden ob Sie eine Löschung oder Sperrung der Petition anstreben?
Ihr Antwort klingt so, als würde es eine Rolle spielen, denn in meiner Konstruktion rechtfertigt der Inhalt der Petition die Hasskommentare ja gerade nicht. Die treten in dem Fall auf der “Contra”-Seite auf. Die Reichweite des Forums ist aber dieselbe.
Wenn ich Ihrer obigen Argumentation folge, komme ich eigentlich zu dem Ergebnis, jede Petition ist auszusetzen, wenn der Mob sich im Kommentarbereich austobt. Sie scheinen dem nicht folgen zu wollen. Es scheint mir eher, als suchen Sie nach Argumenten, das Aussetzen nur dann zu befürworten, wenn Ihnen der Inhalt nicht gefällt. Damit sind wir bei “Niemand darf seine (regelkonforme) Meinung frei äußern, wenn unliebsame (nicht regelkonforme) Elemente dadurch Wasser auf ihre Mühlen bekommen.” Wenn ich Sie da richtig verstehen: Sieht so die Verteidigung der pluralistischen Gesellschaft aus?
Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen? Was meinen Sie mit Inhalt?
Herr Werlauf
Es ist ungaublich schwierig, nicht am konkreten Fall zu sprechen. Pro Kontra was. Was wäre da meine Meinung? Ich verstehe es nicht. Wir haben es hier ja auch mit einem Sonderfall zu tun. Unter der Petition stehen ca. 10.000 Kommentare. Davon würde ich ca. die Hälfte als diskriminierend einstufen. Das hat ein Ausmaß erreicht, bei dem es überhaupt nicht mehr, um die Petition geht, die Petition ist lediglich zum Auslöser für etwas geworden. Wie intentional das ist kann ich nicht sagen, sondern nur vermuten, weil ich Herrn Stängle nicht kenne. Ich vermute, dass Herrn Stängle das aber gut zu pass kommt, weil die vorherige Fassung der Petition, die die Plattform SELBST heruntergenommen hat, darauf hindeutet.
Wenn Sie einen konkreten Fall brauchen, dann konkret
Sie argumentieren, die Petition (egal wie die Vorversion aussah) bewege sich zwar in ihrem Inhalt (dem Text der Petition) in rechtlich zulässigem Rahmen, aber die Kommentare wären derart diffamierend, dass die Kommentare den Inhalt (den Text der Petition) überlagern und deren diffamierender Ton den rechtlich zulässigen Rahmen verlässt. Ergo soll die Petition zurückgenommen oder ausgesetzt werden, damit die Kommentare nicht mehr lesbar sind. Wenn Sie auf der Petitionsseite waren, wie Sie sagen, so wird Ihnen vielleicht aufgefallen sein, dass man dort “Pro”- und “Contra”-Kommentare hinterlassen kann. Die von Ihnen fokussierten Kommentare finden sich unter der Rubrik “Pro”.
Mein oben konstruierter Fall sollte lebensnah genug sein, um sich vorstellen zu können was im Kommentarbereich auf der “Contra”-Seite passieren würde, wenn eine Petition für “Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft” eine ähnliche Prominenz erreichen würde. Damit würde den diffamierenden Kommentaren auf der gleichen Plattform die gleiche öffentliche Aufmerksamkeit zuteil.
Und die Frage ist jetzt, ob Sie dann auch bei dieser Petition, deren Inhalt (den Text der Petition) Sie eigentlich unterstützen, deren Bannung befürworten und anstreben. Wenn Sie ihrer eigenen Argumentationslinie folgen, müssten Sie das nämlich meines Erachtens tun. Und damit wären wir bei: Der Mob kann alles niederschreien, wenn er nur will.
Ach, jetzt verstehe ich: Richtig, meiner Argumentation nach, kann der “Mob dann alles niederschreien, was er will”. Und damit wären wir bei den Grenzen der Idee der direkten Demokratie angekommen. Darum bin ich ganz froh, dass es hier nur um Symbolpolitik geht und Petitionen wie diese keinerlei rechtliche Wirksamkeit haben. Auf eine Art verhandeln wir ja gerade, an diesem Beispiel, wie sich Demokratie in Zeiten der Massenbeteiligungsmöglichkeiten ausgestalten kann.
Man rechnet bei der jüngeren Generation gar nicht mehr mit Leuten,
die Einsicht zumindest in die Schwächen direkter Demokratie haben.
Ich persönlich erfuhr Ende der achtziger in den “Vollversammlungs”-Demokraturen der Hochschulen am eigenen Leibe, was direkte Demokratie bedeutet (inklusive – folgenloser – Gewaltandrohungen, gottseidank bin ich Mann, 1,93 gross und war damals schon ehemaliger Offizier).
Seitdem wünsche ich den Deutschen ja ab und an echte Basisdemokratie. Als Strafe :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
Oh, wirklich, aha. Ja, ich sehe das kritisch. Ich habe in Hamburg erlebt, wie es mit einer geschickten PR-Kampagne gelungen ist, Leute dazu zu bringen, in einer Volksabstimmung gegen das zu stimmen, was ihnen selbst gut getan hätte. Ich bin auch nicht für eine Diktatur von Experten, wie wir sie teilweise heute schon erleben können, und ich denke auch, in bestimmten Bereichen ist direkte Demokratie sinnvoll (Spielplatz in der Nachbarschaft oder mehr Parkplätze), um die Bedürfnisse der Menschen nicht zu verfehlen. Aber bei solchen Fragen? No.
Ihr Vorschlag führt mE nach nicht zum Ziel
Wenn Sie die von Ihnen hier geäußerte Vorstellung von Informations- bzw. Teilhabebeschränkung Realität würde, so führte das mittelbar zur völligen Abschaffung einer breiten Diskussion in der Bevölkerung oder zum Aufbau von leistungsfähiger Zensur. Ist Ihnen das bewusst?
Sie sagen: Die Meinungen des extremen Randes sind nicht zumutbar, deshalb muss die Petition mindestens ausgesetzt werden, bis die Kommentare bereinigt sind.
Nehmen wir mal an, diese Regel gälte. Was wäre die Folge: Sobald eine Diskussion in der öffentlichen Wahrnehmung einen gewissen Schwellenwert überschreitet beginnen die in der Regel gut organisiserten und aktivierten extremen Ränder der diskutierenden Gruppen damit, Kommentare abzusondern, die in die Kategorie „unzumutbar“ fallen. Damit wird die Petition ausgesetzt. Die „unzumutbaren“ Kommentare werden entfernt. Sobald die Petition wieder aktiviert wird beginnt das Spiel der hasserfüllten Meute von vorn. Folge: die Petition ist in der Regel offline. Vermutliche Gegenreaktion: Verkürzung der Bearbeitungszeit für die „Reinigung“ von Kommentaren. Wie wird man schneller? Durch EDV oder durch gröbere Raster. Folge: Mit breiter Feder werden Kommentare gelöscht. Das betrifft dann vermutlich nicht nur den extremen Rand sondern auch zulässige Äußerungen. Das Meinungsbild wird überarbeitet, wie ein schlechtes Foto, mit der Folge, dass es ähnlich künstlich ist. Demokratisch würde ich das auch nicht mehr nennen.
Insgesamt wäre es eigentlich sinnvoller, die Diskussionen, die geführt werden, zu versachlichen. Diese Tendenz ist aber gerade im Netz nicht zu beobachten. Wenn Sie Ihren eigenen Beitrag zu diesem Eskalationskarussel kritisch hinterfragen, werden Sie sicher ahnen, was ich meine.