Wenn heute über Feminismus debattiert wird, empfinden viele das Anliegen nur noch als redundant, Feminismus ist für sie eine überholte Spielart politischen Aktivismus, mit einer simplistischen Agenda — Latzhose an und BHs verbrennen. Aber wenn man dann schließlich doch in die Diskussion einsteigt und das Thema der Ungleichheit zur Sprache bringt, nicht zu verleugnende Tatsachen wie das steile Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Deutschland, dann wird klar, dass auch diejenigen, die als Gegner des Feminismus auftreten, das eigentliche feministische Kernanliegen sofort unterschreiben würden: nämlich eine Welt zu erschaffen, in der das Geschlecht eines Individuums weder dessen Lebensqualität noch die sich ihm eröffnenden Möglichkeiten einschränken darf.
Die Frage, ob wir Feminismus überhaupt brauchen, ist die falsche Frage. Wenn von Mainstream-Feminismus die Rede ist, ist in der Regel einfach die Erörterung vernünftiger Maßnahmen gemeint, um Gleichheit herzustellen. Feminismus-Gegner sind sehr, sehr selten anti-Frau. Selbsternannte Anti-Feministen sprechen sich vor allem gegen eine spezifische Rhetorik aus. Und in der Popkultur ist der Feminismus mittlerweile ohnehin eine Art willkommene Strohpuppe, die uns ablenkt von sehr viel weiter gefassten, durchaus notwendigen Diskussionen.
Die mangelnde Klarheit darüber, was Feminismus denn nun eigentlich ist, ergibt sich vor allem aus jener Endlosschleife, ob man ihn denn nun brauche oder nicht, den Feminismus. Das alles zeitigt maximale Verwirrung — ja, was bedeutet es denn überhaupt, eine Feministin, ein Feminist zu sein, worin besteht feministische Praxis? Ein Fallbeispiel aus der jüngsten Vergangenheit illustriert das Durcheinander hinlänglich — jener gewaltige Internet-Shitstorm, der sich im November letzten Jahres um GoldieBlox zusammengebraut hat, einen Spielzeughersteller, der sich darauf spezialisiert hat, Mädchen an Technologie heranzuführen.
- Girls learn science
© Idaho National Laboratory CC BY 2.0
GoldieBlox hatte ein virales Promotionsvideo produziert, das wirkungsvoll eine umgeschriebene Version des Beastie-Boys-Songs „Girls“ einsetzt. Es vereint den altbewährten Mix von gesellschaftlicher Mission und Unterhaltung, die dem Viewer beim Weiterposten einen satten kleinen Moment der Zufriedenheit verschafft: ein KONY 2012 mit strahlenden Kindern, aber ohne den afrikanischen Warlord. Innerhalb von 3 Tagen war das Video 6 Millionen Mal auf YouTube angeschaut worden.
Und nun wurde es kompliziert. Für das Video waren die Nutzungsrechte an dem Song nicht eingeholt worden. Die Anwälte der Beastie Boys meldeten sich bei GoldieBlox, um die Angelegenheit zu erörtern — woraufhin das GoldieBlox-Team postwendend erst einmal selbst die Beastie Boys verklagte (wobei man eine etwas skurrile rechtliche Finte zur Anwendung brachte, die es in den USA ermöglicht, einen Gegner, von dem man eine Klage antizipiert, vorsorglich selbst zu verklagen). Es geht hier um „fair use“, um die angemessene Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material. Die Beastie Boys haben eindeutig erklärt, dass ihre Werke zu keinerlei kommerziellen Zwecken verwendet werden dürfen — dies ist sogar im Testament des 2012 verstorbenen Adam Yauch festgeschrieben worden. Unterstützer von GoldieBlox hingegen behaupteten, es handele sich um „fair use“, da das Video die Teilhabe von Frauen fördere. Um die Verwirrung zu steigern, handelt es sich bei dem Song „Girls“ um einen ironischen Kommentar auf sexistische Rap-Hits. Ich will noch einmal betonen, dass ich mich hier nicht als juristische Instanz ausgebe, aber der Eindruck drängt sich doch auf, dass in den USA und auch anderswo „fair use“ ein reichlich dunkles Feld ist. Die lautere Verwendung von urheberrechtlich geschützten Werken kann kommerziell wie nichtkommerziell erfolgen — eine Parodie ist oftmals zulässig im Sinne von „fair use“, aber nicht immer. Das GoldieBlox-Video ist sowohl eine Parodie als auch kommerziell. Das GoldieBlox-Team geht davon aus, dass es sich im Rahmen einer angemessenen Nutzung bewegt hat, weil das Video einen guten Zweck unterstützt — es soll als Inspiration für Mädchen dienen, Berufe in den MINT-Fächern anzustreben. Nun muss ein Richter über die Sache entscheiden.
Was aber hat das alles mit Feminismus zu tun? Die Beastie Boys untersagen die kommerzielle Nutzung ihrer Werke. Sie haben als Künstler das Recht, so zu entscheiden. Da es sich bei dem Video um Werbung handelt — auch wenn es sich einem guten Zweck verschreibt —, geht es hier in erster Linie um unternehmerische Interessen. Der amerikanische Anwalt Steven M. Ayr hat in einem Interview für den US-Blog „Vulture“ zu Recht darauf hingewiesen, dass „wir alle ganz anders auf die Angelegenheit schauen würden, wenn MacDonald’s einen Hamburger verkaufte, um weibliche Teilhabe zu befördern“. GoldieBlox hätte ein anderes Lied nehmen können, von Musikern, die ihre Werke für eine kommerzielle Nutzung freigeben und zu diesem Zweck lizenzieren — ob nun auf konventionelle Weise oder unter Creative-Commons-Anwendung. Hat es aber nicht. Man hat sogar etwas zynisch gemutmaßt, ob die juristische Schlacht nicht einfach Teil der GoldieBlox-Marketingkampagne ist und der Marke auf diese Weise ein großer Auftritt verschafft werden soll. Entweder hat GoldieBlox unsäglich schlechte Anwälte oder das Risikokapital-finanzierte Unternehmen ist unvorstellbar naiv — oder es handelt sich schlicht um rabiate, schamlose Verkäufer.
Künstler und ihre Rechte zu unterstützen, ob sie weltberühmt oder weniger bekannt sind, ist ein feministisches Anliegen. Es gilt eine Kultur zu bewahren, in der Menschen von ihrer schöpferischen Tätigkeit leben können und nicht ausgenutzt werden. Auch wenn das Konzept des „geistigen Eigentums“ eine teils fehlerhafte Konstruktion darstellt, so bleibt es doch die beste Möglichkeit, die Zeit, die Künstler in ihr Werk investiert haben, zu vergüten. Es geht eben nicht nur um Eigentum, es geht auch um Arbeitsrechte — wenn man das ignoriert, so entzieht man den Künstlern ein halbwegs funktionierendes Modell (manche sagen überhaupt das einzige), innerhalb unseres Wirtschaftssystems zu existieren, und zwar Frauen wie Männern. Wenn wir Menschen oder Unternehmen erlauben, die Auflagen oder Nutzungsbestimmungen schöpferischer Urheber im Dienste einer guten Sache zu missachten, bewegen wir uns sofort auf höchst unsicherem Terrain. Es wäre ein direkter Angriff auf die Teilhabe des Einzelnen und das Wohl der Gemeinschaft schlechthin. Eine wirklich gerechte, eine in allen Aspekten gleichberechtigte Gesellschaft wird es niemals geben, wenn man diese Werte nicht respektiert, und so ist diese Angelegenheit eine feministische. GoldieBlox hat ein erkennbares feministisches Ziel, der Weg dorthin ist es nicht.
Überhaupt ist dies ein perfektes Beispiel für die Tatsache, dass Feminismus eine weitaus kompliziertere Sache ist als Jungs gegen Mädchen (was in diesem Fall ironischerweise fast wörtlich so ist). Viele meinen, es geht bei dem GoldieBlox-Streit darum, Frauen an die MINTFächer heranzuführen, tatsächlich ist es eine Debatte über Ökonomie, Kunst, Gesetze. Feminismus versucht, Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen, wobei Geschlechtergleichstellung die Linse ist, durch die Reflexionen, Konzepte, Strategien scharfgestellt werden. Alle Aspekte des Lebens werden davon erfasst, und so kann Feminismus nicht auf eine einzige Weltanschauung beschränkt werden. Wie das zu lösende Problem ist Feminismus komplex, manchmal auch etwas chaotisch. Wenn man ihn auf die Worte einzelner Frauen reduziert (egal, ob es sich um die von Silvia Bovenschen oder Alice Schwarzer handelt), nimmt man der Gesellschaft die Möglichkeit, die vielen theoretischen Routen zu verfolgen, die das politische Spektrum umreißen. Wir müssen die pluralistische Perspektive des Feminismus anerkennen. Nur so kann eine anregende, fruchtbare Diskussion stattfinden, die uns jenseits von Ganztagsbetreuung und Quoten führt, eine Diskussion, bei der mehr als immer nur eine Frau in die Talkshows eingeladen wird, um die „weibliche Sichtweise“ zu repräsentieren — und bei der ein Mann genauso selbstverständlich feministisch sein kann wie eine Frau. Wir müssen endlich einsehen, dass Feminismus jeden betrifft.
(Aus dem Englischen von Elisabeth Ruge)