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Ach, analog, digital — Quanten! Blitzkurs für alle Feinde des Digitalen und Technologieverächter

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Die Natur integriert digitale und analoge Systeme umstandslos, man muss nur auf die Welt der Quantenmechanik schauen. Warum also diese Dauerproduktion gesellschaftlicher und kultureller Endzeitszenarien? Warum die Dauerbeschwörung der digitalen Bedrohung? Warum lassen wir uns nicht einfach auf das ein, was unsere physikalische Existenz grundlegend determiniert — die Koexistenz.

Kämpfend hab ich mein Jahr begonnen. Ich vermute nicht nur, nein, ich behaupte nachdrücklich, dass wir lauter falsche Schlachten schlagen. Und dabei übersehen wir den einzigen Krieg, in den es sich zu ziehen lohnt. Ehrlich gesagt – ich habe genug von dem ewigen Nachhall eines absurden Reduktionismus und einer allgegenwärtigen Simplifizierung. Wir führen einen Technologiekrieg, dabei sollten wir für unsere Würde kämpfen. Digital versus analog ist nur eines der vielen überflüssigen Schlachtfelder. Dieser Krieg ist sinnlos, die Schlachten sind sinnlos. Technologie ist nicht der Feind. Aber was ist Technologie? Und wer ist der Feind?

Ich sehe es so: Die totale technologische Durchdringung und die Bedeutungslosigkeit der Unterscheidung von digital und analog ist vielen Menschen noch immer nicht bewusst. Ob es sich um Bücher handelt, um Küchenherde, Autos oder Pharmazeutika, wir leben in einer Welt, in der die Produktion von der sie hervorbringenden Technologie nicht getrennt werden kann. Und doch denken viele, dass Technologie etwas Böses sei, und andere lasten jegliche ökonomischen und sozialen Probleme gleich ganz der digitalen Entwicklung an. Aber denken wir doch einfach noch mal nach.

Technologie ist die Anwendung von Wissen zu praktischen Zwecken oder, noch gescheiter ausgedrückt, die Lehre von der in der Technik angewandten und anwendbaren Verfahren. Technologie wird als selbstverständlich betrachtet, sie wird nicht hinterfragt oder überprüft, sie wird instrumentalisiert oder einfach verachtet. Dabei integrieren wir sie blitzschnell. Und vergessen, dass sie überall vorhanden ist. Es gibt nur eine Art, sich der Technologie konsequent zu entziehen – nämlich niemals geboren zu werden. Wir müssen mit Technologie leben, als Fluch oder Segen. Das ist nun einmal unsere Natur.

Außerdem: Wir haben noch nicht genügend über Fragen der Evolution nachgedacht und die Rolle, die Technologie dabei spielt. Bei unserer ewigen, geradezu obsessiv betriebenen Sinnsuche haben wir ganz nebenbei die für unsere Evolution notwendigen Werkzeuge erschaffen. Aber was sind das für Werkzeuge? Als die Humanoiden (die guten alten Vorfahren des Homo sapiens) entdeckten, wie man die steinerne Oberfläche ihrer Höhlen bearbeiten könnte, um dabei mitzuteilen, was sie – so vermuten wir zumindest – tagtäglich erlebten, wurde genau in jenem Moment eine Technologie erfunden. Ja, Wissen wurde zu einem praktischen Zweck angewendet. Heute schreiben Menschen Blogs, um ihre Leidenschaft für Autos, Homöopathie, Slapstick, Mode, die Philosophie der Genügsamkeit oder auch einfach nur fürs Kochen zu kommunizieren – und noch unendlich viele andere Dinge, die mich verwirren, nicht interessieren oder die ich schlichtweg nicht kapiere. Egal, wir sind noch immer beim ewigen Geschäft des Ausdrückens und (Mit-)Teilens. Bloß haben sich die Werkzeuge verändert.

Nun dämmert es Ihnen langsam, dass wir Technologie in uns aufnehmen wie die Luft, die wir atmen. Aber so wie unsere Luft verschmutzt worden ist, hat das Digitale womöglich unsere Technologie verpestet. Ein kleiner Exkurs zur eigentlichen Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Geräten, zwischen analoger und digitaler Datenverarbeitung, erbringt, dass alles so ist wie eh und je. Unsere geliebte Technologie ist weder digital gepanscht noch verunreinigt.

Das Analoge ist eine Angelegenheit kontinuierlicher Variablen. Vor der Omnipräsenz digitaler Schaltkreise und Computer war ein Amperemeter das bevorzugte Gerät, um Strom zu messen, mit einem Quecksilber- oder Alkoholthermometer — wie sie oft noch zu Hause rumliegen — stellte man die Temperatur fest. Heute kann man diese analogen Instrumente im Technologie- oder Wissenschaftsmuseum besichtigen. Die Welt analoger Variablen wie Geschwindigkeit, Strom, Spannung, Temperatur und Druck, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, bezieht sich auf klassische Mechanik. Klassische Mechanik ist eine Theorie, die einem ein Modell an die Hand gibt, um sich die physikalische Welt vorzustellen. Während sie als Modell durchaus funktioniert, ist sie weit davon entfernt, die physikalische Welt umfassend zu beschreiben. Sie versorgt uns mit einem Werkzeug, um begrenzte Problemfelder zu bearbeiten. Doch hätten wir niemanden auf den Mond schicken, kein Smartphone bauen können, wenn wir uns nur auf klassische Mechanik bezögen – die Relativitätstheorie und Quantenmechanik waren dazu ebenso notwendig. Zugespitzt ausgedrückt: Analoge Technologie repräsentiert das versammelte Wissen des neunzehnten Jahrhunderts.

Und um die ganze Sortiererei von Analogem und Digitalem noch schlimmer zu machen: Auch Computer kommen in drei Geschmacksrichtungen daher – klassisch analog, klassisch digital und auf der Quantenmechanik basierend. Alan Turing verwendete einen klassisch analogen Computer, um den deutschen Enigma-Code zu knacken. Wir alle verwenden tagtäglich einen klassisch digitalen Computer, um zu telefonieren. Quantencomputer sind 2011 auf den Markt gekommen (D-Wave), und die Arbeit an ihrer Entwicklung brachte David J. Wieland und Serge Haroche 2012 den Nobelpreis ein. Letztes Jahr eröffnete Google gemeinsam mit der NASA das „Quantum Artificial Intelligence Laboratory“. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass funktionierende Quantencomputer gegenwärtig subarktische Temperaturen benötigen, ist klar, dass es noch keine Westentaschenausgabe gibt.

Daher ist die Taschenvariante eines Computers, die wir zurzeit erwerben können, von der klassisch digitalen Art. Er verarbeitet sogenannte diskrete Mengen – Bits sind diskret. Diese Computer prozessieren kontinuierliche Daten- und Informationsmengen, indem sie sie in kleine Abschnitte oder einzelne Punkte zerlegen. Es ist schwierig, sich überhaupt Computer vorzustellen, die nicht dank Elektrizität funktionieren (der Abakus ist ein gutes Beispiel eines mechanischen rechnerartigen Geräts, aber er ist kein Computer). Und ist Elektrizität nun analog oder digital? Tja, beides. Zunächst wird elektrischer Strom durch Elektronen produziert, die durch einen Leiter fließen (zumeist Kupfer). Elektrizität wird erzeugt, indem man irgendeine andere Art der Energie transformiert. Noch vage Erinnerungen? Wir verwenden fossile Brennstoffe oder bauen Windenergieanlagen. Mit Sicherheit hat jeder irgendwo zwischen Grundschule und Supermarkt mitbekommen, dass Elektronen selbst diskrete kleine Kerlchen sind, die lediglich in der Sprache der Quantenmechanik erfasst werden können. In dieser verflixten Quantenwelt sind Elektronen Teilchen und Welle zugleich, mit diskreten und kontinuierlichen Eigenschaften. Und da haben wir’s schon – Quantencomputer können zugleich digital und analog sein. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Welten, es handelt sich um eine einzige physikalische Realität, die mithilfe unterschiedlicher Methoden Gestalt annimmt und in der Sprache unterschiedlicher theoretischer Prämissen beschrieben wird. Unsere Maschinen wenden eine Unmenge von Methoden und Prozessen an, die bis in die tiefsten Schichten miteinander verwoben sind – analog und digital. Einfach ist das nicht.

Wir leben in einer Fantasiewelt unzureichender Theorien. Unsere Leiden wollen wir mit Sofortlösungen auskurieren, mit nichts anderem gewappnet als mit der leichtgläubigen Annahme, dass es eine einzige simple Lösung für alles gibt, was uns dieses Leiden verursacht. Angeschlagene Unternehmen werden nicht überleben, weil sie konkurrierende aufkommende Technologien oder die auf ihnen basierenden Geschäftsmodelle (die Dämonen des Digitalen) unterdrücken. Sie können ihr Fortbestehen sichern, indem sie die neuen Technologien integrieren, sich nicht dagegen sperren. Und auch danach Ausschau halten, wo der wirkliche Feind sitzt. Wer ist dieser wirkliche Feind?

Wir selbst sind unser Feind. Wir vernachlässigen unsere Würde. Wir denken einfach nicht nach.

(Aus dem Englischen von Elisabeth Ruge)


4 Lesermeinungen

  1. Devin08 sagt:

    Die Reduktion, die Illusion und die Suche nach dem Quell des freien Willens
    Nicht schlecht geschrieben. Könnte mich fast überzeugen. Doch etwas fehlt. Was ist es nur? Ich denke nach. Ja! Es ist die Kritik am Reduktionismus. Eine Kritik, die ich teile. Doch jetzt wird mir was klar. Der Reduktionismus kommt von der klassischen Wissenschaft selbst. Jede Wissenschaft fußt auf der Methode des Reduktionismus. Ohne zu reduzieren, würde man nichts verstehen, wäre auch jede Vermittlung, jedwede Didaktik vermutlich unmöglich. Man kann sowenig alles auf einmal verstehen, wie man Vorspeise, Hauptspeise und Nachspeise auf einmal verzehren kann.
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    Doch warum diese Scheinwelt? Ich denke, das kommt daher, weil wir getrennt sind. Dort sind die, die reduzieren, um zu verstehen. Dort die Anderen, die das Verstandene vermitteln. Wiederum woanders die, die das Vermittelte umzusetzen gedenken, und dabei entweder Fehler machen, oder die das „Verstandene“ kritisieren (müssen). Der Komplexität willen, die sie plötzlich entdecken. Denn ohne die Komplexität erfasst zu haben, können wir nicht in das Verstandene eingreifen; jedenfalls nicht auf vernünftige Weise, können wir nicht Teil haben an einer Veränderung unserer Umwelt. Die Umweltkatastrophe – höchstpersönlich – lässt grüßen.
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    Wir haben also Wissenschaftler die reduzieren, und vielleicht andere Wissenschaftler („Techniker“) die komplizieren. Und dazwischen einen Haufen Leute, die glauben, dass sie etwas verstanden haben und sich forsch an die Arbeit machen. Doch zeigt sich schnell, dass wir eine Menge Leute haben, die weder was von dem Einen, noch von dem Anderen verstehen, denn sie verkomplizieren dort, wo es einfach zu erklären wäre und umgekehrt. Daher die (berechtigte) Kritik an den „Spezialisten” – https://blog.herold-binsack.eu/2013/04/von-den-massen-gehetzt-wie-von-den-spezialisten-verfuhrt/. Die Frustration lässt sich nur in der Flucht zur Illusion ertragen.
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    Das Dilemma ist die Arbeitsteilung, letztlich die Klassenteilung in der Gesellschaft. Wenn wir uns von der Illusion (der „falschen Ideologie“ – Karl Marx) trennen wollen, müssen wir vereinen. Marx nannte das die Aufhebung der Trennung von Theorie und Praxis, die Aufhebung der Klassengesellschaft. Die Forschenden müssen mit den Arbeitenden vereint werden, die geistig Arbeitenden mit den körperlich Arbeitenden, die (aus gleich welchen Gründen) Nicht-Arbeitenden mit den zur Arbeit Gezwungenen, die Produzierenden mit den Konsumierenden…Und so auch schaffen wir die Einheit von Denkenden und Nichtdenkenden und lösen damit das vielleicht letzte Rätsel der Philosophie, dessen Suche nämlich nach dem Quell des freien Willens.

  2. ThorHa sagt:

    Der Beitrag lässt zwei alternative Schlussfolgerungen zu - beide wenig schmeichelhaft:
    Entweder die Autorin hat eine Ein-Satz-Erkenntnis – Technik war, ist und bleibt ein integraler Bestandteil der “natürlichen” Umwelt des Menschen – zu einem kleinen Essay aufgeblasen.

    Oder sie schreibt für ein Publikum, dem man tatsächlich erklären muss, dass 1 und 1 zwei ergeben. Und dass es nichts bringt, gegen diese Tatsache aufzubegehren.

    Die Erkenntnis selber ist so banal, selbsterklärend und offensichlich, dass sie wohl kaum als Räsonierobjekt für eine Senior Research Fellow taugt. Also bleibt nur die zweite Alternative. Ein akademisch vorgebildetes Publikum, dem man den Sonnenaufgang erklären muss …

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  3. Torsten_Leder sagt:

    Purifikation der Stofflichkeit
    Grundlegend freue ich mich über derartige Artikel, auch über diesen. Auch wenn das, was mit und durch diesen hier mitgeteilt werden könnte, sollte, müsste, sich als inkonsistenter Rest, welchen und wessen Fortschritts auch immer, geradezu dem definitiven Ausdruck entzieht. Ein Rest, der sich wohl bislang darauf beziehen ließ, im Hinter- und Untergrund grundlos zu wirken.

    Ob nun Feind oder Freund (sorry), Herold Binsack hat bereits einen entschiedenen Terminus in seinem Kommentar ‘Die Reduktion, die Illusion und die Suche nach dem Quell des freien Willens’ geliefert: Die Trennung. Wenn diese Genese der Techniken und Medien konsequent durchschritten wird, so bleibt vordergründig festzuhalten, sowohl Briefe als auch Telefone, und erstrecht Computer verbinden halt nicht, sie zeigen lediglich das Getrenntsein voneinander auf. Die Medien verbinden Distanzen und nicht Nähen, egal ob analog oder digital, in welcher hybriden Form auch immer. Aber für wen, und von wo aus? Für den in der Mitte? Also wo ist der Punkt? Von welchem aus selbst die Dämonen des Digitalen einbezogen werden könnten?

    Die Technik- und Mediengeschichte, warum und wodurch die einzelnen Abstraktionsschritte/ Entkörperlichungen von analog zu digital (quantisch/virtuell) statt hatten, trotz angedeutetem Medienfrieden, kommt hier doch zu kurz.
    Und mithin die Kosten des Digitalen/ Virtuellen, die in die Rechnung einfließen. Dietmar Kamper fragt in ‘Die Kosten des Virtuellen – Reflexionen über eine mächtige Illusion’, warum wir neben der Wirklichkeit, die wir haben, die ohnehin schon schlimm genug ist, noch eine zweite brauchen. Und ob diese Entwicklung nun Ausdruck eines Elends oder eines Fortschritts ist, wenn die “neuen Technologien, die neuen Medien auch nur bestimmte Faktoren und anderen sind”, und es nur darauf hinausläuft, dass die bis ehemals stoffliche Welt in eine energetische Welt transformiert wird – “Mediatisierung und Technifizierung sind “Purifikationen”, eine Reinigung vom Schmutz des Materiellen, eine Folge von Arbeiten mit Engelsgeduld, Momente noch immer eines religiösen Projekts, das seine Wurzeln in der Himmelfahrt Christi nur vergessen hat.” Slavoy Zizek hat ja auch nicht umsonst eine dritte Pille eingefordert. Oder wie Vilém Flusser es in ‘Das Verschwinden der Ferne’ ausfaltet: “All die materiellen und immateriellen Kanäle, all die Netze und Verknüpfungen, all die künstlichen Intelligenzen und die Codes, in denen hin- und herlaufende Botschaften verschlüsselt sind, dienen nur dem einen Ziel: die Ferne, die uns daran hindert, zum anderen und dadurch zu uns selbst zu gelangen, aufzuheben, verschwinden zu machen.
    All diese technischen Errungenschaften stehen also letztlich im Zeichen der Nächstenliebe. Insoweit als dieser hermetischen Telepathie, dieser geheimnisvollen Technik der Überwindung der Entfremdung, Erfolg beschieden sein wird, stellt die telematische Kultur eine geradezu ungeheuerliche Hoffnung dar. Sofern es aber bei der Telematik nur darum gehen wird, Zeit und Raum zu überwinden, ohne dadurch den zwischen den Menschen klaffenden Abgrund der Fremdheit zu überwinden, handelt es sich bei dieser Kultur nur um ein Gadget.” (Arch+ 111/ Kunstforum 112) – und derzeit ist es nur ein Gadget, ob koexistent oder nicht, monströs jedenfalls.

    Aber hilft dieses energetische/ digitale Gadget beim Spüren/ Nachspüren des Entfernten? Wohl wollend verstehe ich den Artikel dahin, dass das Digitale das Analoge befreit, und sich darin eventuell endlich das einlösen kann, wofür es mal auf die Bildfläche getreten ist, der Traum vom Verbundensein. Sicher sind die Maschinen und Medien bis in die tiefsten Schichten miteinander verwoben, und der Feind auch ein ganz anderer – jedenfalls nicht die Zeit und die Körperlichkeit. Dennoch stellt sich die Frage: ” … warum der Krieg mit derart vielen Metaphern des aggressiven Verschlingens und Verschlungenwerdens gespickt ist?” (Dietmar Kamper in “Meuterei gegen den Kannibalismus der Zivilisation” – das Digitale als symbolische Menschenfresserei.)

  4. januario sagt:

    Prozesse
    Danke für all die Wahrheiten. Es ist eine Wohltat, ein Kunstgriff. Schöner könnte eine Rüstung nicht sein. Das Denken ist es nicht was weh tut, es muss weitergehen.

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