Wenn ich in Berlin erzähle, dass ich im Libanon lebe, taucht schnell die Frage auf, ob ich dort ein Kopftuch trage (das heiklere Pendant zu der Frage, ob alle Deutschen Lederhosen tragen).
Ich antworte, dass ich nie ein Kopftuch trage, außer als Touristin, wenn mir am Eingang der Hagia Sofia in Istanbul oder der Ummayaden-Moschee in Damaskus ein Schleier gereicht wird. Das scheint die Fragenden zu verwirren. „Was trägst du dann?“, wollen sie wissen. Dieselben Kleider wie in Berlin oder New York – nur meistens weniger, weil es wärmer ist.
Das verwirrt sie noch mehr. Also erkläre ich: In der arabischen Welt ist nur in Saudi-Arabien der Schleier vorgeschrieben (wo neben den unzähligen Verstößen gegen Menschen- und Bürgerrechte die Schleierpflicht das geringste Problem darstellt). In der Levante sind viele Frauen unverschleiert.
Doch der Obsession des Westens, das Kopftuch als elementaren Ausdruck der Kontrolle über Frauen und ihren Körper zu sehen, ist nicht beizukommen: Oft wird es sogar im selben Atemzug mit Ehrenmorden und Zwangsehen genannt (subtile Bildunterschrift bei SpiegelOnline: „Frau mit Kopftuch: Die meisten Zwangsehen-Opfer stammen aus muslimischen Familien“).
Dabei spielt für arabische Feministinnen das Kopftuch so gut wie keine Rolle. Im Libanon wie in vielen anderen arabischen Ländern werden die wichtigeren, erbitterteren – und deutlich unsexyeren – Kämpfe gegen einen Querschnitt öder Gesetzesfragen ausgetragen, bei denen es um Themen geht wie das Recht der Frauen, ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weiterzugeben, die Rechtslage bei häuslicher Gewalt und eine ganze Reihe anderer Bereiche, die uns im Westen unangenehm bekannt vorkommen.
Als ich mit 23 nach Beirut zog, um mich als investigative Journalistin zu versuchen, bestand meine bevorzugte Garderobe aus Jeans, Turnschuhen und T-Shirts, denen ich mit Hilfe einer Schere einen schmeichelnden U-Boot-Ausschnitt verpasst hatte. Auf dem Weg zu meinem ersten Interview wurde ich von meiner neuen Vermieterin angehalten, die mich in ihre Wohnung zog und darauf bestand, mir einen ihrer Blazer und die Riemchenpumps ihrer 16-jährigen Tochter auszuleihen. Ich habe mich jahrelang gewehrt, doch irgendwann habe ich mich angepasst und ein paar der Landessitten übernommen: professionelle Maniküre und Pediküre und die Föhnfrisur für besondere Anlässe.
In der arabischen Levante, wie überall sonst, sind die Normen der weiblichen Schönheit viel größere Bürden als der Schleier.
Was nicht heißen soll, das Leben dort sei leicht als Frau.
Während meines ersten Interviews mit einem deutschen Staatsanwalt in Beirut, schien dieser den professionellen Anlass unseres Gesprächs schlicht zu ignorieren. Ich war da, um eine Story zu schreiben – er war bei einem Rendezvous. Eine Stunde lange tischte er mir inoffiziell Anekdoten seiner Heldentaten auf, während er mich mit einer Flasche Wein bearbeitete, bis er mir irgendwann die Hand ins Kreuz legte und ein weiteres Treffen vorschlug, wenn er es geschafft hätte, seine Leibwächter abzuhängen (zwinker). Hatte er mich am Telefon missverstanden? Hatte ich die falschen Signale gesendet?
Aber dann passierte es wieder: bei einem Interview mit dem obersten libanesischen Drogenfahnder, erklärte mir ein amerikanischer Reporter, er wolle in Zukunft bei Treffen mit wichtigen Leuten immer eine Frau dabei haben, weil „Männer mehr reden, wenn ein Paar Titten im Raum sind“.
Die libanesischen Kollegen bei der Tageszeitung, für die ich später arbeitete, hielten mich wenigstens für eine Spionin – immerhin trauten sie mir Fähigkeiten und Raffinesse zu.
Im Libanon erhält man für eine Schönheitsoperation leichter einen Kredit als für ein Haus oder ein Kleinunternehmen. Wie Maher Mezher von der First National Bank erläutert, die Sofortkredite von $ 5.000 für solche OPs gewährt: „Wer nicht gut aussieht, findet im Libanon keinen Job und wird sozial geächtet.“
Whiskey-Reklametafel in Beirut
Natürlich gibt es Eltern, die ihren Töchtern das Kopftuch aufzwingen, und in diesem Kontext sind wir instruiert, uns über die Praxis zu entrüsten. Doch wenn man sich in den sozialen Medien umsieht, gibt es im Libanon heute mehr Mädchen unter dreizehn, die mit Schmollmund und schmachtendem Blick für die Kamera posieren. Beirut rühmt sich sogar seiner Schönheitssalons für Kinder. Eine neuere Umfrage unter 21- bis 38-Jährigen Libanesinnen ergab, dass etwa 46 Prozent der Befragten sich bereits irgendeiner Form von plastischer Chirurgie unterzogen hatten, um „sexy auszusehen“.
Sehr zum Verdruss libanesischer Feministinnen hat das Tourismus-Ministerium des Libanon die Schönheit der Frauen wiederholt zur nationalen Attraktion erklärt.
Seit 2011 prangert der libanesische Medienbeobachter Kherrberr die Erniedrigung und Stereotypisierung der Frau in der Werbung an. Kherrberr hat es sich zum Ziel gesetzt, „die libanesische Regierung dazu zu bringen, Gesetze zu erlassen, die Werbeagenturen zu einem zeitgemäßeren Gender-Diskurs anspornen“.
Allerdings scheint die Botschaft an dem libanesischen Model und TV-Starlet Myriam Klink vorbeigegangen zu sein, die kürzlich ihren Einzug in die Politik ankündigte: „Ich werde im Minirock ins Parlament ziehen.“
All das gilt nicht für den Libanon spezifisch. Musikvideos, die über den äußerst populären saudischen Satellitensender Rotana und das ägyptische Melody TV in der Region ausgestrahlt werden, zeigen den ganzen Tag lang spärlich bekleidete arabische Popstars, die sich auf diversen Untergründen räkeln.
Ist Laszivität der Maßstab für den Aufstieg der Frau?
Auf einer Konferenz zur Repräsentation der Frau in den Medien kam Nadine Moawad von der feministischen Kollektive Nasawiya zu dem Schluss: „Frauen im Libanon werden als befreit angesehen, weil sie abends ausgehen können [und ähnliches]. Doch das sind eindeutig Scheinfreiheiten.“
Mit dem Fokus auf dem Kopftuch einerseits und der de-facto-Wahrnehmung von nackter Haut als Fortschrittlichkeit andererseits, wie es von den westlichen Medien praktiziert wird, wenn sie ihre Journalisten über dem Libanon abwerfen und die wohlhabende Oberschicht auf den Beiruter Dächern ablichten, erweisen wir den arabischen Frauen einen Bärendienst. Wir verwechseln unsere sozialen Gepflogenheiten mit Prinzipien.
(Übersetzung von Sophie Zeitz)