Ich. Heute. 10 vor 8.

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Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Frauen, die Prosecco gucken

Wir fachsimpeln über Fußball, US-Serien und Aktien-Kurse, aber wer zum Teufel ist Howard Hawks? – Warum wir nicht nur zur Berlinale das Kino unter den roten Teppich kehren.

© Berlinale“Dawn Petrol”: Ein Hoch auf Hawks.

 

In zwei Wochen beginnt die Berlinale. Wir Schauspiel-Agenten werden freundlicherweise beizeiten zu einem „How To Berlinale“ Kurs eingeladen. Dort erzählen Kollegen aus der Sponsoring-Abteilung, wo unsere „Talente“ sich Frisuren richten oder Roben leihen können, in welchen Lounges es ein ganz oder semi-trockenes Getränk gibt und was sich die so genannten „Partner“ noch alles einfallen lassen, um ganz oder semi-prominente Menschen für sich und ihre PR-Interessen zu gewinnen. Wie diese an Kinokarten kommen, ist nicht zu erfahren, Hauptsache, sie bleiben mit Boss und L´Oréal auf dem Teppich. Weil sie es den Sponsoren wert sind.

Der Schauspieler existiert auf der Berlinale ohnehin nur als sein eigenes Diminutiv, also als Promi – sprich „Prommi“. Er wird alphabetisiert vom A bis Z Promi, die Promi-Dichte ist eine PR-physikalische Maßeinheit und als Promialarm(!) wird er zu seinem eigenen Imperativ. Sein Herz ist eine Spin-Doctoren Grube, seine Haut trägt Produktbotschaften zu Markte. Weil wir es ihm wert sind.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Frauen oberhalb des Realschulabschlusses ein Arztbesuch als Vorwand für die Lektüre bunter Blätter diente. Wir stehen dazu, wir gönnen es uns, den Klatsch und Tratsch, den Look und den Doc, der ihn uns herstellt. Frauen, man weiß es, bestimmen als Zuschauerinnen und Leserinnen, was im TV läuft, in den Regalen der Buchhandlung und in den meisten Zeitschriften steht. Sie sind es, die jenen Promialarm ausgelöst haben, der die sichtbare Festival-Berichterstattung ebenso frauenaffin werden lässt wie Auswahl und Ansprache der Sponsoren.

Klar warten am Ende des roten Teppichs auch noch schlappe 400 Filme aus neun Sektionen im Dunkel des Kinosaales auf unser Interesse. Festivaldirektor Dieter Kosslick wird sie, wie jedes Jahr, mit breiter Brust als Mann präsentieren, der die offizielle Festivalsprache Englisch ebenso fehlerhaft beherrscht, wie die Titel der Filme und die Namen ihrer Macher, sich dann – fehlerfrei – bei den Sponsoren bedanken und ansonsten routiniert verkünden, wie politisch und filmkulturell auch diese Berlinale wieder sein wird.

Ebenso klar kann die ständige Klage über zuviel Klamotte und Kommerz ja auch keiner mehr hören. Sind wir nicht alle ein bisschen BUNTE? Und wächst schließlich nicht doch am schönen Potsdamer Platz zusammen, was zusammen gehört – J-Los Po mit Adams Äpfeln, Angelinas Brüste mit dem Land von Blut und Honig und Clooneys neue Braut mit seiner neuen Regiearbeit? Wenn also derzeit rote Teppiche verklebt, Gästelisten aktualisiert, Visagisten, Haarstylisten und Hyaluron-Injizierer gebucht werden, können wir das nicht Achsel zuckend und Bildergalerien anklickend als Beiwerk eines kulturellen Großereignisses abnicken und unsere Tickets für Retrospektive und Forum-Expanded buchen?

Zeit für eine Preisfrage, „Mädels“: Schon mal von Calin Peter Netzer und „Child´s Pose“ gehört? Das rumänische Mutter-Sohn Drama hat 2013 den Goldenen Bären gewonnen. Auf internationalen A-Festivals werden seit geraumer Zeit Filme aus Ländern prämiert, deren Bewohner hier bei vielen nicht sehr willkommen sind. Im Kino hat den hier dann auch keiner geguckt. Ihr auch nicht. Warum eigentlich nicht? Die Bilder vom roten Teppich der Abschlussgala auf der er gezeigt wurde, kennt ihr schließlich auch.

Es gibt eine direkte Linie vom Ausverkauf der Festivalkultur an frauenaffine Begehrlichkeiten zu leeren Kinoreihen bei sorgfältig kuratierten Werkreihen. Sie verläuft vom demnächst promigespickten Berlinale Palast zum ganzjährig filmkunstsatten Arsenal-Kino einmal quer über den Potsdamer Platz.
Dort laufen seit Dezember zum Beispiel Filmreihen von Howard Hawks und Želimir Žilnik. Nicht selten vor recht wenigen Zuschauern, und die sind in der Hauptsache männlich.
Nur circa 10% der Filme, die in Deutschland ins Kino kommen, werden von Frauen inszeniert. Das Geschrei darüber ist bisweilen groß. Aber viel höher ist der Anteil Zuschauerinnen in vielen Vorführungen großartiger Filme hier eben auch nicht. Selber Schuld „Mädels“, es entgehen Euch federleichte, von weiblichem Mumm marmorierte Genre- wie Genderjuwelen bei Hawks, ebenso wie die Geschichten stolzer Partisaninnen beim jugoslawischen Dokumentarfilmer Žilnik.

Cineastinnen sind von der Bildfläche verschwunden wie Jugoslawien von der Landkarte, und das hat Gründe: Die größte Teilrepublik der weiblichen Film-Ignoranz bilden die von Kinoketten organisierten „Ladies Nights“ wo „frau“ sich bei Gratis-Prosecco zur Kinokarte auf das neue Machwerk des zum cinephilen Alptraum mutierte Genre der Romantic Comedy einstimmt. Faustregel: je frauenaffiner der Film, desto weniger filmaffin die Frau.
Wer es besser wüsste, hat schlicht keine Zeit mehr für Filmkunst, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf so gerade, die von Alltag und Substanz leider gar nicht mehr klappt. Nicht wenige Filmliebhaberinnen sind zudem der Überzeugung verfallen, US-Serien seien der neue heiße Cineasten-Scheiß. Smalltalk tauglicher sind sie allemal und niemand bezweifelt die geistige Verfassung von Serienjunkies, während Frauen, die sich 10 Stunden Lanzmann am Stück ansehen, gefragt werden, ob das „so was wie Ritzen…“ sei.

Und ja, genau genommen ist es das auch. Filme schreiben sich in die Seele ein, sie gravieren das Bewusstsein. Sie prägen Erinnerung. Sie sprechen mit uns und auf Festivals scheint es bisweilen, als sprächen sie auch miteinander, wie Fremde im Zug. Wir können zuhören und hinsehen und uns auf sie und das Zufallsprinzip, nach dem wir sie auswählen, einlassen. Ein Blind Date mit dem Kino, das ist die Verheißung, die den 400 Filmen zwischen dem 6. und 16. Februar innewohnt. Das wahre „How To Berlinale“ ist die Hingabe ans Unbekannte. Die sollten wir uns und dem Kino schenken. Den Rest erledigt die BUNTE.