
Die Türkoğlus leben in der Kölner Blumenstraße, in einem kleinen bunten Haus, neben einer Schiller-Apotheke und einem türkischen Beauty-Salon. Salih, das Oberhaupt der Familie, betreibt nach jahrelanger Schufterei als Gastarbeiter inzwischen eine eigene Dönerbude. Doch sein Nachbar Hans Müller, der das Café gegenüber besitzt, kommt ihm immer wieder in die Quere. Stellt Salih seine Tische außerhalb des vom Ordnungsamt festgelegten Bereichs auf, ruft Hans die Polizei. Zieht der Geruch von Dönerfleisch in sein Café, fängt er an zu grillen, obwohl er eigentlich nur Kuchen anbietet. Hans sieht seine Stadt durch Salihs Gegenwart gefährdet. Salih hingegen sieht in Hans den Inbegriff des deutschen Ordnungszwangs.
Seit einigen Wochen strahlt der türkische Staatssender TRT „Gurbette Aşk – Liebe in der Fremde“ aus. Salih und Hans sind die Hauptcharaktere dieser auf den ersten Blick gewöhnlich erscheinenden Seifenoper, in der es um Liebeskummer, Nachbarschaftsstreit und Geldsorgen geht – würde sie nicht ihr gesamtes humoristisches und dramatisches Potential aus der Gegenüberstellung von Klischees ziehen. Und während man diesen beiden sturen Männern zusieht, überkommt einen unweigerlich das Gefühl, dass sie einen sinnlosen Kampf führen. Salih und Hans sehen ihre kleinen Welten gefährdet und fahren alle Geschütze auf, um diese zu verteidigen. Mehr noch, sie geben sich genau dort überlegen, wo sie am stärksten von Unsicherheit und Angst getrieben sind.
Letzte Woche erschien in der Welt am Sonntag unter dem Titel „Politiker müssen Muslimen die Grenzen aufzeigen“ ein Artikel von Monika Maron (Der Spiegel hatte den gleichen Artikel kurzfristig aus dem Heft genommen). Darin kritisiert sie die Bevorzugung der Muslime unter den verschiedenen Einwanderungsgruppen: „Warum nur eine Islamkonferenz, warum nicht auch eine Hindu-, griechisch-orthodoxe, russisch-orthodoxe Konferenz, warum nicht eine Polen-, Vietnamesen-, Afrikanerkonferenz?“ Die Schriftstellerin beruft sich auf basisdemokratische Werte, um eine Minderheit zu diskreditieren – und zwar durch den Verweis auf noch kleinere Minderheiten. Unabhängig von der Gruppengröße jedoch verlangt Maron von jeder wie auch immer gearteten Minderheit absolute Integration. Aus ihrem Text spricht die blanke Angst.
„Ich frage mich schon lange, wie die muslimischen Verbände es anstellen, dass ihre absurdesten Forderungen die ganze Republik regelmäßig in Aufruhr versetzen, sodass man den Eindruck haben könnte, wir lebten tatsächlich schon in einem halbislamischen Staat“, schreibt Maron voller staatsbürgerlicher Sorge, der Islam könne Deutschland infiltrieren, bis nichts davon übrig ist. Sie benennt weiterhin einige konkrete Schreckensbilder: verschleierte Lehrerinnen, Gebetsräume in Schulen, Burkinis in Schwimmhallen. Der Schleier gehöre natürlich abgeschafft, immerhin stehe er nicht nur für religiösen Fanatismus, sondern auch für die Unterdrückung der Frau. Und doch werde ich den Eindruck nicht los, dass es hier um etwas anderes geht. Der Schleier wird zur Projektionsfläche einer irrationalen Furcht vor dem Fremden, das sich auszubreiten droht in der vertrauten Umgebung. Dass wir hingegen längst in einer Welt leben, in der eindeutige Nationalitätszuschreibungen außer Kraft gesetzt sind, verdrängt Maron aus ihrem Wahrnehmungshorizont. Auch Neukölln kommt in ihrer Polemik vor, das Paradebeispiel einer muslimischen Vorherrschaft schlechthin.
Marons Text vermittelt den Eindruck, der Islam sei eine homogene Einheit und mit dem Grundgesetz nicht kompatibel. Dies ist nach wie vor ein vertrautes Gedankengebäude in Post-Sarrazin-Deutschland. Und es ist toxisch: Die fortschrittlichen, aufgeklärten Deutschen auf der einen Seite, die rückständigen, sich in Parallelgesellschaften einigelnden Muslime auf der anderen. Stumpf wird eine Mauer hochgezogen, eine Art endzeitliche Gegnerschaft im Kampf um die Überreste des Abendlandes konstruiert: Döner gegen Apfelstrudel.
Und während Salih und Hans im Verlauf der Serie erkennen, dass sie sich viel ähnlicher sind, als sie es sich hätten träumen lassen, wird von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung versucht, ein Feindbild aufrechtzuerhalten. Und das mit Erfolg.