Ich. Heute. 10 vor 8.

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Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Während Grass und Böll noch trommelten, schütteln wir lieber

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Heute wird der Aufruf "Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter" im Bundestag debattiert. Schriftsteller entdecken das politische Engagement wieder - ein Slalom zwischen Blechtrommel und Pappkarton

Wir stehen aufgereiht vor einem Zaun. Es ist der Zaun des Bundeskanzleramts und wir wollen da rein. Das wollte vor uns schon Gerhard Schröder, wenn auch aus anderen Gründen. Seine Geschichte ist zur Legende geworden, bei uns bleibt die Inszenierung ein wenig albern: Wir schütteln Pappkartons, wir lesen im Chor einen offenen Brief an Angela Merkel vor, dann laufen wir im Slalom zum Bundespresseamt. Die Tagesschau sendet am Abend die Bilder.

Wir, das ist eine Gruppe von Schriftstellern, die sich zusammengeschlossen hat, um auf die NSA-Spähaffäre aufmerksam zu machen. Unser Auftritt findet wenige Tage vor der Bundestagswahl statt, die Kanzlerin hat andere Sorgen und auf den Brief reagiert sie mit keinem Wort. Im Internet unterschreiben derweil Zigtausende die von Juli Zeh initiierte Petition; die Namen der Erstunterzeichner, allesamt Autoren, kursieren eine Zeitlang in den Medien.

Wir sind von Einzelkämpfern zum Teil einer Bewegung geworden“, erklärt Zeh in der FAZ anlässlich der Veröffentlichung des internationalen Aufrufs Writers against Mass Surveillance. Der Protest liege quer zu allen Lagern und Nationalitäten. Die Konfliktlinie sei trotzdem klar: „Bürger gegen Institutionen. Und nicht nur Bürger gegen Staat.“

Dass sie von Bürgern, nicht von Schriftstellern oder Intellektuellen spricht, ist bezeichnend. Vor vier Jahrzehnten hätte sich das deutlich anders ausgenommen, damals, als Heinrich Böll, Günter Grass und andere für die SPD die Werbetrommel rührten. Es war, im Gegensatz zu heute, kein themen- sondern ein lagerbezogenes Engagement. Die politische links-rechts-Aufteilung ist so klar wie damals nicht mehr auszumachen und dem Gros der Intellektuellen scheint es, womöglich damit verbunden, anrüchig zu sein, sich in den Dienst einer bestimmten Partei zu stellen. Wie penibel man sich davor hütet, klar Stellung zu beziehen, zeigte beispielsweise die Wahlumfrage der ZEIT im vergangenen Herbst.

Zudem war das Engagement der späten 60er, frühen 70er Jahre eines, das den Schriftsteller als herausragende Figur, als Meinungsbilder und -bündeler, als gesellschaftliches Sprachrohr inszenierte. Heute, da sich nicht zuletzt durchs Internet Meinung deutlich stärker demokratisiert hat, stößt der Wille, sich als meinungsbildende Autorität aufzustellen, auf nur noch karge Gegenliebe und das Bild eines Debattengroßmeisters löst bei vielen allenfalls Gelächter aus.

Wir übernehmen das Lachen selbst, während wir zum Bundespresseamt laufen. So richtig seriös scheint sich keiner beim inszenierten Slalom zu fühlen. Aber gut, beruhigen wir uns, es geht ja um die Sache und für dreißig Lehrer, Busfahrer oder Kaufhausdetektive hätte die ARD ihren Kameramann gar nicht erst losgeschickt. Nach der Übergabe der Kisten im Bundespresseamt sitzen einige von uns noch in einem Café zusammen. Am nächsten Tag will Peer Steinbrück sich mit uns treffen. Wollen wir Journalisten dabeihaben? Erlauben wir der SPD-Pressestelle, Fotos von uns neben Steinbrück herumzuschicken? Oder wäre das nicht schon ein halbes SPD-Wahlkampfgetrommel? Wie nah wollen wir ran an die Parteien, wann lassen wir uns für ihre Zwecke einspannen und wo kümmern sie sich um unser Anliegen: Bürger gegen Institution?

Heute, knapp fünf Monate nach unserem Slalom, bringen die Grünen den Text unseres Appells in die Plenardebatte im Bundestag ein. War unsere Aktion also erfolgreich? Die beste Figur beim Intellektuellenaufruf gegen Massenüberwachung hat jedenfalls der Philosoph Friedrich Kittler gemacht und zwar postum.  Er hob das Geschehen in seine Medientheorie hinein, die aufzeigt, wie unser Wissen durch Kulturtechniken und Aufschreibesysteme bestimmt wird – ein Denkkonzept, das bestand, bevor die Spähaffäre ans Licht kam und das größer ist als der Skandal. „Die NSA als Zusammenfall von Strategie und Technik wäre Information überhaupt“, schreibt er 1986 in einem Artikel in der taz und zitiert böse lakonisch einen Schulungsredner des britischen Nachrichtendienstes: „Das Abfangen von Korrespondenz ist so alt wie die Korrespondenz selbst.“


1 Lesermeinung

  1. januario sagt:

    500 eyes
    Das Weltbild wankt,/
    die Sinne surren,/
    wer liest mit und weshalb. /
    Was für eine Macht

    Der Gestank/
    das stumme Schnurren,/
    für 5 Zyklopen als Gehalt/
    Einer unsichtbaren Albtraumnacht/

    Dem einen Duft entgegensetzen,/
    Blumenwiesen, nach Licht rufen,/
    Bienen sein, ein Schwarm

    Verarbeitendes Entsetzen/
    über diesen, sich selbst berufenen/
    Mastdarm

    Bringt etwas Neues, unkontrollierbares hervor./
    Kunst, nicht politisch gemacht zu werden./
    Subtil zurückschlagen, bevor/
    die mutigen Geister verderben.

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