
Januar 2013, in der Metro von Paris. Der Wagen hält und eine grölende Menschenmenge steigt ein. „Les pédés au bûcher, les pédés au bûcher!“ – “Die Schwulen auf den Scheiterhaufen!” Aufkleber auf ihren Jacken: “La manif pour tous” – “Die Demo für alle”. So nennt sich das Bündnis konservativer und religiöser Gruppen, die seit Herbst 2012 gegen ein Gesetz auf die Straße gehen, das die Eheschließung von Lesben und Schwulen rechtlich ermöglicht. “Die Demo für alle” – eine aktivistische Bewegung von rechts, die sich gerne offen und vielfältig inszeniert. Aber die Slogans in der Metro sind unmissverständlich: Ein Aufruf zu Mord und Gewalt gegen Homosexuelle, selbstverständlich und selbstbewusst herausgebrüllt, 2013, mitten in Paris.
Ewig gestriger, angestaubter Hass einiger weniger? Ein kurzer Moment reaktionären Aufbegehrens? Es scheint, dass sich das Unbehagen über diese schaurige Begegnung nicht so leicht wegwischen lässt. Denn “Die Demo für alle” hat in Frankreich über Monate tausende Menschen mobilisiert. Und es geht ihr nach eigener Aussage um nichts weniger als die Zukunft des Landes, nämlich um Fragen von Elternschaft, Blutsverwandtschaft, Erbe, Tradition. Also: Um ein grundlegendes Ordnungssystem der Gesellschaft. Und letztendlich geht es um die Frage, welchen Platz haben darf, was diese Ordnung in Frage stellt und verändert.
“Die Ehe für alle” wurde das meistdiskutierte Gesetz 2013. Und es ist kein Zufall, dass sich die Ablehnung der Gegner und Gegnerinnen in den letzten Monaten besonders gegen eine Frau entlädt: Christiane Taubira, seit Juni 2012 Justizministerin der Regierung von François Hollande und nach Rama Yade zweite schwarze Ministerin seit Ende der Kolonialzeit. Als das Gesetz zur Ehe für alle am 17. Mai 2013 in Kraft tritt, trägt es ihren Namen, “La loi Taubira”. Die Justizministerin hat die Gleichberechtigung homosexueller Paare gegenüber heterosexuellen Paaren, auch bezüglich der Adoption von Kindern, in zahlreichen Reden im Parlament und im Senat verteidigt. Und dabei gezeigt, dass sie über eine lange politische Erfahrung verfügt und sich im Parlament und im Senat Gehör verschaffen kann.
Von 1993 bis 2012 war Christiane Taubira linke Abgeordnete des seit der Kolonialisierung zu Frankreich gehörenden Überseedepartements Französisch-Guyana. In dieser Funktion setzte sie im Mai 2001 das Gesetz zur Anerkennung des europäischen Handels mit versklavten afrikanischen Menschen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch. Das Gesetz markierte in Frankreich eine neue Art, sich mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinander zu setzen. Für manche rassistischen und (neo-)kolonialistischen Gruppierungen im heutigen Frankreich bleibt es ein unerträgliches Zeichen der Reue.
Im Oktober 2013 wird Christiane Taubira in Angers von Kindern aus der Demo für alle mit den Rufen: „Für wen ist die Banane? Sie ist für die Äffin!“ begrüßt. Seither etablieren sich in sozialen Medien und in rechten Publikationen Abbildungen von Affen und Bananen als Code, der sich unmissverständlich gegen die Ministerin richtet. Der Code greift auf rassistische und kolonialistische Bilderpolitiken zurück und zeigt, wie wirksam diese nach wie vor sind.
Die heftigen Reaktionen verweisen auch darauf, wie schwer es Teilen der französischen Gesellschaft fällt, sich von diskriminierenden Selbstverständlichkeiten zu verabschieden. Christiane Taubira vertritt eine Politik, die Privilegien in Frage stellt. Der Historiker Pascal Blanchard, Forscher zu Frankreichs kolonialem Erbe, zeigt in einem Kommentar in der linksliberalen Tageszeitung Liberation auf, dass sie in ihrer Person vier zentrale Angriffspunkte versammelt: „Sie ist eine Frau: was macht sie in der Spitzenpolitik? Sie kommt aus den französischen Überseedepartements: seit wann haben die im Mutterland etwas zu sagen? Sie ist schwarz: Und wagt es, das Recht zu verkörpern? Und sie hat zwei grundlegende Gesetzestexte eingebracht: den ersten als Abgeordnete zum Gedenken an die Versklavung, das zweite für die Ehe für alle.“
Das Magazin Elle hat Christiane Taubira Ende November zur Frau des Jahres 2013 gewählt. Die feministische Schriftstellerin und Filmemacherin Virginie Despentes wünscht sie sich in einer Kolumne als nächste französische Präsidentin. Christiane Taubira steht in einem staatstragenden Amt wie dem der Justizministerin als Politikerin für Subversion: Auch vor dem Gesetz kann Familie etwas anderes sein als Vater, Mutter, Kinder. Und de facto kann eine schwarze Frau aus einer ehemaligen Kolonie im „Mutterland“ mächtige Positionen erreichen und die Politik nachhaltig mitbestimmen. Beides hat nach wie vor das Potential, heftige Abwehrreaktionen zu wecken. Aber auch die Hoffnung auf eine tatsächliche Erschütterung alter Ordnungen.
[…] (Lose auch eine Assoziation zu Artikel von Lena Müller: Alte Ordnungen erschüttern: Die französische Justizministerin Christiane Taubira) […]