Ich. Heute. 10 vor 8.

Klick doch mal für die Hebammen

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Letzte Woche wurde bekannt, dass es ab 2015 keine freien Hebammen mehr  geben wird. Der Deutsche Hebammenverband teilte mit, dass die letzten beiden Haftpflichtversicherungen für Hebammen zum 1. Juli 2015 aus dem Geschäft aussteigen.

Die Aufregung hält sich in Grenzen. Manche interessiert das Thema überhaupt nicht, für manche hat der Gewöhnungseffekt eingesetzt. Die Hebammen schon wieder. Protestieren die nicht ständig?

Die einen fragen sich entsetzt und ungläubig, ob es wirklich soweit kommen wird, dass es in Deutschland keine freien Hebammen mehr gibt. Die anderen fragen, wozu die denn nötig seien, immerhin könnten die Kinder doch genauso gut im Krankenhaus geboren werden. Das Thema ist kompliziert, auch weil es so emotional ist. Während manche argumentieren, dass es ohne freie Hebammen nicht geht, weil sie die Geburten jenseits des Kreißsaals überhaupt erst ermöglichen, fühlen sich andere davon angegriffen. Wenn die einen von der Bedeutung der Möglichkeit einer natürlichen, „normalen“ Geburt außerhalb des Krankenhauses reden, hören die anderen daraus, ihre Geburt mit ärztlichem Eingriff sei nur halb so gut gewesen. Schwieriges Terrain.

Wofür brauchen wir freie Hebammen? Damit sich Schwangere entscheiden können, ob sie im Krankenhaus, zuhause oder im Geburtshaus entbinden wollen. Natürlich ist wichtig und zuweilen lebensrettend, dass es Kreißsäle gibt. Allerdings ist die Zahl der Kaiserschnitte bei Geburten, die im Krankenhaus begonnen wurden, ungleich höher. Außerdem kümmern sich Hebammen um Vor- und Nachsorge, betreuen im Wochenbett, kümmern sich um Rückbildung und Stillprobleme. Es geht auch um Wahlfreiheit in einer existentiellen Situation.

Ein Argument, das ab und zu vorgebracht wird, ist, dass die Folgekosten von Geburten nun mal steigen und im Übrigen ja Krankenhäuser bereit stünden. Kein Grund also für staatliche Einmischung. Mit demselben Argument könnte allerdings Pilotinnen und Piloten das Risiko für Flugzeugabstürze auferlegt und auf die Alternative Bahnfahren verwiesen werden. Wahrscheinlich halten die meisten Menschen Geburten für wichtiger als die Möglichkeit zu reisen.

Seit einigen Jahren tauchen die Hebammen regelmäßig kurz in den Schlagzeilen auf. Die Einkünfte der freien Hebammen sind gering (8,50€/Stunde bei höchst unattraktiven Arbeitszeiten), aber die Prämien ihrer Haftpflichtversicherungen steigen beständig. Von weniger als 100 Euro 1989 über 1350 Euro 2004 auf über 5000 Euro diesen Sommer. Die Hebammen protestieren dagegen und bekommen von allen Seiten Zuspruch. Noch kann sich niemand vorstellen, dass es wirklich irgendwann keine Hebammen in Deutschland mehr gibt. Immerhin bekommen auch Politiker und Politikerinnen aller Parteien Kinder und häufig waren Hebammen dabei. Wenn die Hebammen laut werden, gibt es von allen Seiten ein paar Krokodilstränen. Nur: geändert hat sich im Grunde bisher nichts.

Als sich die Situation 2010 zuspitzte – 2009 kostete die Haftpflicht 2400 Euro, 2010 sollte sie auf 3700 Euro steigen –, reichten der Deutsche Hebammenverband eine Petition an den Bundestag  ein. Sie wurde mit knapp 200.000 Mitzeichnenden die größte in der Geschichte des Petitionsausschusses. Es fand eine öffentliche Anhörung statt und dann… geschah eine Weile gar nichts. Der Petitionsausschuss konnte sich erst Anfang 2013 zu einer Meinung durchringen und empfahl, die Petition den zuständigen Ministerien als Material zu überreichen. In der Zwischenzeit gab es Verhandlungen zwischen Hebammen und Kassen, weitere Proteste, und die Haftpflicht stieg. Eine Studie im Auftrag des Familienministeriums stellte fest, dass ein ernstes Problem vorlag und der Gesundheitsminister bestätigte dies. 94.000 Menschen wählten das Thema zu einem, das die Kanzlerin beim Bürgerdialog besprechen sollte. Eine weitere Petition setzte sich 2012 für Hebammen ein, und 2013 gab es noch eine, damit die Hebammen im Koalitionsvertrag erwähnt wurden. 80.000 Unterschriften allein dafür. In den Jubel darüber, dass dies geglückt war, platzte die Ankündigung, dass die Prämien 2014 um weitere 20 Prozent steigen werden.

Die jüngste Petition fordert den neuen Gesundheitsminister auf, sich für Hebammen einzusetzen – bis Donnerstag hatte sie knapp 220.000 Unterschriften. Es fand ein Gespräch statt, es wird etwas versprochen werden.

Irgendetwas verhindert im Fall der Hebammen eine dauerhafte Lösung, die ja möglich wäre, wenn der politische Wille existierte. Noch traut sich kaum jemand zu sagen, dass es in Zukunft dann eben keine Hebammen mehr geben wird. Womöglich geht es auch um’s Geld bei einem Phänomen, das zwischen Krankenhäusern und Versicherungen angesiedelt ist. Und wenn immer mehr Hebammen zermürbt und perspektivlos ihren Beruf aufgeben, verschwindet das Problem ja auch irgendwann, ohne das irgendwer daran schuld war.

Der Protest gegen die Abschaffung der Wahlfreiheit beim Gebären findet meist per Online-Petition statt. Es gibt auch Straßentheater und kleine Demonstrationen, weil es aber nicht so viele freie Hebammen gibt, ist mehr wahrscheinlich nicht drin. So gesehen sind ist der klickbare Protest eine gute Sache, nur leider haben die Petitionen eben keinen Effekt. Generell sind sie als Gradmesser für das öffentliche Interesse vermutlich hilfreich, aber um politisch etwas zu bewegen, nützen sie selten.

Es gibt inzwischen Petitionen, Offene Briefe, Unterschriftensammlungen zu allem und jedem. Das ist auch gar nicht schlecht: Plötzlich äußern Menschen ihre politischen Interessen, die das sonst nie täten, und finden andere, denen es ähnlich geht. Das ist der erste Schritt dazu, etwas zu verändern. Das Problem ist nur, dass das allein nicht reicht.

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