
Polemiken sind unterhaltsam, weil sie mit Verkürzungen und Pauschalierungen arbeiten. Sie appellieren an unsere niedrigen Instinkte, an Neid, Hass. Sie sind Ausdruck verschwurbelter Kränkungen. Ob sie tatsächlich etwas über den Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur aussagen, ist fraglich. Besonders wenn die Parameter nie geklärt werden.
Das beginnt beim Begriff der „Deutschen Gegenwartsliteratur“, der vage eine Generation von Autoren zwischen 30 und 40 umfasst, die anscheinend nach ein, zwei Werken einen Zugriff auf die „Gegenwart“ haben. „Deutsch“ heißt in Verlagen Deutschlands, und eigentlich: in größeren Verlagen Deutschlands Veröffentlichtes. Kleinverlage oder Autoren anderer Altersklassen und anderer Länder deutscher Sprache sind hiervon ausgeschlossen.
Darauf folgt der stets beliebte Rundumschlag gegen Schreibinstitute an Universitäten. Sie wären schuld an der Vereinheitlichung. Sie sind, wie auch das Verlagswesen und der Literaturbetrieb Spiegel gesellschaftlicher Strukturen, sicherlich. Einer Gesellschaft, die es Kindern aus nichtakademischen Familien deutlich schwerer macht, bessere Bildung zu erlangen. Statistiken zeigen das. Das bedeutet aber nicht, dass sie dies ausschließlich sind. In den letzten Jahren ist der Anteil von nicht monolingualen und monokulturellen Studierenden an Schreibinstituten deutlich gestiegen. Und sie produzieren auch nicht ausschließlich Prosa: Es gibt dort Lyriker, die anscheinend nicht zur deutschen Gegenwartsliteratur gerechnet werden; es gibt Dramatiker, Essayisten. Auch Prosa ist nicht gleich Prosa. Schreibinstitute sind dazu da, verschiedenste Schreibweisen zu üben, ein kurzer Blick auf die jeweiligen Vorlesungsverzeichnisse könnte da sehr schnell Klarheit schaffen.
Dass ehemalige Studentinnen nun selbst an Schreibschulen lehren ist ein Phänomen, das in den immer gerne vergleichsweise herangezogenen USA völlig normal ist. Autoren, die die Metaebenen ihres Arbeitens reflektieren und vermitteln können, gibt es nämlich nicht wie Sand am Meer. Lehrende einzustellen, die Didaktik und Handwerk des Schreibens als Studierende kennengelernt haben, ist kein dummer Gedanke. Dass sich aber damit – wie unterstellt – auch viel verdienen ließe, ist schlichtweg unmöglich; darüber könnte der Blick auf die allgemein einsehbaren Universitätsbesoldungstabellen ebenfalls Aufschluss geben.
Dass transnationale Autoren automatisch aus armen ungebildeten Familien stammen ist genauso eine Unterstellung, wie dass sie die Position der vertriebenen und ermordeten Juden besetzen sollten, wie Maxim Biller fordert. Welche Sicht von Juden ist das bitteschön! Genauso wie es „den Muslim“ nicht gibt, gibt es „den Juden“ nicht, außer in diffamierenden Kontexten. Und seit Feridun Zaimoglus Kanaksprak, wo erstmals härter eine sowohl poetische als auch diversifizierende Auseinandersetzung „der Türken“ mit der Mehrheitskultur vollzogen wurde, sind schon mal zwanzig Jahre vergangen. Inzwischen sollte sich das Wissen um transnationale Autoren und ihr literarisches Territorium auch im deutschsprachigen Raum etwas erweitert haben. Diese Autoren haben übrigens die Migrationsecke satt, in die sie wohlwollend, um nicht zu sagen paternalistisch und maternalistisch gerückt werden. Sie wollen nicht als verkappte Soziologen, sondern ebenso aufgrund ihrer literarischen Qualität geschätzt werden wie andere auch.
Apropos Fremde: Nachdem seit ewigen Zeiten immer nur von Autoren ostdeutscher Herkunft erwartet wurde, „den“ Wenderoman zu schreiben, und viele lieber Stipendien in Brasilien oder Wewelsfleth annahmen, anstatt sich mit der Fremde vor ihrer eigenen Haustüre auseinanderzusetzen, soll ein in der Uckermark spielender Roman, geschrieben von einem Autor, der aus Ex-Jugoslawien stammt, ein Rückschritt sein? Fremde sind wir uns doch vor allem selbst.
Und apropos Langeweile: Es ist noch nicht so lang her, dass von Lektoren und Kritikern der Ruf nach anständig erzählter Literatur erklang, fort mit sprachlichen Experimenten, nehmt euch ein Beispiel an „den Amerikanern“, hieß es, und die deutschsprachigen Autorinnen machten und machten. Und jetzt wird nach Abwechslung und Radikalität gekräht?
Und apropos: Es ist auch ein Mythos, dass Autoren allein den Output der Verlage bestimmten. In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein gut funktionierendes Aussortierungssystem etabliert, das ungewöhnliche Formen und Inhalte an den Eingangstoren in die etablierte Literatur erfolgreich abschmettert. Agenturen, die Texte, wenn sie überhaupt dort zur Ansicht gelangen, vorfiltern und ablehnen, sofern sie nicht ins Gängige passen; Lektoren, die überfordert sind mit der Fülle von Angeboten, die sich oft um die gleichen Texte einen Honorarkampf liefern; Programmleiter, die das Geschäftsgebaren und Profil der Verlage hüten und aus diesen Gründen Texte zurückstellen, auch wenn die Lektoren sich noch so dafür einsetzen. Und erscheint ein Buch dann endlich, kommt es darauf an, ob es in den großen Feuilletons auch besprochen wird. Dort beginnt der nächste Kampf, Redakteure, die Ausgefallenes aus entlegenen Gebieten der Verlagslandschaft zur Rezension anbieten, haben da weniger Chancen. Falls sie sich überhaupt die Mühe machen wollten, über die Vollglanzbroschüren der üblichen Verlagsprogramme hinauszuschauen.
Also wer ist schuld, dass es angeblich einen Einheitsbrei an literarischen Publikationen gibt? Derjenige, der nicht genau hinschaut. Derjenige, der nicht liest. Derjenige, der sich nicht wirklich für Literatur interessiert, sondern nur für den eigenen Status und fasziniert auf den wunderbar durch so viel Aufgeregtheit geschlagenen Schaum blickt. Das prickelt so schön.
Einheitsbrei im Focus
Wenn ich Ihre Gedanken von Einheitsbrei und Schuldfrage im Bereich Literatur
aufgreife und als “Rundsichtfocus”, d.h. “Duplicatfinder” in anderen Bereichen
benutze, dann erkenne ich, mit 63 Jahren Lebensrundsicht, folgendes.
Es ist alles schon zig mal gedacht, geschrieben, gefilmt, gesagt, erlebt worden.
Ein sich wiederholender “Duplicat-Einheitsbrei” der Zeit-Geschichten,
der Leben-Zeiten, Situationen, Gedanken, Taten. Es findet lediglich ein
Austausch der “Brei-Akteure” und des “Bühnenbildes” statt.
Die “Cloud” der Menschen, ein langweiliges “sich wiederholen” von Problemen,
Fragen, Antworten, Situationen, irgendwie eine Wiederholung der Geschichte(n),
oder ständige Wiederholung der “Wechselwirkung” Mensch-Mensch;
ohne erkennbaren Fortschritt des “Lebensunterhaltungswertes”.
Wenn Sie die “Cloud” der Menschen verlassen und deren “Wechselwirkungsbereich”,
dann sind Sie zwar allein, aber mit dem Vorteil der Ruhe und des Schweigen.
Nun können Sie selber denken, denn denken ist nur schweigend möglich.
Selber denken, über all die Themen, eine eigene, “wechselwirkungsfreie Cloud” erstellen,
anstatt die “Cloud’s” der einzelnen “Anderen” zu besuchen und dort die “Schuld”
der Langeweile zu finden.
Die Schuld des Versäumens der eigenen “Gedanken-Cloud”, wechselwirkungsfrei,
d.h. unbeeinflußt.
Sie werden staunen, wie kurzweilig ein wechselwirkungfreies, schweigendes,
Leben ist. Ihre “Wahrnehmung” wird gesund.
Sie sehen und hören und schmecken die “Schöpfung”, unbeeinflußt,
ganz für sich und können sie genießen, daß was vorher unmöglich war,
im “engen Knast” der Menschen-Gesellschaft.
Und wenn es Gott gefällt, können Sie die Schöpfung auch “erlebend begreifen”,
denn Gott redet schweigend, in Form von Gedanken und Gefühlen,
und nur im Dialog mit dem Einzelnen.
Die Natur der Erde wahrnehmen und mit den Gedanken Gottes sehen, mit Ihrem Geist,
das ist “FLASH” und “CHILLOUT” zugleich.
Mal was anderes als der “schuldige Einheitsbrei”.
Die ” unschuldige Symphonie” der Schöpfung.
:=)
MfG
P.S.
die ungeduldige symphonie der schöpfung hätte ich fast gelesen in Ihrem kommentar. und die tatsache, dass Sie selbst weiterhin in der CLOUD fischen und wortspuren hinterlegen, lässt mich vermuten, dass sie noch nicht ganz unschuldig und in weisem schweigen versunken sind. in diesem sinne: herzliches LOL
@sabinescholl
Meine Cloud in Ihrem Focus, auch nicht schlecht..:=)