
Wahnsinn, diese Frau. Die 69-jährige Alice Nkom sitzt gut gelaunt vor mir, gekleidet in der traditionellen bunten Kaba Ngondo-Kleidung. Gestern hat sie ausgiebig gefeiert: nach der Preisverleihung des 7. Menschenrechtspreises von Amnesty International, den sie für ihren Einsatz für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender (LGBTI) in Kamerun bekommen hat. Die Anwältin verteidigt Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität vor Gericht stehen.
Homosexualität ist in Kamerun seit 1972 verboten und wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und einer Geldstrafe geahndet. Ein Erlass des Präsidenten Ahmadou Ahidjo ergänzte das Strafgesetzbuch um Artikel 347. Zuvor stand Homosexualität nicht auf der Liste der “schädlichen Verhaltensweisen”, zu denen etwa auch Polygamie und Prostitution gehören.
Als erstes zerstört Nkom im Gespräch das Vorurteil vom aufgeklärten Westen und barbarischen Afrika: „Es ist nicht afrikanisch, Menschen zu bestrafen, weil sie homosexuell sind“, sagt Nkom, „das Strafgesetzbuch orientierte sich bei der Staatsgründung 1960 noch an traditionellen Moralvorstellungen.” Heute wird die Strafverfolgung von Homosexuellen vor allem religiös begründet, der derzeitige Präsident Paul Biya, Staatsoberhaupt seit 1982, ist streng katholisch.
Homosexualität war für Nkom, die 1969 als erste schwarze Frau des Landes eine Zulassung als Anwältin erhielt, lange kein Thema „… bis ich ein schwules Paar kennenlernte, das nach Kamerun kam. Ich konnte beobachten, wie sie von Tag zu Tag unglücklicher wurden, weil sie sich verstecken und verleugnen mussten. Ich dachte: Alice sei nicht feige, du musst etwas tun.“ 2003 gründete sie ihre NGO, um die Rechte von LGBTI zu stärken.
Die Strafverfolgung und die Angst der Menschen davor ist das eine. Das andere ist die Gefahr von Gewalt und Folter durch die Polizei und im Gefängnis. Verdächtige und verurteilte Menschen werden sowohl bei der Verhaftung als auch im Gefängnis gefoltert und geschlagen. Auch Aktivisten wie Nkom werden regelmäßig mit Todesdrohungen verfolgt und benötigen Personenschutz. Deswegen arbeitet sie vor allem allein. „Ich habe kaum Mitarbeiter, weil ich sie nicht beschützen kann. Außerdem weiß ich nie, ob sie nicht vielleicht doch von der Regierung geschickt wurden, um mich auszuspionieren. Oder sie sind nur scharf auf das Laptop und laufen damit weg.“ Sie grinst verschmitzt.
Dass Nkom trotz der Bedrohung ihren Humor bewahrt, ist erstaunlich. Denn die Gefahren sind höchst real. Aktivist und Journalist Eric Ohena Lemembe, Geschäftsführer der Kameruner Stiftung CAMFAIDS, wurde am 15. Juli letzten Jahres ermordet. Der Fall wurde nie wirklich untersucht, wie Human Rights Watch bemängelt. Der Kameruner Botschafter in Genf erklärte dazu vor dem Menschrechtskonzil der Vereinten Nationen, dass Lemembe als „wahrscheinlicher Krimineller“ eben selbst schuld sei.
Alice Nkom kämpft vor allem mit juristischen Mitteln, der politische Weg bleibt ihr versperrt. Kamerun ist zwar auf dem Papier eine Mehrparteienrepublik, doch Beobachter sprechen von Wahlfälschungen und Korruption. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International liegt Kamerun derzeit auf Platz 144.
Ausführlich legt Nkom ihre juristische Argumentation dar, mit der sie die Strafverfolgung von LGBTI in Kamerun abschaffen möchte. Kamerun hat 1984 die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert. „Und die garantieren das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Artikel 347 ist deswegen verfassungswidrig,“ erklärt sie.
Viel Hoffnung setzt Nkom derzeit auf den Fall von Franky Djome and Jonas Singa Kimié. Die beiden Transgender wurden 2011 verhaftet und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie wie Frauen gekleidet waren. 2013 wurde das Urteil mit Nkoms Hilfe revidiert, die beiden kamen frei. Nun möchte Nkom die Freilassung als Argument nutzen, um die Verfassungswidrigkeit von Artikel 347 feststellen zu lassen. „Damit ich endlich in Rente gehen kann.“
Bis dahin kann es aber noch eine Weile dauern. Damit der Fall schnell verhandelt werden kann, braucht Nkom Geld, etwa für Reisen und für ihren Personenschutz. Und davon hat sie gerade wenig. Eine EU-Förderung, die sie bei der Arbeit zwei Jahre lang unterstützte, ist ausgelaufen. Bisher bekommen LGBTI-Aktivistinnen nur wenig finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, zum Beispiel aus den Entwicklungszusammenarbeitsetats.
Eine Anfrage an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ergab, dass in 2010 970.000 Euro für Projekte zur Förderung von LGBTI-Rechten zur Verfügung gestellt wurden. Bei einem Gesamtetat von 6,07 Milliarden sind das gerade einmal 0,02 Prozent. Es gibt also noch Luft nach oben.
Aber reicht die Änderung eines Gesetzes überhaupt aus, um eine homophobe Gesellschaft zu ändern? „Nein“, meint auch Nkom. „Mein größter Feind ist die Ignoranz. Die Menschen interessiert das Unrecht nicht, und sie wollen es auch nicht wissen.“
Ernst und fast ein wenig verzweifelt wirkt sie, als die Sprache auf die Proteste gegen die Eheschließung von Schwulen und Lesben in Frankreich kommt. „Das ist sehr sehr schädlich für meine Arbeit. Wie soll ich mit Europa als Vorbild argumentieren und mit den Menschenrechten, wenn hier gegen die Rechte von Schwulen und Lesben protestiert wird?“
Alice Nkom am Sonntag, 23. März um 13 Uhr live im Hamburger Abaton-Kino
Alice Nkom ist am Sonntag, 23. März um 13 Uhr zusammen mit dem Film “Born This Way” zu Gast im Hamburger Abaton-Kino. Der Eintritt ist frei! Tickets können unter http://www.abaton.de reserviert werden.