Was, wenn Sie das Universum hacken wollen? Ist gemacht worden, aber man ist noch lange nicht fertig damit. An das Higgs-Teilchen heranzukommen stellt nichts Geringeres dar als eine Übung in Universum-Hacking. Die Werkzeuge, die man dazu benötigt, sind komplex und setzen eine tiefreichende Integration von digitalen und physikalischen Komponenten sowie auch von Software und Firmware voraus. Wenn es Ihre Aufgabe wäre, diese hypermodernen Apparaturen rechtzeitig an den Start zu bringen, und zwar innerhalb eines gesetzten Budgets und auch gemäß präziser technischer Spezifizierungen – was würden Sie tun?
Nachdem Sie festgestellt haben, dass kein einzelner Beton-Lieferant oder Bit-Entwickler alles, was Sie benötigen, bereitstellen kann, stellen Sie eine Gruppe unterschiedlichster Lieferanten und Entwickler zusammen, um es für Sie maßgeschneidert bauen zu lassen. Aber wie garantiert man, dass alle Beteiligten profitieren? Und vor allem – wie stellt man sicher, dass am Ende tatsächlich die Geräte herauskommen, die den Job erledigen? Wie wäre es, wenn man einfach alle zur Zusammenarbeit überreden könnte, sie dazu brächte, ihre Baupläne offenzulegen? Zusammenarbeit erfordert absolute Transparenz, ganz zu schweigen von der schier unerschöpflichen Aufnahmefähigkeit für tiefgreifende Kritik. Es handelt sich jedenfalls nicht um business as usual. Genau dieser Open-Hardware-Ansatz wurde von Ingenieuren am CERN gewählt, die eine höchst präzise Netzknotensynchronisation im Ethernet-Netzwerk bewerkstelligen sollten. Sie träumten davon, zumindest ansatzweise mit den gleichen Freiheiten zusammenzuarbeiten wie ihre Kollegen von der Software-Abteilung. Das Resultat war das Modell und die technische Umsetzung einer komplexen Elektronik, die tatsächlich in der Lage war, die Geschwindigkeit der mit halsbrecherischem Tempo zwischen Genf und Gran Sasso dahinrasenden Neutrinos zu messen. Wenn Sie das Ganze in Ihrer Freizeit nachbauen wollen – nur zu. Wenn Sie dann damit ins Geschäft einsteigen wollen – kein Problem. Alles, was Sie brauchen, ist eine Open-Hardware-Lizenz. Aber vergessen Sie nicht: Sie werden sich dem Wettbewerb stellen müssen. Nur weil die Bauweise offen einsehbar ist, soll man nicht annehmen, dass es keine Regeln zu befolgen gäbe. Das Ziel besteht darin, Verbesserungen zu erreichen, Wissen zu teilen und, vor allem, die Baupläne tatsächlich für alle verfügbar zu halten. Eine Lizenz gibt dabei die Regeln vor, wie Informationen ausgetauscht werden.
Der hier skizzierte Wandel ist subtil. Es ist nicht einfach eine Veränderung in der Produktionsweise, es ist auch ein Wandel in der Art, wie man miteinander konkurriert. Klingt paradox? Ist aber so. Statt sich vor allem darum zu bemühen, die anderen von Ihrem Terrain fernzuhalten, geht es nun darum, sie hereinzubitten, um gemeinsam etwas zu konstruieren, was alleine niemals zu stemmen wäre. In dem Moment, in dem man eine Leistung anbietet – zum Beispiel einen Beitrag zu den am CERN benötigten Geräten –, liefert man eine neue Arbeitsweise, nicht einfach nur irgendeine Kleinigkeit.
Viele wären bereit, den Ansatz als eine Art Higgs-Hexerei abzutun – eine weitere Schrulle aus der abstrusen Welt der Teilchenbeschleuniger. Stimmt aber nicht ganz. Selbst wenn sich kommerzielle Lösungen von der Stange anbieten, ziehen es manche Forscher vor, den Open-Hardware-Weg einzuschlagen, mit dem man eher zu Maßgeschneidertem kommt. Am MIT ging eine Gruppe von Studenten mit ganz anderen Absichten als die CERN-Ingenieure an den Start: Sie beschlossen, Open-Source-Methoden anzuwenden, um Redundanzen zu vermeiden, Kosten zu senken und die Produktivität zu erhöhen. Die elektrophysiologische Open-Source-Hardware Open Ephys ist schlicht und ergreifend dafür da, „es zu erleichtern, unsere Werkzeuge miteinander zu teilen“. Jeder, der jemals in einem Versuchslabor gearbeitet hat, weiß, dass immer wieder reichlich Mühe darauf verwendet wird, das Rad neu zu erfinden, weil es entweder keinen Zugang zu den notwendigen Informationen gibt – oder das sprichwörtliche Rad einfach zu teuer ist. Doktoranden sind seit Urzeiten Tüftler und Heimwerker, nicht nur Denker.
Von der Welt der naturwissenschaftlichen Forschung zu den tagtäglichen Geschäften ist es bloß ein kleiner Schritt. Sagen wir mal, Sie beschließen, sich die Lego-Steine für Ihre Kinder in Zukunft selbst herzustellen – oder Sie wollen ganz einfach unbedingt der Erste in der Nachbarschaft mit einem 3D-Drucker sein. Kein Problem. Auch hierfür gibt’s eine Open-Source-Lösung. Der Ultimaker ist entweder als Bausatz mit allen Einzelteilen zu erwerben oder Sie wählen die echte Do-it-yourself-Methode und statten Ihrem nächsten FabLab einen Besuch ab. Der Film Print the Legend gewährt einen etwas geschönten Blick hinter die Kulissen eines 3D-Druck-Start-ups, das seinen Open-Source-Ansatz schließlich zugunsten eines, sagen wir, mehr besitztumsorientierten Wegs zum amerikanischen Traum (will heißen: jede Menge Geld) aufgegeben hat. Man kann davon halten, was man will – aber wie auch immer sich das 3D-Drucken in Zukunft entwickelt, seine Ursprünge sind Open-Source. Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt zum Beispiel auch den jährlichen „international Genetically Engineered Machine“-Wettbewerb (iGEM), der die offene Verbreitung von biotechnologischem Wissen fördert – dazu werden den Studenten Bio-Bauteile aus der BioBricks–Datenbank frei zugänglich gemacht. Biotech-Multis, die sich durch die exklusive Patentierung von Gensequenzen gesundstoßen wollen, haben das Nachsehen. Und die Revolte setzt sich fort, allerorts: Open Source Urbanism, Seven Solutions und Creotech oder sogar Open Source Politics und Open Source Design.
Nach dem Einsatz von Lötkolben, Fräse und Drehbank, um individuell angepasstes Forschungsgerät herzustellen, sind FabLabs und Hackethons nur weitere Beispiele für eine Gesellschaft, in der Experimentieren und Autarkie hochgeschätzt werden. So vorteilhaft Massenproduktion erscheinen mag, Maßgefertigtes ist kein reiner Luxus – es wird noch immer dringend benötigt. Massenproduktion eignet sich vorzüglich für all das Zeugs, das wir alle tagein, tagaus brauchen. Aber Zeugs allein reicht nicht. Immer mal wieder brechen wir auf und begeben uns auf eine epische Mission, wollen das Higgs-Boson finden, die elektrischen Signale des Nervensystems ergründen, benötigen eine spezielle Beinprothese, eine neue Leber – und dann brauchen wir ein maßgeschneidertes Stück Hardware oder Gewebe, nicht eins von der Stange.
Warum also glauben so viele Menschen, dass Zusammenarbeit, Wissensaustausch, Open-Source-Ansätze – dass all das gänzlich utopisch sei und vor allem eine gänzlich unrealistische Methode, seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Haben wir vergessen, wie es früher einmal war? Versagt hier das kollektive Gedächtnis? Oder liegt da über allem ein eigenartiger Schleier, der unsere Sinne betäubt und unsere Fähigkeiten lähmt?
Vor allem aber gilt es zu erkennen, dass unsere Technologien und unsere Gesellschaftsstrukturen an Komplexität zugenommen haben. Die Integration unserer Instrumente und Apparaturen reicht tiefer als je zuvor. Um beispielsweise das Higgs-Teilchen zu finden, war eine vielschichtige Zusammenarbeit eine absolute Notwendigkeit, nicht einfach eine Option. So weit, so klar. Weniger klar ist der Umstand, dass die kommerziellen Aspekte der Technologie von einem Patentsystem beherrscht werden, das auf das Venedig des Jahres 1474 zurückgeht, als technische Gerätschaften relativ unkompliziert waren und Handwerker alle Aspekte des Gewerbes beherrschten. Und so sind mittlerweile über Jahrhunderte hinweg unsere kommerziellen Transaktionen auf Patent- und Geschäftsgeheimnisse gegründet, die für massenproduzierte Artefakte völlig ungeeignet sind, aber auch für die individuell gefertigten. Die Patentkämpfe zwischen Apple und Samsung sind lediglich ein Symptom dieser Malaise.
Menschen ziehen es nun einmal vor, ihre Werkzeuge zu beherrschen, statt sich von den sie umgebenden Artefakten beherrschen zu lassen. Und deshalb ist die Fähigkeit, unser Instrumentarium zu modifizieren und individuell anzupassen, so ungemein wichtig. Arduino ist ein gutes Beispiel, dass Experimentieren und ein ganz pragmatischer Umgang mit Technologie notwendig ist. Wir sollten auch nicht vergessen, dass selbst so komplexe Hardware-Komponenten wie CPU oder Memory-Chips inzwischen gewöhnliche Handelsartikel sind.
Wir beobachten, wie sich die Muster des Konkurrierens von exklusiven zu inklusiven wandeln. Exklusion heißt in diesem Fall, den Konkurrenten den Markteintritt mit allen Mitteln zu erschweren (wobei Patente natürlich ein beliebtes Mittel darstellen), oder Verdrängung durch Guerilla-Marketingstrategien. Inklusion bedeutet, allen Mitspielern einen vergleichbaren Zugang zum Spielfeld zu ermöglichen – und dann zu teilen. Dieses inklusive Modell lässt nach wie vor eine Firma gegen die andere antreten, allerdings unterscheiden sie sich nicht durch das, was sie im Angebot haben, sondern wie sie es anbieten – Kreativität muss befördert, Ausschlussdenken unterbunden werden.
Während die Schwarzseher und Dauerskeptiker auf ihren ausgetretenen Pfaden weiterziehen, könnten wir unsere Energie doch einmal gemeinsam darauf verwenden, nicht nur das Universum zu hacken, sondern gleich unsere dringendsten sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen Probleme mit. Wir könnten doch beim Klimawandel anfangen. Oder bei der Stromproduktion. Oder mit der Jugendarbeitslosigkeit. Oder dem Fremdenhass. Oder wir könnten endlich den Menschenhandel abschaffen. Was immer wir uns vornehmen wollen – wir sollten uns an die (Zusammen-)Arbeit machen.
(Aus dem Englischen von Elisabeth Ruge)
......ist das Konzept uralt. Es heißt: Zusammenarbeit
D.h. auch noch MEHR. Z.B. das die Ergebnisse von Forschung (wenigstens die die öffentlich bezahlt wird) offen und frei für alle verfügbar sind UND das die der Privaten Forschung, nach einer bestimmten Schutzfrist, wieder der Allgemeinheit zu fallen!(1)
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Dem Forscher die EHRE, weiter Mittel für seine Gedanken und Ideen.
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Die Ergebnisse auf die “Allmende”! Den ohne das die Gesllschaft in freigestellt, von Alltagssorgen befreit hätte…. würde er siene Zeit dazu brauchen seinen Lebensunterhalt zu verdienen!
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Weiss
Sikasuu
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(1) Das sollte auch für Nicht-Wissenschaft gelten. Z.B. Für Texte, Musik,…… Urheberrecht wie Heute ist sehr Reperaturbedürftig. Verweiste Werke (z.B. bei Nichtnutzung > 20 Jahre) sollten der Allgemeinheit zufallen…….
Ham wir doch schon!
Nennt sich “Kartell”, taucht mit unschöner Regelmäßigkeit vor allem als Zement-K. auf und schadet uns allen. Vom Idealismus (in) der Uni bleibt im richtigen Leben wenig übrig – auch deswegen brauchen wir (leider einengende) Regeln.
NS:
Sie sitzen im Berner Stadtrat und bezeichneten sich in Ihrer Mail an mich als “English speaking”: Ist da die Amts- und Umgangssprache etwa Englisch? Schwer vorstellbar in Gremien, die alle Bürger vertreten sollen: Was machen Sie, wenn Sie ein einfacher Einwohner aufsucht und Auskunft begehrt? Dolmetscher hinzuziehen? Der muss sich ja veräppelt vorkommen. Und Ihre Texte hier sind inhaltlich nicht so kompliziert, dass sie sie nicht auch gleich in deutscher Sprache verfassen könnten – Korrektorat: Elisabeth Ruge wäre völlig ausreichend.
We all need a few rules to get by in life
Dear f-a
We all need a few rules to get by in life, and to keep the powers that be balanced.
I am delighted that in spite of my resistance to writing in German, you have returned here. You are right, the posts here are worthwhile reading.
On the other hand, if you were to vote in Bern at the municipal elections, it seems that I couldn’t count with your vote. But to answer your question, let me reassure you that I do speak Goethe’s language, and I can write it, if need be. In the Bernese Rathaus, when I go to the podium, I speak in German, and spare my colleagues the torture of having to listen to me in French, a language that I both speak and write much better than German.
That said, if I were to write directly in German, the corrections and editing would be much more time consuming than the translation from English. In my view, it is a compliment to the translator Elisabeth Ruge when you claim that the text is not complicated. Or did you mean complex? You see, that is the art.
Cheers,
Dannie
English version
Dear Dr Jost,
thank you for this wonderful article. I’d like to share it with some of my English speaking colleagues. Was the original English version also published somewhere?
Best,
Titus
Thank you!
Dear Titus
Thank you!
The original English version has not yet been published, but I hope that this will be happening soon.
Best wishes,
Dannie
Letztlich bleibt aber die Frage
wie man in einer Gesellschaft, die alles in Profit denkt und auch “geistiges” Eigentum von der Warte des Besitzes her sieht, wie man in einer solchen Gesellschaft nicht als Depp darsteht, wenn jemand sich all diese open-source greift und auf seinen Namen patentieren lässt. Ich denke, da sind wir bei vielen der amerikanischen Vorzeigebetriebe.
Wie also kann man es erreichen, dass sich nicht einer, als egoistischer Egoist, auf Kosten der vielen “altruistischen Egoisten” bereichert?
Wenn man dafür eine Lösung hat, dann ist open source die intelligentere und menschlichere Zukunft.
sie vergessen jedoch...
daß alle großen Softwareunternehmen – selbst Microsoft – mittlerweile das quelloffene Entwicklungsmodell benutzen – nicht überall, aber an vielen Stellen. Sie würden es nicht tun, wenn es nicht sinnvoll und profitabel wäre.
Natürlich gibt niemand seinen USP aus der Hand, aber jedes technische Gerät besteht heute aus so vielen Teilen, die zwar für die Funktion absolut notwendig sind, aber nichts besonderes sind.
Ein Beispiel: In der Zeit der “Featurephones” – also der einfachen Handies – hatte jeder Hersteller sein eigenes Email-Programm geschrieben. Die Folge war, daß diese Dinge zwar funktionierten, aber immer irgendwie hakelten. Heute läuft auf den Android Geräten meist ein quelloffener Mailer. Niemand kauft ein Handy, weil es so ein tolles Emailprogramm hat, aber wenn dieses nicht richtig funktioniert, fällt das negativ auf. Geben und Nehmen.
Microsoft hat erst einen offenen Quellcode eingeführt als es
Druck von der EU bekam (oder habe ich das falsch in Erinnerung?).
Ich finde Idealismus ja prima, nur weiß ich aus bitterer Erfahrung, dass um einen Idealisten 5 sogen. Realisten stehen, die alles für die eigene Tasche abgreifen.
Im Übrigen benutze ich schon seit Jahren LInux und weiß um die Vorteile (und Nachteile).
mfG
Titel eingeben
Mit einer Veröffentlichung unter Open Source ist die Innovation “prior art” / Stand der Technik und damit nicht mehr patentierbar. Wäre daher neugierig, wo konkret sich ein amerikanischer Vorzeigebetrieb Open Source-Technologien hat patentieren lassen.
Umgekehrt wurde bspw. Cisco wegen Verletzung der GPL von der Free Software Foundation verklagt und einigte sich anschließend unter Schuldanerkennung außergerichtlich.
Wo Open Source also passt, finde ich den Gedanken extrem lobenswert und bereichernd für alle Beteiligten.
Schön und Gut
Opensource ist eine wunderbare und sehr erfolgreiche Methode Dinge zu entwickeln. Ich bin da ganz Ihrer Meinung. Das/die Beispiel/e, die Sie zitiert haben, sind eindrucksvoll und begeisternd.
Was aber, wenn die technische Entwicklung und die Funktionalität im allerletzten Schritt nicht mehr zählen, sondern Ideologie und politische Überzeugung? Dann wird die Pflanze Opensource ausgerissen und zertreten. Opensource ist in unserer heutigen Welt leider auf der politischen Bühne nicht durchsetzungsfähig, weil es die vorhandenen Machtstrukturen nicht überwinden kann. Dies sieht man sehr schön an der Energiewende: Es ist eine wunderbares Thema, deutsche Ingenieurskraft unter Beweis zu stellen, gerade in Opensource. Aber leider gibt es politische Kräfte, die das Spiel allein für sich ausnützen wollen.
Welch eine Verschwendung von Geld (EEG-Umlage) und Geistesleistung!