
Neulich im ICE von Köln nach Berlin: Der Mann auf dem Sitz vor mir sucht sich ab Bielefeld auf offenem Rechner eine passende Gespielin auf der Homepage eines Berliner Bordells. Das dauert. Es sind viele Frauen in diversen Posen und Positionen. Preise, Maße und angebotene Maßnahmen wollen auch studiert sein. Bei Hannover bin ich sehr erschöpft vom Wegsehen und inneren Ringen, was ich tun soll: Platz wechseln, Streit suchen, cool sein, uncool sein, und überhaupt: wie politisch und persönlich ist sein Betrachten zu nehmen?
Bei Wolfsburg hat er sich immer noch nicht entschieden. Ich unterbreche seine sorgfältige Betrachtung der Rückenansicht einer Mini Pli-Brünetten mit weißen Strapsen, beuge mich zu ihm hinunter und bitte ihn leise, das auszumachen. Er schaut auf, freundlich, verständnislos. Wir sehen uns an. „I beg your pardon?“ Ein Holländer. Er sieht nett aus. Ich wiederhole meine Bitte auf Englisch. So richtig versteht er mich immer noch nicht. Ich werde lauter und ausführlicher als geplant: Es beleidige mich zu sehen, wie er sich eine Frau zum Kauf aussucht. Mein Herz klopft. Die Mitreisenden starren jetzt. Er wird rot. Ich auch. Er klappt den Rechner zu.
Er hat mich nicht gesehen. Er konnte mich auch gar nicht sehen. Ich saß ja hinter seinem Rücken. Und genau von dort, aus dem toten Winkel, werden sie jetzt angegriffen: Männer, die Frauen nicht sehen, weil – so heißt es – die über 50 sind. Oder über 40. Oder über 30. Aber bleiben wir bei denen über 50. Die verschieben die Altersgrenze für Unsichtbarkeit bloß nach unten, um den Jüngeren auch gleich mal bange zu machen. Bleiben wir bei also denjeniginnen, die Nebenbemerkungen, Texte oder gleich ganze Bücher ihrem vermeintlichen Verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung widmen, das sie zu einer gezielten Abschaffung umdeuten. Einer Abschaffung der alternden Frau durch den sich alterslos währenden Abschaffer, Wegseher oder gar nicht erst Hingucker.
Die Generation der sich als unsichtbar ausrufenden Frauen um die 50 ist wirkungsverwöhnt. In den Siebzigern von schluffigen Sozpäzen sozialisiert, nahmen ihre Karrieren in den von Gier und zunehmender Medialisierung geprägten Achtzigern Fahrt auf. Durch die gläserne Decke ließ sich von oben herab ihr Aufstieg in die Wirklichkeitserzeugungsindustrien unserer Tage beobachten. Männer waren nicht selten nur biographische Manövriermasse, mal Publikum, mal Gegner, mal Sugar Daddy, mal Toyboy.
Selbstwirksamkeit und Sichtbarkeit gingen so lange Hand in Hand, bis die Ressource Jugend sich zunächst ins Jugendliche verdünnte, um schließlich biographisch vollständig abgebaut zu sein. Und nun steht eine ganze Generation „Geht nicht-Gibt’s nicht“-Frauen mit beiden Beinen in der Hilflosigkeit und sucht einen Schuldigen: Für das mürbe werden des Körper und das Zermürbende des Alltags. Für das falsche Neue der Optimierer und das ignorierte Richtige der alten Besserwisserinnen. Für die Allgegenwart und Allmacht der jungen Dinger, so schön wie unsolidarisch.
Und so erzwingen sie Sichtbarkeit mittels des öffentlichen Aufschreis: „Haltet den Dieb“. Der Dieb, der ihnen die Aufmerksamkeit gestohlen hat und sie nicht wieder hergibt, ist der Mann, der sie nicht sieht, in ihrem Wollen, Können, Sein. Ja, nicht mal in ihrem Gewesen sein, denn das Gewesene, also Junge in ihr, das betrachtet er lieber im Sichtbaren, also den verdammten jungen Dingern. Was bleibt sind matte Kalauer beim Ladies-Lunch über die Pseudo-Erkenntnis, nach der „frau“ im Alter entweder Kuh und Ziege werde und sich ansonsten zwischen Arsch oder Gesicht, also fünf Kilo mehr oder weniger, zu entscheiden habe.
Egal ob diese an selbst diagnostizierter Unsichtbarkeit erkrankten Frauen einen Mann haben, der sie liebt und sieht oder nicht – aggressiv betrauern sie den Verlust der Möglichkeit, möglichst viele haben zu können, die sie dann nicht wollen würden. Sie hungern nach der Aufmerksamkeit selbst solcher Männer, deren Pfiffe sie vormals peinlich berührten. Werber nennen das Gewährleistungsprinzip: Man zahlt einen hohen (Auf-)Preis für die Möglichkeit, etwas theoretisch tun zu können, was man praktisch nie nutzen wird, Geländewagen für Großstädter zum Beispiel.
Und so stehen sie nun nicht mehr im Scheinwerferlicht der Geländewagen, die unsichtbaren Großstädterinnen. Aus persönlicher Kränkung formen sie eine weit reichende Klage. Sie, die keine Hingucker mehr sind, verfehlen die Chance, selber hinzugucken: Auf eine Logik hinter dem Logikpopanz Öffentlichkeit zum Beispiel. Auf das gesamte Alphabet der Blicke, das auf den fehlenden ersten folgen kann. Auf die Beschreibbarkeit von Welt abseits von These und Schlagzeile. Auf die Liebe und das Abenteuer. Geht leben!
Vom Leben aber sehen sie nur mehr ihnen zugekehrte Rückenansichten und aufgeklappte Rechner. Die Scham der mittelspäten Jahre hat sich in ihnen ausgebreitet wie die viel zu warme Heizungsluft im Großraumwagen des ICE, in dem mein Vordermann und ich die letzte Fahrtstunde in gemeinsamer Betretenheit verbrachten.
Beim Aussteigen hatten wir jeden Blickkontakt sorgfältig gemieden, dann stehen wir uns unvermittelt am Taxistand gegenüber. „I’m so sorry“, sagt er. Ich nicke. „Ich auch“, denke ich.
Ironie pur
ist doch was Feines – Sie sollten für Rainer Meyer schreiben, da kann sogar der noch was lernen. Ich habe mich schon lange nicht mehr so vor Lachen gekringelt wie eben – womöglich das letzte Mal in der Öffentlichkeit, denn nächstens wird man mich wohl auffordern, den FAZ-Schirmbild-Rechner gefälligst schleunigst zuzuklappen…
"Männer reden über die Welt - Frauen über Männer"
einer der kernsätze unserer pers. Emanzipation. Oder anders: will mann der e. voranhelfen, muss er sich spielerisch aber voll inronie unsichtbar machen. machen wweir also schon lange und wissend und bewusst. denn sonst habhen sie keine e., sondern rückfälle.
reden doch wider über ihn. wie er ihnen gefällt, welchen eindruck er macht, wie er dastand, was wohl seine von ihm hielte, usw.. die scheinbar angebornen muster zu durchbrechen scheint recht schwer bis unmöglich. ok, einzelnen lesbischen frauen, die selber in iher beziehung eher die “männlich hälfte” wären, fiele es leichter. aber sonst? eher fehlanzeige. evtl. sogar gut von der evolution, dass sie diese “fehlleistung” ständig neu leistet, bewahrt uns vorm aussterben – und männer vorm verhungern unerhört in durnkler nacht mit prallen tatsachen. und hielte das weibliche leiden aufrecht, für welches frau gemacht. also, dass sie es erfolgreich bewältigt, statt baumstamm.
was also hülfe? mit emanzipierten männern reden. am beispiel also die sache übertreiben – aber nicht den mann von oben verkleinernd ins lächerliche ziehen – sondern nur für sich selbst! also aktiv die eigene isolation durchbrechen – in die welt raustreten, auf den zu, nicht warten, bis was kommt, was frau anspricht …, sich neben den setzen und sagen “zeigen sie mal her, gibts auch auch schnuckelige kerle im angebot?”
aber das will frau ja nicht, männer sollen auch reine jungfraun werden – meistens jedenfalls. solange immer bis frau anderer laune ist.
alternativ kann frau ihre sekunden-schnell-inventur machen. “warum rege ich mich über den grad auf?” und die antwort heimlich ganz inndendrin und unöffentlich zumeist doch wohl die: “weil du selber grad eine dumme k. bist, in der leere, hohlraum, unangefüllt, und deswegen beobachtest du, wo von außen was her käme, oder potential falsch läuft oder verschwendet wird.”
und dann wendet frau sich ab, überwindet ganz alleine und aus sich selbst heraus das alles – und wird für sich, und ihr umfeld mit, quell schöpferischer freude und orientierung – überlässt das grade keinem kerl mehr. der halt nicht da ist, oder was falsches macht. was frau aber auffiele, ggrrr, doof.
und beten hülfe auch schon, “kleine zwiesprache mit oben”, auch sekundenweise, z.b. “heilige maria, mutter gottes, du hast das auch schon alles gekannt, hilf mir in disem moment, meine weibliche balnce ist grad nicht ganz so, wie sie sein sollte …” – kann man auch als positive affirmation sehen. denn frau ist nie alleine, sondern am besten immer mit anderen frauen. es sei denn sie macht grade mit ihrer großen liebe die tür hinter sich zu.
ungefähr. und frau hätte sich von dem holländer die nummer geben lassen sollen, damit sie sich beim nächsten mal noch mehr ärgert. (auch darüber, was der evtl. alles in der zwischenzeit mit all den frauen gemacht hat. oder die mit ihm, *g* – “erfolgreich geld abgenommen” auch z.b.? —- manches sind eben die fehler der anderen. und frau kann immer nur sich selbst ändern.)
die welt im manne
lieber herr braun.
danke für ihre vorschläge und fortführungen. ob man nun über männer, pralle tatsachen oder hohlräume spricht, hauptsache man fasst sich ein herz und wirft es schon mal vor, dorthin, wo man aufbruch vermutet.
und sollte es den holländer geben, so wäre das alles noch ganz anders ausgegangen!
grüße,
heike-m. fendel
Es gibt immer was zu tun
Auch wenn man als Sexualpartner unsichtbar geworden ist, gibt es immer noch Aufgaben die nutzbringend übernommen werden können. Dieser Artikel zwingt eine Ausweichbeschäftigung geradezu auf: Gouvernante.
Und wenn der Sexappeal zu sehr fehlt – diese Tätigkeit ist auch sexuell konotiert, wenn auch im Bereich “special interests”.
Danke für diese amüsante Innenansicht einer reifen Frau.
...FREIER ODER ZUHÄLTER ?
Angenommen , der nette Holländer hätte im Internet nach einem Mietwagen gesucht .
Hätte er idas Auto dann gekauft oder gemietet ?
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Die Autorin meint , er habe eine Frau zum Kauf gesucht .
Es soll ja Zuhälter oder Menschenhändler geben , die Frauen
kaufen .
Der nette Holländer war / ist wohl eher ein Freier , der
eine Frau zur kurzzeitigen Miete gesucht hat .
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