Ich. Heute. 10 vor 8.

Die Umweltverschmutzung der Social Media Experten

© www.exacttarget.com „Eine andere Spezies“ – das Selbstbild der Social Media Experten

Meine Generation hat’s schon schwer. Man hat uns mit dem vorletzten Buchstaben im Alphabet bedacht und wir sind ständig ohne Jobs, weil wir mit Vorliebe in Berlin leben und selbst der schönste Länderfinanzausgleich nichts hilft, wenn es in einer Stadt keinen Arbeitsmarkt gibt. Ach ja, und wegen der Krise. Gott sei Dank gibt es aber jede Menge ‚neue’ Medien, bei denen uns das Wissensmonopol der Ureinwohner zugesprochen wird. Während die meisten während des Studiums noch Suchmaschinenoptimierung machen, kann der Posten des „Social Media Experten“ dann schon als erster richtiger Job durchgehen.

Wem jetzt erst mal intuitiv nicht so ganz klar ist, was das eigentlich sein soll und wofür man solche ‚Experten’ braucht, den kann ich nur beglückwünschen: Ihr gesunder Menschenverstand ist Ihnen noch nicht abhanden gekommen. Anderen allerdings schon. „41 Prozent der Social Media nutzenden Unternehmen verfügen über zentrale Ansprechpartner, die die Aktivitäten im Social Web steuern“ kann man in einer Bitkom-Studie lesen. Bei den Großunternehmen sind es sogar 86 Prozent. Die Wahrheit ist: Jeder, der in der Lage ist, einen Facebook- oder Twitter-Account zu bedienen, könnte theoretisch die Aufgaben dieser Experten übernehmen. Weltweit gibt es 757 Millionen Menschen, die sich jeden Tag auf Facebook tummeln. 200 Millionen nutzen regelmäßig Twitter. Es wimmelt also nur so von Social Media Experten.

Mit der Professionalisierung banalster Dinge lässt sich aber Geld machen, und so gibt es mittlerweile Institutionen wie die dialog akademie, die lernwilligen Marketingmenschen unverschämte 5000 Euro für die Weiterbildung zum Social Media Manager abknöpfen. Auch die, die es ganz ohne so eine fragwürdige Qualifikation zu einem Job in dem Bereich gebracht haben, würden wohl kaum zugeben, dass man keine besonderen Fähigkeiten dafür benötigt. Dass denen, die von der Mär des Geheimwissens profitieren, nicht daran gelegen ist, sie als solche anzuerkennen, ist nicht weiter verwunderlich. Aber was ist mit den Unternehmen, die dafür Geld ausgeben? Die sitzen da und grausen sich vor dem Shitstorm.

Bei Bitkom heißt es, Unternehmen können „von Dienstleistern profitieren, da diese […] dabei helfen können […] Fehler im Umgang mit Online-Communitys zu vermeiden“. Häufig bestehen solche Fehler darin, dass ein Unternehmen bei einer dreisten Lüge erwischt wird. Da bietet es sich doch an, einen Experten einzustellen, der die Empörung abfedert, anstatt einfach weniger zu lügen. Anscheinend muss daran erinnert werden, dass die exotischen Gemeinschaften, die hier beschrieben werden, aus Menschen bestehen – und Menschen werden eben nicht so gerne angelogen. Dementsprechend unterscheiden sich die Kompetenzen, die ein Social Media Manager besitzen muss, nicht im Geringsten von so analogen Dingen wie Umgangsformen und sozialer Intelligenz.

Kommunikation ist nur einer von vielen Euphemismen für Werbung. Und so sitzt der Experte dann den lieben langen Tag da und kommuniziert. Was bedeutet, er schreibt. Diese Fähigkeit wird aber in den Stellenausschreibungen, in denen man nach ‚netzaffinen’ Anwärtern sucht, mit absoluter Zuverlässigkeit ausgelassen. Ein Artikel im Journal of Promotion Management stellt fest: „Eine alarmierende Anzahl von Kommunikationsmitarbeitern berichten, dass Berufsanfänger kaum Fähigkeiten besitzen, sich schriftlich auszudrücken und noch weniger dazu in der Lage sind, zu redigieren.“ Darin liegt das eigentliche Problem der vermeintlichen Experten: Im Auftrag großer Firmen müllen sie das Internet zu.

Natürlich gibt es auch solche, die tatsächlich schreiben können, dass sie ihr Talent dann der Werbung zur Verfügung stellen, ist zwar bedauerlich, aber ihr gutes Recht. Wie effektiv die Übung ist, ist aber auch umstritten. Einem Report der Firma ExactTarget zufolge ‚gefällt’ 86 Prozent aller Marketing-Leute eine Marke auf Facebook, während es bei den Konsumenten nur 58 Prozent sind. Selbstreferenziell ist jede Branche, aber nur die wenigsten führen ihre Tätigkeit derart ad absurdum.

Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Allfacebook, ein Marketingblog, in Deutschland noch 2012 derjenige mit der größten Reichweite war. Das hat sich seitdem ein wenig geändert, trotzdem ist eine Vorliebe für gewisse Themen recht auffällig. Medienexperten schreiben über Medien, Marketingleute über Marketing, Social Media Experten über Social Media und im besten Fall diskutiert man noch ein wenig Netzpolitik. In Amerika, das von Analytikern des Internets für hiesige Verhältnisse stets als zukunftsweisend empfunden wird, haben Blogs die Diskurshoheit schnell an sich gerissen. Diese gehörte hier aber schon dem Feuilleton. Deswegen ist es eigentlich nicht erstaunlich, dass die deutsche Blogosphäre immer noch so schwach auf der Brust ist. Leider bedeutet das: Mehr Platz für Marketingmüll. So sehr ich den Angehörigen meiner armen Generation die seltenen Jobangebote gönne, ich hoffe inständig, „Inhalte produzieren“ klingt irgendwann mal weniger ironisch.

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