Ich. Heute. 10 vor 8.

Alles soll immer natürlicher sein. Nur nicht untenrum

Madonna hat neulich gezeigt, wie so was aussieht: eine behaarte Achselhöhle. Auf ihrem Foto, gepostet auf Instagram, sprießen auf blasser Haut rötliche Haare. Ein bisschen struppig sind sie, von irritierender Stoppeligkeit und ja, irgendwie schwitzig. Frau Ciccone, US-amerikanische Stilikone in den mittleren Fünfzigern, schaut über ihre bustierbewehrten Brüste hinweg herausfordernd in die Kamera. Ihr Kommentar zu diesem Foto: “Long hair……. Don’t care!!!!!” Guckt mal hier, Haare. Ach du Scheiße.

Madonnas Bild rief bei ihren Followern überwiegend Abscheu und Ekel hervor. “Mach das weg!”, kommentierten sie, “OMG!” oder “You stupid!”. Nur wenige hingegen meinten einen neuen ästhetischen, mithin körperpolitischen Trend zu erkennen, den die Ikone der Weiblichkeit gerade zu setzen im Begriff war. “That’s hot on you baby”, “I love you” oder einfach nur “Thanks!” posteten sie. Zugleich wirkte Madonnas Borstenbild wie ein schwaches Signal aus jener Zeit, in der Frauen es noch sprießen ließen. Nicht aus Faulheit oder Gedankenlosigkeit, sondern ganz selbstverständlich. Auch im Sommer, auch bei 36 Grad. Immer. Und zwar ohne nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass Achsel- oder Schamhaare irgendwie nicht okay sein könnten. Dass man die wegmachen könnte, ja sollte.

© href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AGustave_Courbet-L'Origine_du_Monde-1866.jpg">via Wikimedia CommonsGustave Courbet Der Ursprung der Welt

Doch dank Rasierern, Epilierern und ausgefeilten Waxing- und Laser-Techniken scheint mittlerweile komplett in Vergessenheit geraten zu sein, dass uns Menschen Haare wachsen an Stellen, die – zumindest in der T-Shirt-Zeit – jede und jeder sehen kann. Ebenso in der Zweisamkeit der deutschen Bettstatt, in der Sauna oder im Schwimmbad. Was ist heute anders? Was ist so schlimm an diesem Untenrum-“Bart“, wie ihn der betagte Playboy Rolf Eden jüngst in der sonntaz bezeichnet hat?

Der Abscheu vor jenen Haaren, die uns und unserer Umwelt biologische, mithin sexuelle Reife sichtbar bezeugen, steht im krassen Widerspruch zu einem anderen Trend dieser Dekade: der Natürlichkeit. So gut wie jeder Lebensbereich ist durchdrungen vom Gedanken der Nachhaltigkeit, des guten Bio, der Wertschätzung qua ethischem Konsum und ganzkörperlicher Wertschätzung. Wir malern unsere Wände mit mittelalterlichen Kalkfarben und essen in Manufakturen produzierte Lebensmittel. Wir kleiden uns in nachhaltig hergestellte Naturmaterialien und erziehen unsere Kinder nach den Prinzipien einer weisen Italienerin. Wir protestieren gegen L- und XL-Eier, weil das den sie legenden Hühnern am Po wehtut. Wir färben unsere Haare mit Pflanzenfarben. Und na klar, warum sollen wir nicht unseren Friseurtermin nach dem Mondkalender ausrichten? Schaden kanns nicht. Aber wenn es um unsere eigene naturgegebene Körperbehaarung geht, werden wir radikal. Geht es um deren Beseitigung, darf es ruhig ein bisschen wehtun und auch was kosten.

Schamhaare zu haben, ist noch halbwegs okay. Kaum jemand außer dem persönlich erwählten Personenkreis wird ihrer ansichtig, und sie zu rasieren ist umständlich und kann sehr unangenehm pieken Und zwar sowohl was die Rasur betrifft als auch die anschließende textile Reibung. So sagen es Middleager, wenn man sich unter ihnen umhört. Ihnen, Frauen und Männern in den Vierzigern und Fünfzigern, wurde erst ab den Achtzigerjahren sozial und kulturell anerzogen, auf ihre Behaarung besser zu verzichten. Scham- und Achselhaare galten plötzlich als ungepflegt und, ja, sozial unterklassig.

Hatte sich die körperlich und sexuell selbst befreite Bohème der Zwanzigerjahre noch fröhlich rasiert und so geschlechterübergreifend selbstbewusst präsentiert, erklärten die Nationalsozialisten Haare wieder zum natürlichen Körperideal der deutschen Frau. Der Maler Adolf Ziegler, ein Hitler-Groupie und NSDAP-„Sachberater für Bildende Kunst“, brachte es mit seinen akribischen Aktgemälden gar zum sprichwörtlichen „Reichsschamhaarmaler“. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Haare erst einmal dran. Und zwar ungefähr bis 1962 Ursula Andress als Bond Girl in „007 jagt Dr. No“ in einem knappen Bikini dem Meer entstieg. Seither waren Achsel- und Schamhaare nur noch was für Hippies.

Ein schönes Zeugnis haariger Unbedarftheit ist Nenas Musikvideo “99 Luftballons” aus dem Jahr 1983. Die damals 23-Jährige reißt zu zuckenden Synthesizer-Rhythmen die Arme hoch und gibt den Blick frei auf ihre bewaldeten Achseln. Die allermeisten Frauen und immer mehr Männer dieser Nena-Generation rasieren sich heute unter den Armen, zumindest – wie gesagt – im Sommer, der Zeit der Sichtbarkeit.

Anders ist es bei jungen Frauen. Neun von zehn der bis 25-Jährigen, berichtet das SZ-Magazin, sollen sich laut einer Studie der Uni Leipzig ihre Schamhaare ganz oder teilweise entfernen. Junge Männer sind ihnen dicht auf den Fersen. Fragt man unter Mittzwanzigerinnen herum, ist der Abscheu riesig, überhaupt zu diesem Thema Auskunft zu erteilen. Im großen und ganzen aber erklären sie, sich zu rasieren sei wie Zähneputzen oder Duschen – Alltagshandlungen, die unhinterfragt und notwendig seien. Haare sprießen zu lassen, sei unhygienisch und außerdem eine ästhetische Zumutung für das private wie berufliche Umfeld.

Die Haltung zur Körperbehaarung in unseren Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts ist ein sicheres Indiz dafür, wieviel sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren verändert hat, wenn es um ausgestellte Körperlichkeit geht. Um nackt – mithin unschuldig – auszusehen, gehen Männer wie Frauen radikal vor gegen das, was Mutter Natur ihnen in die Achseln und Genitalien eingepflanzt hat. Nackte Vaginas wirken kindlicher, rasierte Penisse mächtiger. Für diesen Effekt ist man bereit, Kunststoffrasierer zu erwerben, die den Preis einer warmen Restaurantmahlzeit haben. Männer und Frauen reißen sich Haare aus mit Hundert-Euro-Epilierern, sie beißen die Zähne zusammen, wenn kundige Hände den Kaltwachsstreifen abreißen. Glatte Beine, cleane Achseln, gerupfte Genitalien – wiederhergestellte Untenrum-Kindlichkeit ist Schmerz und Geld wert.

Das könnte sich jedoch bald ändern. Wieder mal. In den USA berichtete die New York Times kürzlich von einem “New look down under”. Fünfzig Jahre nachdem mit dem Bikini die so genannte Bikinizone inklusive ihrer so neuen wie ausgefeilten Rasurtechniken den amerikanischen Beauty-Standard umdefiniert hatte, gebe es neuerdings eine Art Back-to-nature-Bewegung. Hin zu mehr, auch sichtbarem Haar. Nach Jahrzehnten obsessiv gepflegter Nacktheit über Mary Quants Schamhaarkreationen in Form von Herzen oder Helmut Newtons „Big Nudes“ samt ihren haarscharf gestutzten “landing strips” sei nun immer öfter naturbelassenes Gewölle zu sehen. Das Blatt berichtet, selbst die schwer angesagte Pornodarstellerin Stoya habe kürzlich für Aufnahmen des Modefotografen Steven Klein mit herausgewachsenem “pelvis and armpits” posiert. Von derlei Meldungen ist es dann schon nicht mehr ganz so weit bis zu Madonnas Instagram-Foto.

Frau Ciccones Achselhaare – diese Vermutung lässt die genauere Inaugenscheinnahme des Fotos übrigens zu – sind vielleicht nur ein Toupet. Zu rotblond für die dunkelhaarige Musikerin, zu gerade angeordnet sind sie. Gut möglich also, dass jene Frau, die der Welt das SM-Video, das Spitzbusen-Korsett und die Ultra-Fitness geschenkt hat, erneut stilbildend wirkt. In den Kinderfabriken von Taiwan und Malaysia ist man vielleicht bereits dabei, die ersten Achsel-Toupets für den europäischen und amerikanischen Markt zu produzieren. Es könnte irgendwann sein wie bei allen Sommertrends: Am Ende würden unsere Kinder sich nichts so sehr wünschen wie ein paar gekaufte Haare unter den Achseln. Ihre Eltern lassen sie schließlich auch wieder wuchern.

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