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Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Frankreich zwischen den Wahlen

| 3 Lesermeinungen

Ende März wurde in Frankreichs Kommunen gewählt, Ende Mai steht die Europawahl an. Mit dem gestärkten Front National und einer auch auf der Straße präsenten radikal konservativen Bewegung bestimmen rechtspopulistische Töne die Debatten.

© By Ericwaltr [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia CommonsPlakat auf der Demo für die Rechte von Homosexuellen im Januar 2013 in Paris

Im April sind der FN und die ihm nahestehende Regionalpartei Ligue du Sud in insgesamt 14 Rathäuser eingezogen. Eine kleine Auswahl ihrer ersten Amtshandlungen:

In Villiers-Cotterêts, einer Kleinstadt in der nordfranzösischen Picardie, machte der FN-Politiker Franck Briffaut von sich reden, als er ankündigte, am 10. Mai, an dem frankreichweit an symbolischen Orten den Opfern der Sklaverei gedacht wird, kein offizielles Gedenken zu veranstalten. Er ließ sich mit der Aussage zitieren, er lehne das Gedenken ab, da es Teil einer Kultur der „ständigen Selbstbeschuldigung“ sei. Villiers-Cotterêts ist Geburtsstadt von Alexandre Dumas, weltbekannter Autor und Sohn eines befreiten Sklaven, vor dessen Haus am Gedenktag bisher ein Kranz niedergelegt wurde.

In Béziers in Südfrankreich wurde der parteilose Robert Ménard, Mitbegründer der Organisation Reporter ohne Grenzen, mit starker Unterstützung des FN zum Bürgermeister gewählt. Als erstes verbot er Schulkantinen, Essen nach muslimischen Regeln halal herzustellen. (Allerdings wurde dabei schnell klar, dass das Angebot der Kantinen in Béziers auch bisher nicht halal war…)

In Hénin-Beaumont in Nordfrankreich kündigte der FN-Politiker Steeve Briois der Menschenrechtsorganisation Ligue des Droits de l’Homme (LDH) kurzerhand ihre Büroräume, die sich in einem städtischen Gebäude befanden. Die LDH hatte im Wahlkampf vor den Gefahren des Rechtspopulismus gewarnt.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Es entsteht ein Panorama dessen, was extrem rechte Kommunalpolitik heißt: Einen vermeintlichen Kulturkampf inszenieren, die Wortwahl verändern und Themen setzen. Der FN operiert vor allem im Bereich der Weltanschauung, auch weil er Schwierigkeiten hat, zu ökonomischen und sozialen Fragen ein eigenes Profil oder Vorschläge zu entwickeln. Manche halten ihn deshalb für harmlos.

Dabei mangelt es nicht an Argumenten, den FN und die rechtspopulistischen Mobilisierungen beunruhigend bis bedrohlich zu finden. Unter Marine Le Pen versucht der FN, sich über die Kommunalpolitik für die Europawahlen in Stellung zu bringen und über die Europapolitik für die französische Innenpolitik. In einem Interview verkündete Marine Le Pen kürzlich das Ende der Politik der zwei Parteien und die Etablierung des FN als dritte große Volkspartei. Laut einer Meinungsumfrage des Instituts Ifop im April kann der FN bei den Europawahlen mit knapp 25 Prozent der Stimmen rechnen und würde damit stärkste Partei. Der Front National will mitregieren, in Europa, aber vor allem in Frankreich.

Und profitiert dabei von der Unterstützung von der Straße: Mit La Manif pour tous (Demo für alle) und Le Printemps Français (Französischer Frühling) ist es rechten und religiösen Gruppen gelungen, extrem konservatives, sexistisches und homophobes Gedankengut dauerhaft in der öffentlichen Debatte zu etablieren. Inszeniert wird eine Art Wertekampf um Familienbilder und Geschlechterrollen. Inzwischen organisiert sich großer Protest gegen jede Reform der Familien- und Gleichstellungspolitik der sozialistischen Regierung. Und die verabschiedet sich prompt vom versprochenen Reformkurs, mit dessen Ankündigung sie die Wahlen gewonnen hat. Nach der erfolgreichen Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare im Mai 2013 und viel Widerstand bei der Einführung des im Januar verabschiedeten Gleichstellungsgesetzes verließ die regierenden Sozialisten die Lust an Veränderung: Das geplante Gesetz zur Legalisierung der künstlichen Befruchtung auch für lesbische Paare und unverheiratete Frauen ist vom Tisch. Das ist kein unbedeutendes Signal. Einerseits lässt die Regierung durch ihr zögerndes Vorgehen viel Platz für homophobe Ausfälle. Andererseits ist es Ausdruck tatsächlich mangelnder Entschlossenheit, wenn es um die Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen geht. Schwulen- und Lesbenorganisationen protestieren, so zum Beispiel die Gruppe FièrEs (Lesben, Bis, Trans, Feministinnen, Schwule und ihre Freunde). Sie lud Anfang Mai in Paris zu einer symbolischen Beerdigung des politischen Muts ein und erklärte: „Die künstliche Befruchtung auch lesbischen Paaren und unverheirateten Frauen zu erlauben, würde einfach nur die auf die sexuelle Orientierung und das Patriarchat gestützte Diskriminierung beenden.“

Mittlerweile mobilisiert die Demo für alle auch grenzüberschreitend: In Stuttgart gingen Hunderte unter ihrem Banner gegen die in Baden-Würtemberg geplante Einführung des Bildungsplans für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt auf die Straße. Sehr deutlich wird, dass viele Menschen weiterhin Schwierigkeiten haben, sich Nachkommenschaft außerhalb der heterosexuellen Ehe und Kleinfamilie vorzustellen. Auch José Bové, Bauer und charismatische Führungsfigur der Europäischen Grünen, bekannt geworden durch seinen Widerstand gegen gentechnisch verändertes Saatgut, brachte seine Partei in Erklärungsnot, als er Ende April in einem Interview in der Sendung Gegenüber Christen verkündete: „Ich bin gegen jeden Zugriff auf Lebewesen, egal ob es um heterosexuelle oder homosexuelle Paare geht.“ Aus eigenen Reihen erntete er Kritik, in „reaktionären Naturalismus abzudriften“.

Die Frage, warum bei einer künstlichen Befruchtung stärker auf Lebewesen zugegriffen würde als bei einer spontanen Befruchtung, bleibt nicht nur in Bovés Ausführungen unbeantwortet. Vielmehr spricht aus ihnen der Wunsch nach einer vom Handeln der Menschen geschützten Natur: In der Frage von Nachkommenschaft wird der Aspekt der Natürlichkeit gegenüber dem der sozialen Praxis als gewichtiger eingestuft. José Bové verteidigt letztendlich die Meinung, dass Nachkommenschaft eine Sache zwischen Männern und Frauen zu bleiben hat. Das stellt ihn in die Nähe derer, die das traditionelle Familienbild als wichtigste gesellschaftliche Errungenschaft verteidigen.

Und so bleibt vieles beim Alten: Heterosexuelle Paare werden in Sachen Nachkommenschaft Privilegien genießen. Und lesbische Paare oder alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch werden sich weiterhin ohne staatliche Unterstützung und selbstorganisiert zu Nachwuchs verhelfen. Frauen, die zusammen ein Kind ohne dazugehörigen Vater aufziehen, scheinen ein ungeahntes subversives Potential zu besitzen. Sie gefährden wohl vor allem eines: die symbolische Macht des Familienvaters, des guten alten pater familias. Der aber wurde kürzlich auf Betreiben der Grünen im Zuge des Gleichstellungsgesetzes zumindestens sprachlich aus dem französischen bürgerlichen Gesetzbuch, dem Code Civil, getilgt: Die Formulierung „en bon père de famille“ vom lateinischen bonus pater familias, die das verantwortliche Verwalten von Besitztümern beschrieb, wurde durch ein schlichtes „vernünftig“ ersetzt. Wenn das kein Zeichen ist…

 


3 Lesermeinungen

  1. ThorHa sagt:

    Schlimm für das eigene Lebensgefühl, wenn Rechtspopulisten mit der Mobilisierung der Strasse
    die Politik vor sich hertreibt? Versteh ich gut. Dann weiss die Autorin ja jetzt, wie sich Konservative in Deutschland fühlten, als Linkspopulisten mit der Mobilisierung der Strasse die Politik vor sich hertrieben. Um Bernunft ging’s dabei ebenfalls nie.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  2. GDrei sagt:

    Sprachlich entlarvend
    “Frauen, die zusammen ein Kind ohne DAZUGEHÖRIGEN Vater aufziehen.. ”

    Ich glaube, Ihnen ist gar nicht aufgefallen, wie entlarvend Ihr Satz ist: Der Vater gehört zur Zeugung nun einmal dazu. Zwei Frauen oder zwei Männer kriegen das bei aller Liebe nicht hin. Das homosexuelle Milieu scheint diese “Ungerechtigkeit” der Natur aber nicht akzeptieren zu wollen. Sie wollen es “ohne” machen. Bitte sehr. Der Staat kann es ohnehin nicht verhindern, aber er muß dies nicht auch noch institutionalisieren oder fördern.

  3. AnnelieseSchmidt sagt:

    Hauptsache den Beteiligten geht es gut
    Es ist kaum zu glauben, dass wir im Jahre 2014 leben und immer noch darüber streiten müssen, ob alle Menschen das Recht haben, ein Kind aufzuziehen oder nicht. Zumindest in Deutschland und Frankreich. Israel ist da zum Beispiel wesentlich fortschrittlicher.
    Dort können sich alleinstehende Frauen künstlich befruchten lassen, weil der Staat ein ehrliches Interesse daran hat, dass es viele Kinder gibt.
    Es ist sehr begrüßenswert, wenn Menschen, die sich ein Kind wünschen, dieses auch bekommen und aufziehen dürfen. Ob das nun kinderreiche Familien sind, die in der ersten oder zweiten Generation in Deutschland oder Frankreich leben oder ob es Regenbogenfamilien sind, die sich dafür entscheiden, ein Kind zu bekommen und dieses mit Liebe aufzuziehen.
    Letztlich soll es ja allen Beteiligten gut gehen. Kinder, die nicht aus Versehen gezeugt wurden, sondern bei dem sich die Eltern bewusst entschieden haben, haben dafür gute Voraussetzungen.

    Dass der Patriarch dann nicht mehr das Bienchen spielen darf, sondern lediglich ein Becherlein abgibt, ist dem Wohl der Beteiligten wohl eher zuträglich.

    Danke für den schönen Artikel Frau Müller!

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