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Feminist Chic!

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Mode und Feminismus passen nicht zusammen. Oder doch? In diesem Frühjahr bringen "Acne" und "Louis Vuitton" die Kundinnen zum Staunen.

Das letzte Mal, als im Modebetrieb ein großer „Chic“ ausgerufen wurde, da war es der sogenannte „Heroin Chic“: Kate Moss war kaum zwanzig Jahre alt, als sie in den Werbekampagnen von Calvin Klein auftrat, schmächtig und selbstbewusst, cool und resigniert, mit strähnigen Haaren und Augenringen. Für einen kurzen Moment schien es, als könnte sich hier etwas ganz grundlegend ändern, als wäre es der Anfang eines Abschieds. Das war die eine Seite: „Goodbye“ an die braungebrannten Riesenfrauen der Supermodelära, den faschingshaften Make-up-Orgien, panzerhaften Körpern und helmartigen Big-Hair-Frisuren. Vielleicht, dachte man damals, passiert jetzt etwas, ein kleiner oder auch gerne großer Befreiungsschlag, wie Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Bubikopf die komplizierten Turmfrisuren ersetzte und die Korsetts verschwanden.

Dann zeigte sich die andere Seite: 1997 starb der Fotograf Davide Sorrenti an einer Überdosis Heroin. Er war zwanzig Jahre alt. Seine Fotos von kaputt aussehenden Teenagern, von Mädchen, die zu dünn waren, oder Jungs, die high schienen, hatten ihn als shooting star in den Modeolymp katapultiert. Anti-Drogen-Vereinigungen liefen Sturm. Ihre Werbeetats waren  kleiner als die der Unternehmen, gegen deren Haltung sie protestierten.  Das Grafikdesign der Gegenkampagnen sah grauenhaft aus.  Und die Aktivisten waren, wenn sie in Erscheinung traten, schlechter angezogen als ihre Gegner. Aber: Sie hatten Recht.

Wolfgang Joop schrieb damals einen klugen und erstaunlich offenen Artikel. „Mode“, so Joop,  sei „nicht verantwortlich, sondern verantwortungslos.“ Die Modebranche kopiere nur den Stil derjenigen, die in der Gesellschaft als unangepasst gelten, um ihre „ eigene Angepaßtheit, ihre Oberflächlichkeit und Geldgier“ zu verdecken. Stimmt wahrscheinlich, jedenfalls meistens. Trotzdem eine Gegenfrage: Muss das so sein?

In diesem Frühjahr dürfen die Kundinnen und Fashion-Addicts mindestens zwei Mal staunen. Erste Szene: Wer durch Paris schlendert, kann plötzlich auf die wild dekorierten Schaufenster des schwedischen Modeunternehmens „Acne“ treffen, die noch wildere Sweat-Shirts, T-Shirts, Taschen und Tücher bewerben. Acne ist die Abkürzung für „Ambition to Create Novel Design“. Furore machten die Gründer in den späten neunziger Jahren zuerst mit Jeans.

Damenpullover der Kollektion “Hilma af Klint” von Acne Studios

 

In diesem Jahr heißt nun eine Kollektion Hilma af Klint, benannt nach der schwedischen Künstlerin, die 1944 starb und ein Werk hinterließ, das die Kunstgeschichte ändern könnte.

Die Künstlerin Hilma af Klint in ihrem Atelier 1895

 

Hilma af Klint malte abstrakt, bevor es Kandinsky, Malewitsch oder Mondrian taten. Sie wechselte ihren Stil, wann immer sie eine neue Serie von Gemälden begann. Und sie schuf ihr riesiges Oeuvre im Geheimen und  verfügte, dass ihre Gemälde erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden dürften. Dank Acne laufen ihre Gemälde jetzt – etwa „Die zehn Größten (No. 7)“ von 1907 oder „Der Schwan (No. 17)“ von 1915 – durch London, Paris, New York, Hong Kong oder Rio de Janeiro. Jedem Stück der Kollektion ist eine kleine Karte beigefügt, auf der die Kunden von Acne die Geschichte Hilma af Klints nachlesen können – und auch auf der Website.

Die  zweite Szene spielt in München. Hier eröffnete der französische Luxuswaren-Hersteller „Louis Vuitton“ den „Espace Louis Vuitton”. Nach dem Vorbild von ähnlichen Projekten in Paris oder Tokyo sollen regelmäßig Kunstausstellungen stattfinden, die erste trägt den Titel „No Such Thing as History“. Wer in den ersten Stock hochläuft, trifft dort auf die Fotografien der Künstlerin Annette Kelm, die erstaunliche Objekte zeigen: die Protest-Ponchos der Frauenrechtlerin, Autorin und Schauspielerin Hannelore Mabry.

Protest-Poncho, Fotografie von Annette Kelm im “Espace Louis Vuitton”

Die Umhänge fertigte Mabry, die 2013 starb, für Demonstrationen. Sie tragen Aufschriften wie „Menschenrechte statt Männerrechte“ oder „Wir fordern Abrüstung bis  zum Küchenmesser“. Annette Kelm fand Mabrys Erbe im  Archiv des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. Ihre Fotografien inszenieren die Überwürfe wie Kunstinstallationen, in einem White Cube,  schwerelos wie Gespenster.

Künstlerin und Fotografin Annette Kelm

Was haben also Hilma-af-Klint-Kollektion von Acne und die Annette Kelms Fotografien im Espace Louis Vuitton gemeinsam? In beiden Fällen sind es internationale Modeunternehmen, die eine Bühne für Frauen bereiten, die bisher aus der Geschichte herausgeschrieben worden sind. Hilma af Klint war, wenn man es so nennen will, im Underground der Kunstgeschichte, eine Künstlerkünstlerin, die vom Mainstream der Museen und Forschung die längste Zeit ignoriert worden ist. Und Hannelore Mabry gehörte zu einer  Graswurzelbewegung, einer kleinen Gruppe von Aktivistinnen in München, die sich für Frieden und Frauenrechte engagierten. An das Porträt von Che Guevara auf T-Shirts hat man sich längst gewöhnt. Aber Hilma af Klints Kunst auf Pullovern von Acne? Und Mabrys Protest-Ponchos im Kunstraum von Louis Vuitton? Kommt jetzt ein „Feminist Chic“?

Bisher steht der Feminismus ja im Ruf, ausgesprochen modefeindlich zu sein. Die lila Latzhose, der sogenannte Schlabberlook gelten vielen als Inbegriff feministischer Ästhetik. Dabei sind es eher die Gegner des Feminismus, die diesen Look grimmig zur Marke, zum Branding der Bewegung erklärt haben, so als würde sich eine politische Idee erübrigen, wenn  man ihre Vertreter als „unsexy“ bezeichnet (sexy sind die Männer, die das behaupten, übrigens selten).

Umgekehrt haben in der Geschichte schon einige Designer der Frauenbewegung gute Dienste geleistet. War der Damensmoking von Yves Saint Laurent in den sechziger Jahren nicht eine geniale Idee? Jil Sanders minimalistischer und femininer Business-Look der neunziger Jahre? Nicht zu vergessen die sagenhaften Entwürfe der russischen Malerin Sonia Delaunay, die die Avantgarde einkleidete und in den zwanziger Jahren ein eigenes Modegeschäft betrieb. Es stimmt, Mode handelt viel zu selten von Emanzipation. Wenn sie es aber tut, ist der Erfolg durchschlagend.

Das Beste an der Acne-Kollektion mit Hilma af Klint wurde noch gar nicht erwähnt. In Paris stellte das schwedische Unternehmen 2013 nämlich zuerst nur eine Herrenkollektion mit Werken der Malerin vor. Yves Saint Laurent kleidete die Frauen einst in Mondrian, Acne die Herren in Hilma af Klint. Laut Mikael Schiller, dem Geschäftsführer, war die Resonanz groß und die häufigste Frage lautet: „Warum gibt es nichts für Frauen?“ Daraufhin wurde die zweite Kollektion entworfen, für Frauen. Die Stücke – für Frauen und Männer – sind restlos ausverkauft. Hilma af Klint, die vergessene Künstlerin, ist ein Verkaufsschlager.

Zugegeben, es gibt keinen Grund, übertrieben optimistisch zu sein. Zu den meistbeschäftigten Fotografen der Modebranche zählte bis vor Kurzem Terry Richardson, dessen  Leistung darin besteht, jede Frau so zu fotografieren, als ob um die Ecke ihr Zuhälter wartet. „Porn Chic“ heißt dieser Trend, der auf den „Heroin Chic“ folgte. Richardson muss sich nun gegen Vorwürfe verteidigen, die Models mit unmoralischen Angeboten unter Druck gesetzt zu haben.

Solange Männer mehr als Frauen verdienen und die Platinum-Kreditkarten besitzen, wird sich kaum ein Hersteller  „Feminist Chic“ auf die Fahnen schreiben. Aber sagen wir so:  Was bei Acne und im Espace Louis Vuitton in diesem Frühjahr passiert, beschert dem Feminismus eine gute Saison.


1 Lesermeinung

  1. MarcusJordan sagt:

    nicht die Mode, sondern die Werbung...
    …für die Mode ist doch in der Regel das sexistische oder antifeministische. Die gesamte Kommunikation sogar könnte man sagen. Die verklärt klassizistisch inszenierten Gangbangszenen in D&G Adds, genauso wie die immer gleich zugemalten, völlig unpersönlichen Gesichter der immer gleichen Hungerhaken, bis hin zu den Kindern die bei Klum lernen dürfen, wie man seine Geschlechtsteile vermarktet ohne sie zu zeigen. Klar werden keine Protestumhänge den Markt beherrschen, allenfalls mal einen Laufsteg. Aber das Textil selber ist eben auch nur selten das Problem denke ich…

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