
Diese Männer scheinen nachts auf deutschen Flughäfen ausgebrütet zu werden. Am Morgen sitzen sie jedenfalls zu Tausenden wie aus dem Ei gepellt in rosafarbenen oder weißen Hemden, glattrasiert und leicht gecremt an den Gates. Die kleinen Rollkoffer stabil, der Körperbau kompakt, das Reiseziel eine Konferenz mit Ihresgleichen. Am Abend kehren sie, die breiten Krawatten leicht gelockert, zurück. Sie haben ihre Vertragskörner gepickt, die Hackordnung eingehalten und die Stewardessen beäugt – aber nur ganz vorsichtig. Weil – Obacht, nun heben sie recht demonstrativ die markierte Hand! – das metallene Besetzt-Zeichen zwar Freiflüge beschränkt, dafür aber Nestwärme sichert.
Denn daheim reiben sich ihre Ehefrauen am glänzenden Gegenstück Hände und Herzen heiß: „Ich hab´ ihn!“, den Mann, den Ring, den Glauben, dass sich alles in diesen Ring werfen lässt, was das Leben einem an offenen Enden zumutet. Weisen Freundinnen sie auf den einen oder anderen schicken Typen in Café oder S-Bahn hin, so tippen sie mit einem sanft vorwurfsvollen „Tsts…“ auf den goldenen Ring an ihrem schlimmen Finger.
Im Film spricht man von Belegdramaturgie, wenn Offensichtliches überdeutlich erklärt wird, Montage und Dialog alle Ahnungslücken schließen. „Ist er tot?“ „Ja, er ist tot.“ „Wir haben also hier einen Toten.“ Der Ehering will als dramaturgisches Metall auch Todesnachrichten übermitteln: Den Verlust der Beliebigkeit, das Ende der Suche, die beerdigte Einsamkeit. Der Trampelpfad seiner Jahrtausende alten Tradition mündet in die käufliche Gewissheit, dem Mantra wie Schlusspunkt aller Romantic Comedies: Liebe ist, wo Ringe sind.
Seit das Internet als Supermarkt der Liebe die Tante-Emma-Begegnungen in der Disco oder auf der Straße verdrängt hat, werden Bündnisse verstärkt metallen geschmiedet und ausgestellt. Das Piercing ist der narzistische, der Verlobungs- wie Ehering der imperialistische Liebesbeweis.
2009 zuckte sich die atemberaubende Beyoncé mit zwei Tänzerinnen durch ein dreiminütiges Video zu den Klängen ihres „Single Ladies (Put a ring on it)“, in dem sie ihrem Ex vermittelt, er könne Nutznießer und Gegenstand eben dieser Zuckungen sein, hätte er bloß beizeiten einen Ring dran gesteckt.
Nun ist die Ökonomisierung des Balzens seit jeher so amerikanisch wie Necking, Petting und Parking. Das so genannte Dating war dort nie etwas anderes als der dem Austausch von Körperflüssigkeiten vorgelagerte Austausch von Warenleistungen. Und doch ist augenfällig, wie ekstatisch der Tanz der Kälber um den Goldenen Ring inzwischen aller Orten ausfällt. Feierte auch Beyoncé zu Destiny´s Child-Zeiten in „Independent Women“ noch „all the honeys who makin´ money”, so wollen die Frauen mit reichlich eigenem Geld und Status heute erst recht einen – möglichst teuren – Ring als Beweis, dass man sie trotzdem liebt.
Der Ehering ist – als Sinnbild des Angekommen Seins oder als Investition – ein Fetisch des Asexuellen. Erkaltet und graviert bedroht er uns flexible, multioptionale Menschen mit der Festlegung auf eine Kaufentscheidung ohne Umtauschoption, das ist – bei aller Liebe – nicht sexy. Seine Ewigkeitslüge begleitet und beschwert das Fremdgehen, ob am fummelnden Finger belassen oder im Kulturbeutel versteckt. Oder er wird gleich als Freifahrtschein für die kleine Affäre zwischen zwei anderweitig Verheirateten betrachtet – consenting adults.
Für den Ehering gibt es nie ein Happy End: Er klemmt das Blut an zu dick gewordenen Fingern ab, er wird zeitgleich mit weiterhin intensiv oder lange schon nicht mehr geliebten Partnern abgelegt, sein Schimmer trübt sich ein in Blechdosen zwischen kaputten Broschen, ausländischen Münzen und einsamen Manschettenknöpfen.
Auch Jahre später wird er nicht an eine große Liebe erinnern, sondern an die große Anstrengung, diese Liebe zu behaupten, zu erkaufen und zu beweisen. Als Antwort auf die ewige Frage „Liebst du mich?“ ist er eine deutliche Fehlbesetzung. Wir tasten weiter. Ring frei!