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Siebenfache Hexerei und das Märchen von der Gesundheit

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© CC-PD-MarkHexenszene, Umkreis des David Teniers d.J. (1610-1690), um 1700. Deutsches Historisches Museum Berlin

Die Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Hebammen sind vorerst gescheitert. Der 1. Juli 2015 rückt näher und mit ihm der Tag, ab dem die Mehrheit der Hebammen ohne Haftpflichtversicherung dasteht, ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, es keine freie Wahl des Geburtsortes mehr gibt. Auch in der Frage nach der Rezeptfreiheit der Pille danach hat sich nichts getan; im Gegenteil, das Gesundheitsministerium wartet und blockiert.

Die Frage nach dem Fortbestehen des Hebammenberufes und der Streit um die Rezeptfreiheit der Pille danach mögen aktuell zufällig politisch zur gleichen Zeit akut geworden sein, historisch hängen sie eng zusammen.

Hebammen leisten viel: Schwangerenvorsorge, Nachsorge und natürlich Geburten. Die Anwesenheit von Hebammen bei Geburten ist gesetzlich festgeschrieben. Hebammen betreuen Klinikgeburten, als Angestellte oder als freiberufliche Beleghebammen. Hebammen begleiten Geburten zu Hause oder im Geburtshaus. Hebammen begleiten Fehlgeburten, Hebammen begleiten Kaiserschnitte. Und sie begleiten Abtreibungen, auch wenn das in der populären Imagination wenig Raum einnimmt: viel lieber denken wir an kugelrunde Bäuche, stillendes Mutterglück und satte Säuglinge.

Dass dieses Bild ein ziemlich modernes ist, zeigen historische Studien wie zum Beispiel der Klassiker “Die Vernichtung der weisen Frauen” von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger. In Antike und Mittelalter waren Hebammen die Fachfrauen nicht nur für Geburten, sondern auch dafür, wie man Schwangerschaften verhindert und wie man sie abbricht. Familienplanung und Geburtenkontrolle sind keine Erfindungen der Neuzeit; Eltern hatten üblicherweise mit Absicht so viele Kinder, wie sie versorgen konnten. Sex diente nicht nur der Fortpflanzung und Hebammen schützten mit ihrem Wissen um die Wirkung von Kräutern vor ungewollten Schwangerschaften.

Dann kamen die gewaltigen Bevölkerungsverluste durch die Pest. Als Expertinnen für Geburtenkontrolle wurden Hebammen suspekt und als Hexen diffamiert. Im Hexenhammer heißt es, dass Hebammen besonders zu verfolgen seien, weil sie alle anderen an Bosheit überträfen. Die “Siebenfache Hexerei” umschreibt verschiedene Verfahren, nicht in die Gelegenheit zu kommen, ein eigenes Kind großzuziehen, sei es durch Sterilisation, Homosexualität oder Abtreibung. Das Ziel war, mit den Hebammen das Verhütungswissen auszurotten, damit Staat und Kirche mehr Arbeitskräfte zur Verfügung hatten. Hexenverfolgung war damit nicht religiöser Wahn, sondern wirtschaftliches Kalkül mit schweren sozialen Folgen. Tatsächlich stellte sich eine Bevölkerungsexplosion ein und mit ihr unter anderem Pauperismus, Kinder- und Müttersterblichkeit.

Nach der Pest veränderte sich der Hebammenberuf. Ohne Verhütungswissen gab es einen erhöhten Bedarf bei der Geburtenbetreuung. Neu entstandene Hebammenverordnungen erklärten, dass nur noch Frauen, die sich nichts zuschulden kommen ließen, Schwangere betreuen durften. Oft hatte das zur Folge, dass jene Hebammen ihre Befähigung dadurch bewiesen, so wenig wie möglich über die Entstehung von Schwangerschaften zu wissen. “Guter Charakter” war wichtiger als Kunstfertigkeit. Der Beruf wurde aus Frauenhänden in die Kontrolle von Männern gegeben. Hebammenverordnungen dienten nicht der Qualitätssicherung (dass Hebammen über Können verfügten, wurde durch die bestätigt, die sie als Hexen verfolgten), sondern der Kontrolle und Machtausübung über Hebammen und die Frauen, die sie betreuten. Hebammen mussten melden, wenn Frauen selbst verhüteten oder abtrieben, Mütter mussten der Hebamme den Kindsvater nennen, die Geburt durfte nicht heimlich stattfinden, Hebammen mussten die Umstände von Geburtsschäden genau anzeigen.

Das erinnert an die aktuelle Situation. Gröhe will Qualitätssicherung und neue Daten zur Arbeit von Hebammen, dabei ist nicht die fehlende Qualität oder Unkenntnis über die Qualität das ursprüngliche Problem, sondern die hohen Haftpflichtversicherungskosten aufgrund von immer höheren Regressforderungen, die bei freiberuflichen Hebammen an Einzelpersonen gerichtet werden statt an Institutionen wie Krankenhäuser. Mehr Daten oder Qualitätssicherung helfen auch nicht, wenn Leute wie Jens Spahn nicht verstehen, dass das Problem nicht nur außerklinische Geburten, sondern auch Beleghebammen und nicht ausreichend versicherte angestellte Hebammen betrifft. Gut möglich, dass er sich auch beim Smarties-Zählen verechnet.

Mit der Hexenverfolgung erhielten übrigens auch Apotheken ihr Monopol. Und wir können den Streit um die Rezeptpflicht der Pille danach anhand der Erkenntnisse zur Hexenverfolgung deuten. Dass Gesundheitssorgen nicht der tatsächliche Grund sein können, dass sie nicht freigegeben wird, illustriert eine Antwort der Bundesregierung selbst: als mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen werden nur thromboembolische Ereignisse genannt; davon sind seit 1998 nur zwei Fälle dokumentiert, ein kausaler Zusammenhang zur Einnahme der Pille danach wird als nicht wahrscheinlich eingeschätzt.

Es geht hier also weniger um Macht um der Macht Willen, sondern ebenfalls um Bevölkerungspolitik. Immer wieder werden Frauen im Feuilleton indirekt dazu aufgefordert, ob der Karriere das Gebären nicht zu vergessen. Die Rede vom demographischen Wandel oder die rassistischen Einschätzung, dass Deutschland sich abschaffe, sind eng verwoben damit, dass ungewollte Schwangerschaften billigend in Kauf genommen werden. Während gleichzeitig der Kinderwunsch von Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, behindert wird und Alleinerziehenden das Aufziehen von Kindern finanziell erschwert wird.

Es geht bei der Rezeptpflicht der Pille danach also nicht um die Gesundheit oder Beratung von Frauen, sondern um Bevölkerungspolitik. Es geht beim Hebammenproblem nicht um die bestmöglichste Versorgung von Schwangeren, sondern um wirtschaftliche Interessen. Die freie Wahl des Geburtsortes wird nicht aus ideologischen, sondern wirtschaftlichen Gründen eingeschränkt, wenn Geburtshäuser schließen und Kreißsäle zentralisiert werden, ebenso wie die Zugangserschwerung zu Abtreibung in den USA mehr und mehr wirtschaftlich begründet wird. Einerseits sollen mehr Frauen schwanger werden, andererseits werden sie damit alleine gelassen.

Die Pille danach und der Fortbestand des Hebammenberufs gehören nicht nur historisch zusammen, oder weil beides mit reproduktiver Gerechtigkeit zu tun hat. Aktuell gehören sie vor allem zusammen, weil es so aussieht, als würde die Bundesregierung die Sache in beiden Fällen ordentlich verbocken.

 

Nachtrag:
Ich wurde mittlerweile mehrfach darauf hingewiesen, dass das Heinsohn-Steiger-Buch von 1985 nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht und dass die dort vertretenen historischen Thesen mittlerweile mehr als umstritten sind. Es fehlt mir die Kompetenz, mich an historischen Debatten zu beteiligen, ich fürchte aber, dass das Verhalten der Bundesregierung auch im Lichte besserer historischer Konstruktionen nicht erfreulicher aussehen dürfte.

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