Ich. Heute. 10 vor 8.

Die Vermessung der Windel

© Fehners Software LLP  Statistik der Baby Feed Timer App

Heute Morgen beim Frühstück, in einem wunderschönen Haus auf Cap d’Antibes, forderte mein Ehemann mich auf, doch endlich einmal das Smartphone wegzulegen. Ich hatte es schon wieder getan: Ich hatte „grüne babykacke“ gegoogelt. Als frischgebackene Mutter ist Google für mich, wie für so viele junge Eltern im Zeitalter des Internets, Rettung und Nemesis zugleich: Die Suchmaschine ist in der Lage, mich abwechselnd in Angst und Schrecken zu versetzen oder aber zu beruhigen – je nachdem, wie gefestigt ich mich zu einer gegebenen Nanosekunde in meiner Elternkompetenz gerade fühle.

Wie der Inhalt einer Babywindel ist das Elterndasein voller Überraschungen. Die einzige Konstante besteht in der permanenten Unberechenbarkeit. Google ist erstaunlich kompetent darin, schon früh zu antizipieren, nach welchen Überraschungen ich suchen werde – das Autocomplete beginnt meine Fragen schon nach wenigen Buchstaben zu vervollständigen: seien es Standards wie „Schläft mein Baby genug?“ oder hysterische Anwandlungen wie „Welche psychischen Traumata verursacht ein Schnuller?“. Die Armee der Selbstvermesser ist nun auch in den elterlichen Alltag einmarschiert, mit einer Vielzahl von Apps, die jede kleinste Einheit an Schlaf, Urin, Ersatzmilch ab- und vergleichen, alles, um das Wohlergehen meines Kindes kontinuierlich zu optimieren.

Ich wurde allmählich zur Sklavin meiner Still-App und schrie durch die ganze Wohnung nach meinem Mann, er müsse sofort mein Handy finden, sobald unsere Kleine endlich angedockt war. Pflichtbewusst protokollierte ich jede Mahlzeit mit der Akribie einer Wissenschaftlerin, die nach einem Heilmittel gegen Krebs forscht. Gott behüte, dass ich auch nur eine Stillsekunde nicht eintippte. Trotz der gegenteiligen Datenlage verfiel ich regelmäßig in Panikattacken, weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass unser Baby nun definitiv dahinsieche. Ich wurde zum willenlosen App-Junkie, starrte immer und immer wieder auf das Display, gierig auf jeden neuen Datenfitzel, der mir das Wohlergehen meines Kindes in Zahlen und Graphen nachwies. Aber so sehr mich diese Messungen und deren Analyse zu überzeugen versuchten, dass unser Baby genug trank – sie versetzten mich einfach nur in immer größere Aufregung und Angst.

Als ich schließlich anfing, darüber nachzudenken, alle Daten in eine Excel-Tabelle zu exportieren, um noch genauere Auswertungen vornehmen zu können, war klar, dass ich am absoluten Tiefpunkt angekommen war. Ich löschte die Still-App postwendend von meinem Handy und stürzte mich ins Unbekannte, ins absolut unquantifizierte Territorium. Auch tags darauf war mein Baby noch am Leben. Es kam einem Wunder gleich. Ja, tatsächlich, die Kleine wurde größer, wuchs heran, war bester Stimmung und füllte eifrig einen Riesenmülleimer mit wiederum gutgefüllten Windeln. Unfassbar, es war beinahe so, als hätten Menschen jahrtausendelang Kinder ohne technologische Unterstützung aufgezogen!

Im Bestreben, Dinge einfacher zu machen, verkomplizieren wir sie oft. Unmengen von App-Daten sind keine Garantie für Wohlbefinden. Im Gegenteil: Die Informationsfülle, die von immer intelligenteren Suchmaschinen generiert wird, kann jede umsichtige Mutter, jeden gutwilligen Vater geradezu in den Wahnsinn treiben. Nun, nach zwei Monaten Mutterdasein bin ich dankbar, begriffen zu haben, dass die Antwort auf fast jede „Ist-es-normal-Frage“ unweigerlich „ja“ lautet. Es gibt aber zweifellos jede Menge Internetforen, die einem etwas ganz anderes weismachen wollen. Tja, und der einzige Weg, in diesem ganzen Irrsinn bei Verstand zu bleiben, ist, dem Kontrollwahn zu entsagen, Ungewissheit auszuhalten und seinem Bauchgefühl, seiner Intuition, zu vertrauen. Es gibt keinen Elternkompetenzalgorithmus. Und es ist Zeit, dass wir uns auf uns selbst verlassen, mein Partner und ich, besonders, wenn das bedeutet, endlich das Handy wegzulegen und einen sonnigen Tag in Südfrankreich zu genießen – mit unserer wunderbaren Tochter und einer ordentlichen Menge grüner Babykacke.

(Aus dem Englischen von Elisabeth Ruge.)

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