Ich. Heute. 10 vor 8.

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Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Junge Großmütter, späte Mütter

| 4 Lesermeinungen

Ab einem Alter von 28 bekamen Frauen in der DDR das hässliche Wort „Spätgebärende“ in ihre Krankenakte gestempelt. Heute sind die über vierzigjährigen Mütter die einzige demographische Gruppe mit steigender Geburtenrate in der Bundesrepublik.

© Anja MaierMit der Tochter im Niemandsland zwischen Ost und West, Berlin-Mitte, Dezember 1989.

Es ist heiß. Mir ist heiß, dem Kind ist heiß. Wie ein nasser Sack hängt es mit seinen dreizehn Kilo auf meinen Schultern. Um das Gleichgewicht besser halten zu können, hat es seine kleinen Würstchenfinger in meine Haare gekrallt. Nur noch zweihundert Meter, dann sind wir zu Hause, denke ich. Bis dahin, daran lässt das Kind keinerlei Zweifel, werde ich es durch die brütende Sommerhitze schleppen müssen. Selber laufen ist heute nicht. Und wenn ich, endlich angekommen, meine süße Last abwerfen darf, muss ich erstmal verschnaufen. Dann kann ich endlich diese Stinkewindel wechseln, deren weicher Inhalt just in diesem Moment noch meinen Nacken wärmt.

Ich liebe dieses Kind. Ohne Frage. Ich liebe es sehr. Dennoch, Oma zu sein, kann ganz schön anstrengend sein. An Tagen wie diesem, einem heißen Sommertag mit brennenden Schultermuskeln und Kackegestank in der Nase, frage ich mich, wie meine Altersgenossinnen das eigentlich schaffen: im fortgeschrittenen Alter kleine Kinder zu haben. Wie sie das hinkriegen. Körperlich. Nervlich. Jeden Tag, und nicht so wie ich, zwei Wochen im Sommerurlaub.

Irgendetwas muss ja toll sein an der späten Elternschaft. Sonst wären die über vierzigjährigen Mütter in diesem Land wohl kaum die einzige demographische Gruppe mit steigender Geburtenrate. Und sie sind weiß Gott nicht alle die Wiedergängerinnen von Carla Bruni, Madonna oder Ute Lemper.

Als meine Enkeltochter geboren wurde, war ich 46 Jahre alt. Meine Tochter, die Mutter dieses kleinen Wesens, war bei der Geburt 23, also genauso alt wie ich damals. Beide waren wir mitten in der Ausbildung schwanger geworden, beide unbeabsichtigt. Beide bekamen wir unser Baby: ich meine Tochter 1988, meine Tochter ihre Tochter 2012. Dreiundzwanzig war Ende der Achtzigerjahre ein stinknormales Alter, um ein Kind zu bekommen. Ab 28 bekamen Frauen in der DDR das hässliche Wort „Spätgebärende“ in ihre Krankenakte gestempelt. Eine klare biologische Abwertung.

Ich weiß noch, wie wir am Anfang der Schwangerschaft miteinander abgewogen haben, ob meine Tochter das Kind überhaupt bekommen sollte. Kein leichtes Gespräch. Dünnes, sehr glattes Eis. Ich wusste, was es bedeutet, im Studium ein Baby zu bekommen. Was dann alles nicht mehr geht, und zwar für eine sehr lange Zeit.

Ich erzählte ihr, wie meine ungebundenen Kommilitoninnen nach dem Mauerfall schnurstracks in die Welt aufgebrochen waren. Wie sie in Helsinki und Havanna ihre Abschlüsse machten, während ich weiter jeden Nachmittag in Berlin zur Kita wackelte und irgendwann mein Studium abbrach. Und wie ich mit 27 Jahren ein weiteres – geplantes – Kind bekam. Wie schuldig ich mich später aber im Beruf gefühlt habe, unter Verweis auf meine Kinder jeden Tag vor allen anderen gehen zu müssen. Wie ungut mein Gewissen pochte, wenn ich wegen Mittelohr/Nebenhöhlen/Bronchien/Läusen krankgeschrieben war. Mal wieder.

Ich erzählte ihr aber auch, wie großartig es sein kann, mit 42 Jahren auf dem Abiball der eigenen Tochter zu tanzen. Wie gut es sich angefühlt hat, mit vierzig wieder in diesen quasi-jugendlichen Zustand weitgehender Ungeplantheit zu wechseln. Und wie stark ich mich mit dreißig gefühlt hatte, mühelos auf jedem Arm ein Kind in den vierten Stock trecken zu können, im Rucksack den Wochenendeinkauf. Das war, daran erinnere ich mich genau, das ganze Gegenteil eben jener Erschöpfung, die ich heute spüre, wenn ich im Urlaub diese süße, aber lauffaule Zweijährige den Strand entlang schleppe und mich frage: Wie halten die späten Mütter das eigentlich aus?

Eine Menge hat sich geändert. Immer mehr Frauen bekommen erst mit Ende dreißig, Anfang vierzig ihr erstes Kind. Ein wichtiger Grund scheint zu sein, dass Frauen lieber kinderlos als arbeitslos sind. Ihre berufliche Entwicklung ist ihnen – endlich, möchte man sagen – genauso wichtig wie ihren männlichen Altersgenossen. Ein anderer Grund scheint das große Vertrauen in den eigenen Körper zu sein; im Bedarfsfall auch das Vertrauen in die Fähigkeiten der Medizin. Statistisch sind neunzig Prozent aller Frauen mit 45 Jahren unfruchtbar. Nur vier Jahre vorher kann schon jede zweite kein Kind mehr austragen. Fraglich also, ob es mit dem Baby einfach klappt, wenn frau bereit für die Mutterschaft ist.

Wohl auch deshalb setzt es diese Blicke. Ich kriege sie ja selbst ab. Andere Frauen scannen mich. Als späte Mutter. Denn die scheine ich zu sein, wenn ich auf dem Spielplatz meine Enkelin auf der Schaukel anstupse. Jüngere Frauen linsen rüber, gucken, wie ich dem Kind die Nase abwische, und fragen sich angesichts meines uneleganten Hochstemmens aus der Hocke, ob das jetzt wirklich sein musste: in diesem Alter noch ein Kind. Diese Frau, meinen sie naheliegenderweise, wird nur noch mit sehr viel Fortune ihr Enkelkind kennenlernen. Und falls sie es erleben sollte, wird sie es kaum auf ihren Schultern einen Strand entlang schleppen.

Neben mir stehen Frauen meines Alters und geben ihrem Vierjährigen einen Schubs Richtung Himmel. Sie sind tatsächlich späte Mütter. Vielleicht sind es jene Frauen, die vor einem Vierteljahrhundert nach Helsinki und Havanna aufgebrochen sind, die die Neunziger durchgefeiert und anschließend einen anständigen Abschluss gemacht haben. Sie sind durch die politischen Krisenjahre der Jahrtausendwende gegangen, in denen man sich ernsthaft fragen musste, ob Kinderkriegen wirklich eine gute Idee wäre. Und auf den letzten Metern haben sie doch noch ihr Kind bekommen. Ich sehe ihnen an, dass sie zu wenig Schlaf kriegen, dass ihre Haare grau werden.

Nichts daran stört mich. Nur zu, liebe Mitfrauen! Ich will es nur nicht mehr selber so haben. Ich bin ganz froh, meine zahnenden Kinder überstanden zu haben. Auch die Schul-Krisen und diese ziemlich unlustige Pubertät. Je älter ich werde, desto deutlicher spüre ich: Diese tolerante, im Bedarfsfall auch improvisierende Frau von damals bin ich nicht mehr. Meine Wertmaßstäbe werden fester, immer öfter mangelt es mir an jener Selbstironie, die mit Kindern zur Grundausstattung zählt.

Noch zweihundert Meter. Dann darf ich im Liegestuhl zusammenbrechen.


4 Lesermeinungen

  1. f0a0 sagt:

    Wertmaßstab
    Enkeltochter = Urenkelin (doch, doch dieses Wort gibt es erstaunlicherweise immer noch!) – das meinen Sie aber in diesem Fall nicht, denn es geht um Ihre Enkelin.

    Jede Mutter ist berufstätig und arbeitet, wenn auch meist ungelernt und unbezahlt, denn (auch Teil-)Familie ist Beruf, aber eben bislang noch keine Erwerbstätigkeit.

  2. DoctorSnuggles sagt:

    Arbeit ist das Wichtigste?
    > Ihre berufliche Entwicklung ist ihnen – endlich, möchte man sagen – genauso wichtig wie ihren
    > männlichen Altersgenossen.

    Ich verstehe ehrlich nicht, warum in diesem Land der Beruf so in den Vordergrund gestellt wird. Sicherlich, viele verbringen mehr Zeit mit ihrem Beruf als mit ihren Kindern. Und wer das macht, der sollte seinen Beruf einigermaßen gerne machen, ansonsten ist es vergeutete Lebenszeit. Aber ist das Berufsleben wirklich so toll? Ich habe eher den Eindruck, viele Menschen wissen nichts mit sich anzufangen und die Arbeitsstelle gibt ihnen einen Orientierungspunkt im Leben. Oder sie erfüllen eine Aufgabe, die die deutschen Arbeitsgesellschaft von ihnen erwartet: lebe, um zu arbeiten. Arbeite für eine Wohnung, die du den ganzen Tag nichts siehst. Arbeite für ein Auto, das Dich zur Arbeit bringt, ansonsten aber nutzlos herumsteht. Arbeite für ein Smartphone, das Dir morgens schon sagt, dass wieder neue Arbeit auf Dich wartet.
    War es nicht das große Versprechen der Maschinenkonstrukteure, dass die Menschen weniger arbeiten sollten? Und ist das Paradies nicht ein Ort, an dem möglichst nicht gearbeitet wird?
    Abschließend sei noch auf die “Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral” von Heinrich Böll hingewiesen. Bei Wikipedia gibt es einen Eintrag dazu. man findet weitere Versionen im Internet.

    • JHWDH sagt:

      das große Versprechen der Maschinenkonstrukteure...
      genau so ist es. Leider werden alle “Ingenieur-(Paradies?-)Produkte” ausschließlich
      zum Zweck der Produktionssteigerung benutzt und der Mensch wird von der
      “techn. Geschwindigkeit” mitgerissen und die Seelen “verheizt”.
      An diesem “Bruttosozialprodukt Steigerungsirrsinn” sind aber viele, nicht nur
      die Ingenieure beteiligt. Und alle sagen: Ich mach doch nur meine Job, ich
      führe “Arbeits-Befehle” aus, denn wenn ich es nicht tue, tut es ein anderer.
      Es will keiner, aber alle machen “machlos?” mit, beim Höllen-Beschleunigung-Wachstum.
      Nicht lange her, da sagten viele, ich habe nur Befehle ausgeführt und die
      Folgegeneration war sprachlos ob dieser Dummheit.
      Aber wir machen heute nichts anderes, wir führen “bedenkenlos” Gesellschaftsbefehle,
      Arbeitgeberbefehle wie programmierte Roboter aus und waschen unsere Hände in Unschuld,
      im Notfall oder nach dem Notfall…Kriegfall.

      Gruß
      W.H.

      P.S. …habe mein Leben in der “Automation” als “E-Ingenieur” vergeudet und
      stetig wachsende Anforderungen, Erwartungen befriedigt.
      Jetzt bin ich “weiser”….hoffe ich und erlebe noch ein bischen eigenes Paradies:=)

  3. JHWDH sagt:

    Manchmal kommt auch Weisheit mit dem Alter...
    Wahrnehmung der Sehnsucht der eigene Seele nach Ruhe, Frieden, Geborgenheit…
    Eigenliebe “geben” und “nehmen” bedeutet ruhige Leben-Zeit für das eigene “Seelen-Ich”
    nehmen, “Eigen-Seelenmassage”, “Seelen-Not-wendende” Selbstliebe-Zeit.
    Der dafür notwendige “Abstand” zur Familien-Jugend, zu den Nachkommen, bedeutet
    deswegen nicht, weniger Liebe oder gar keine Liebe für sie zu haben oder Kinderhasser zu sein.

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