Ich. Heute. 10 vor 8.

Wanted – Ihre Institution agiert außerhalb des Gesetzes!

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Bei Ausstellungsankündigungen, die mir tagtäglich ins Haus beziehungsweise auf meinen Rechner flattern, habe ich es mir zum Sport gemacht, zu zählen, wie viele Künstlerinnen versus Künstler in der beworbenen Ausstellung vertreten sind. Ich kann mich kaum an eine Ausstellung erinnern, die a) einfach so Künstlerinnen in der Mehrzahl zeigte, b) gleichzeitig nicht eine thematisch festgelegte Frauenshow war beziehungsweise c) nicht in einem dezidiert künstlerinnenfördernden Kontext stand.
Und dass wo an den Kunsthochschulen regelmäßig die Anzahl der Absolventinnen die der Absolventen übersteigt.
Das Bemerkenswerte ist, dass dieses Ungleichgewicht nicht nur in den großen Institutionen, Museen und Biennalen herrscht, sondern gleichermaßen bis in die, so möchte man meinen, aufgeschlosseneren, sich ihrer (politischen) Aufgabe bewussteren Projekträume reicht.
Auf die regelmäßig vorgebrachten Begründungen (z.B. Baselitz im Spiegel-Interview: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt“ oder die schlichte Behauptung, es gäbe eben nicht genug gute Künstlerinnen) möchte ich hier gar nicht eingehen, sie sind sämtlich absurd.
Allerdings, so ist mir aufgefallen, gibt es tatsächlich Unterschiede in der Selbstdarstellung und -vermarktung. Diese wiederum sind eng verbunden mit dem in unserer Gesellschaft tief verwurzeltem Glauben an das künstlerische Genie – und das ausschließlich in seiner männlichen Ausprägung. Das Bild, das Baselitz und Richter und wie sie nicht alle heißen immer wieder gerne bestätigen, ist: der Künstler ist ein unverstandenes und einsames Wesen, jenseits von Konventionen und Kohorten. Das passt nicht eben zum allgemeinen Verständnis einer Frau in unserer Gesellschaft.

In aktuellen Top-Ten Rankings (bestverdienender, am meisten nachgefragter Künstler (sic!) etc.) tauchen lediglich Cindy Sherman und ab und an auch Rosemarie Trockel auf. Beide sind bekannt geworden als Künstlerinnen, die „das Frausein“, zum Thema gemacht haben. Und nicht einfach „nur“, weil sie, wie angeblich die anderen, gute Kunst gemacht haben. Ihre thematische Spezifikation gibt Ihnen eine Sonderstellung, sie sind „Ausnahmefrauen“ (siehe Isabelle Graw: Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts) und legitimieren so ihren Platz unter den männlichen Kollegen.
Im Rahmen einer Diskussion zum Thema „Genderpolitics of the Art Market“ Anfang 2013 präsentierte Marian López Fernández-Cao in ihrer Rolle als Präsidentin die spanische Vereinigung MAV (Mujeres in Artes Visuales – zu Deutsch „Frauen in der Bildenden Kunst“). 2009 als gemeinnütziger Verein gegründet ist MAV ein Zusammenschluss von Expertinnen auf dem Gebiet der Bildenden Kunst in Spanien: Künstlerinnen, Kritikerinnen, Sammlerinnen, Kuratorinnen, Ausstellungsarchitektinnen, Professorinnen, Direktorinnen, Technikerinnen, Verlegerinnen, Forscherinnen, Galeristinnen, Kulturmanagerinnen, Journalistinnen etc.
MAV hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Sichtbarkeit und Repräsentation von Künstlerinnen an spanischen Kunstinstitutionen zu verbessern. Dabei engagieren sie sich vor allen Dingen für die verstärkte Umsetzung des Artikels 26  „Gleichheit in künstlerischer und intellektueller Kreation und Produktion“ des „Ley Orgánica 3/2007“ (vom 22. März 2007), der unter anderem folgendes vorsieht:

2. Die verschiedenen Organe, Institutionen, öffentlichen Einrichtungen sowie alle weiteren Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die entweder direkt oder indirekt das kulturelle Verwaltungssystem gestalten, sollen folgende Aktionen umsetzen:

a) Unterstützung von Initiativen, die speziell die Förderung von Frauen in Kunst und Kultur verfolgen und deren strukturelle und/oder subtile Diskriminierung bekämpfen.

c ) Förderung einer ausgeglichenen Teilnahme von Frauen und Männern in öffentlich finanzierten kulturellen und künstlerischen Angeboten.

Tatsächlich ist dieses Gesetz, das sich direkt aus der Verfassung ableitet und damit gewichtiger ist als ein reguläres Gesetz, da von einer qualifizierten Kongressmehrheit beschlossen, bindend. Sämtliche betroffenen öffentlichen Institutionen müssen es umsetzen und können bei Nichtbeachtung verklagt werden. Selbst wenn es nicht sofort umgesetzt wird, so muss die betreffende Institution zumindest nachweisen, dass sie entsprechende Schritte eingeleitet hat.
Dieses Gesetz gibt der Arbeit von MAV eine wichtige rechtliche Handhabe und reale Durchsetzungskraft – auch wenn es unter der jetzigen konservativen Regierung nicht, wie unter Zapatero angedacht, in vollem Umfang durchgesetzt wird.

Gemeinsam mit dem Kulturministerium hat MAV die Situation und Repräsentation von Frauen im kulturellen Sektor umfassend erforscht und anschließend veröffentlicht.

© MAVTabelle Männer – Frauenverhältnis in der spanischen Kunstwelt

Diese Grafik beispielsweise zeigt klar: geht es um Macht, Geld und Einfluss sind Frauen unterrepräsentiert.
Dabei erschöpft sich die Arbeit von MAV nicht darin, zahlreiche Universitäten und öffentlichen Kulturinstitutionen mit der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse auf die aktuelle Situation hinzuweisen, umfangreiche Datenbanken und ein großes Netzwerk spanischer Künstlerinnen erlauben es Ihnen gleichzeitig, als Berater zu fungieren und Hilfestellungen anzubieten.
Breiter öffentlicher Aufmerksamkeit erfreut sich auch das von MAV mit großem Erfolg organisierte Festival Miradas de Mujeres, das seit 2011 jährlich und seit 2013 neben Madrid auch auf nationaler Ebene stattfindet. Im Mai diesen Jahres wurden mehr als 1000 Künstlerinnen in 253 Ausstellungen an 308 Orten (darunter auch der Prado und Reina Sofia) präsentiert.

Dass das spanische Gleichstellungsgesetz Organisationen wie MAV jenseits freiwilliger Selbstverpflichtung und wirkungslosen Absichtserklärungen eine ganz andere Schlagkraft verleiht, spricht für eine Frauenquote – und zwar umfassender als sie aktuell von der Bundesregierung geplant ist.
Wie großartig wäre es, wenn ich irgendwann nicht mehr zählen müsste.

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