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Frauen und Macht

Als Gast der Pekinger Universität wurde Angela Merkel von den Studenten gefragt, wie es sich anfühle, als Frau eine Regierung zu leiten. Das sei in China bislang noch unvorstellbar. Angela Merkel erwiderte, dass die Frage nicht einfach zu beantworten sei, weil sie noch nie ein Mann gewesen sei und daher nicht wisse, wie es sich für einen Mann anfühle. Das ist die typische Art wie die Bundeskanzlerin auf Versuche reagiert, ihr Frau-Sein in einem männlich dominierten Beruf zu problematisieren. Unkenntnis bemäntelt so ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Differenz zwischen Frauen und Männern in der Politik.

© Foto: Alexander KurzAngela Merkel: Früher der Inbegriff der Harmlosigkeit – heute die mächtigste Frau der Welt

Die Deutschen sind durchaus stolz auf ihre Bundeskanzlerin. Der Stolz gilt aber weniger der Tatsache, dass es eine Frau endlich geschafft hat, diese Spitzenposition zu erklimmen, als vielmehr der Tatsache, dass sie deren Wunsch erfüllt, Gelassenheit und Sicherheit auszustrahlen. Dass sie nicht prompt auf politische Probleme reagiert, sondern abzuwarten pflegt, vermag ihr Bild nicht zu trüben. Verkörpert sie doch nach dem Urteil der Zeitgenossen wie kaum ein anderes Geschöpf die Politiker-Tugenden der Deutschen, nämlich unprätentiös, freundlich, humorvoll, durchsetzungsstark und verlässlich, aber gleichwohl die mächtigste Frau der Welt zu sein.

Bemerkenswert war schon ihr Einstieg in die große Politik. Sie hatte sich als Ostdeutsche keine Gedanken über die Vorzüge und Nachteile von Frauen in der bundesrepublikanischen Politik gemacht. Sie war nicht durch feministische Einsichten vorbelastet, sondern erschien als Inbegriff der Harmlosigkeit auf der politischen Bühne. Sie verfügte über etwas, was damals dringend gebraucht wurde: über moralische Integrität. Damit stellte „Kohls Mädchen“ einen der mächtigsten Männer der Republik kalt. Die Furchtlosigkeit ihres Auftretens und ihr lakonisches Verdikt überzeugten die Christdemokraten von ihrer Politikfähigkeit.

Die geborene Frauenpolitikerin ist Angela Merkel nicht. Fast ist man geneigt, mit Klaus Wowereit zu sagen: Das ist auch gut so. Denn anderenfalls wäre ihr der Aufstieg ins Bundeskanzleramt wohl kaum geglückt. Dieses Risiko hat man selbst in der Zeitschrift Emma bedacht. Das Scheitern US-amerikanischer Politikerinnen, die sich für Frauenpolitik stark gemacht hatten, wurde als Warnung begriffen.

Dennoch verdient der Politikwissenschaftler Roger Gérard Schwarzenberg keine Gefolgschaft, der sich eine Spitzenpolitikerin nur als „Unfrau“ vorstellen kann, die sich bemüht, „ihre weibliche Identität vergessen zu machen“. Denn auf diese Weise, so Schwarzenberg, wolle sich die Frau für ihr Eindringen in eine Domäne männlicher Machtausübung entschuldigen.

Es bedurfte nicht erst des Dekolletees auf der Opernpremiere in Stockholm und der huldvoll entgegen genommenen Küsschen der Kollegen, um deutlich zu machen, dass das Klischee des Mannweibs in die Rumpelkammer des Geschlechterkampfes gehört. Angela Merkel hat weder  – wie häufig die Männer –  ein erotisches noch  – wie häufig die Frauen –  ein neurotisches Verhältnis zur Macht. Für sie sind Wehklagen über unverständige  Männer schlicht Zeitverschwendung. Sie zieht es vor, politisch verantwortlich zu handeln und dabei überzeugend zu wirken.

In dieser Hinsicht sind ihr die Bundesministerinnen, vorne an Ursula von der Leyen und Andrea Nahles, ähnlich. Immerhin widmet eine den Christdemokraten nicht nahe stehende, überregionale Zeitung der Verteidigungsministerin eine ganze  – allerdings ihre Öffentlichkeitsarbeit kritisierende –  Seite. Andrea Nahles, so weiß die FAZ zu berichten, sei eine „Nervensäge“ und habe ihr „Berufsziel Kanzlerin“ schon in der Abi-Zeitung angegeben. Aus dieser Aufmerksamkeit der Medien folgt, dass beide als politisch starke Frauen, als besonders kritikwürdig wahrgenommen werden.

Beide Politikerinnen sollen sich dagegen verwahrt haben, mit einem „weichen“, wenig bedeutsamen Ressort bedacht zu werden. Beide begreifen politische Macht als Herausforderung, als Möglichkeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu gestalten. Das ist keinesfalls selbstverständlich. Denn nach wie vor hat die eine oder andere Politikerin ein zwiespältiges Verhältnis zur Macht. Die von Selbstzweifeln geplagten Politikerinnen preisen ihre Arbeit gern als nicht macht- sondern sachbezogen. Mit moralisierendem Unterton geben sie kund, dass sie nicht nach Macht gestrebt, sondern nur eine gesellschaftlich wichtige Tätigkeit gesucht hätten.

Macht wird gern mit Gewalt und Unterdrückung assoziiert. Macht erscheint als etwas charakterlich Anstößiges. Doch Macht ist ein Element jeder politischen Verantwortung. Laut Max Weber bedeutet Macht die Chance, „innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“. Und auch die Demokratie beruht darauf, dass Entscheidungen nach und auf Grund einer politischen Auseinandersetzung autoritativ nach bestimmten Verfahrensregeln getroffen werden.

Frauen haben in der Politik nach wie vor Startnachteile. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich in Bescheidenheit üben und warten, bis sie gerufen werden. Zu großer Eifer und wildes Handaufheben gelten für das weibliche Geschlecht als unschicklich, während bei Männern selbstverständlich das Gegenteil erwartet wird. Von Gerhard Schröders Rütteln am Kanzleramtstor wird gern erzählt. Aber dass Gesine Schwan es gewagt haben soll, sich selbst im Jahr 2009 erneut als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt ins Gespräch zu bringen, ist mit Unwillen zur Kenntnis genommen und als „karrieregeil“ bewertet worden. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es immer noch nicht dasselbe. Das ist eine Grunderfahrung, die fast alle tatkräftigen Frauen in der Politik machen.

Dennoch, soviel ist gewiss, die Zeiten, in denen Regieren eine Sache der Männer war, sind auch in Deutschland vorbei. Allerdings, soviel sei schon hier gesagt, die Wirklichkeit der Politik ist nach wie vor männlich geprägt.

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