In diesem Jahr war es soweit. Der Berliner Sommer, bis dato in jedem Berliner Winter heiß ersehnt, wurde zum Problemfall. Wie so oft war das geliebte Kind die Ursache, wenn Dinge, die problemlos funktionierten, plötzlich nach Veränderung verlangten.
Bis zur Geburt des Kindes waren die Sommer für uns wunderbar: nach der Arbeit mit dem Rad an den Kanal, in den Park, in einen der Biergärten oder ins Freiluftkino. Am Wochenende Flohmarktbesuche, raus an den See und abends dann zu einem der vielen Open Air Festivals.
Aber Kind und Sommer in der Großstadt, das verträgt sich einfach nicht miteinander. Das Kind will raus: klettern, spielen, Laufrad fahren. Die Großstadt ist kein Ort für einen Zweijährigen, der, sobald seine Füße den Boden berühren, anfängt zu rennen. Dafür aber nicht versteht, wann ihn ein „Nein“ vor dem herannahenden Auto rettet und nicht nur bedeutet, dass man keine Gummibärchen mehr bekommt.
Wutanfälle im Halbstundentakt sind vorprogrammiert. Einfach im Park sitzen, die Eltern in Ruhe lesen lassen, darauf hat das Kind keine Lust. Freibad? Hoffnungslos überlaufen. Am Abend, wenn es draußen gemütlich wird, muss das Kind nach Hause und ins Bett gebracht werden. Sogar an den Seebesuch werden plötzlich gesonderte Ansprüche gestellt: Es braucht einen See mit flacher Badestelle für Kinder. Einen, der nicht zu weit weg ist, weil das Kind nicht gerne Auto fährt und der trotzdem nicht überfüllt ist mit lauter anderen schwitzenden Berlinern.

Schon nach wenigen heißen Tagen, an denen wir das von der Hitze genervte Kind zwischen überfüllten Spielplätzen und 40-Grad-Sauna-Wohnung hin und her scheuchen mussten, war klar: So geht das nicht weiter. Wir müssen raus. Richtig raus. In die Natur. Aufs Land. Wo das Kind rennen kann, ohne ständig mit „Nein“-Ansagen gegängelt zu werden. Wo es einen See gibt, mit flacher Badestelle, den wir zu Fuß erreichen können.
Also begannen wir, uns nach Möglichkeiten umzusehen. Wir waren nicht die Einzigen: Scharen junger Berliner Eltern treibt dasselbe Problem um. Schnell trafen wir auf Gleichgesinnte, mit denen wir ein Ferienhausprojekt starten wollten. Nur leider bedeutete das erst mal jahrelang auf einer Baustelle wohnen, in Vorkasse gehen. Wir brauchten aber sofort etwas Funktionierendes, nicht erst in drei Jahren.
Andere Freunde von uns haben vor ein paar Jahren eine alte DDR-Datsche im Wald gekauft, für 10.000 Euro. Leider sind mit der zunehmenden Gentrifizierung in der Stadt auch die Kosten für diese Datschen explodiert: 25.000 Euro hätten wir zahlen müssen, wenn wir überhaupt etwas gefunden hätten.
Wir hatten für dieses Jahr schon aufgegeben. Doch dann kam der erlösende Anruf eines entfernten Bekannten: „Wollt ihr nicht einen Kleingarten pachten? Bei uns in der Siedlung wird gerade etwas frei.“ Garten wollte ich eigentlich nicht, eher ein Ferienhaus, aber egal. Wenn der Rest stimmt, wird der Bock eben zum Gärtner. Und der Rest stimmt: Die kleine Anlage liegt auf dem Land, aber nicht zu weit weg. Es gibt ein kleines Häuschen, in dem Übernachtungen möglich sind. Ein See mit flacher Badestelle, sauberem Wasser und ohne Motorboote liegt in Gehweite. Der Garten ist gut in Schuss, liegt sogar auf einer Anhöhe, von der aus man so etwas wie ein Gefühl von Weite bekommt. Kein Vergleich mit den kleinen, von Deutschlandfahnen umwehten Parzellen in der Innenstadt.
Schon bei unserem ersten Besuch in der kleinen Schrebergartensiedlung am Rande eines winzigen Dorfes hinter Potsdam unterzeichnen wir den Pachtvertrag. Und das, obwohl ich in meinem Leben noch nie gegärtnert habe. Das Landlust-Magazin über “Die schönen Seiten des Landlebens”, das inmitten der Printkrise eine größere Auflage erreicht als der Stern zu seinen besten Zeiten, interessiert mich in etwa so sehr, wie der Dreck unter den Krallen von Nachbars Katze. Was tut man nicht alles für die lieben Kleinen.
Unsere Gartennachbarin, eine ältere Dame, scheint das zu spüren. Sie mustert uns. „Haben Sie sich das auch wirklich überlegt? Wie oft können Sie kommen? So ein Garten ist eine Menge Arbeit,“ warnt sie uns vor. Wir nicken und schauen betreten zu Boden.
Der Kleingartenvereinsvorsitzende sieht das gelassener. Er erklärt uns die 1/3 Regelung, die noch aus der Nachkriegszeit stammt, als Schrebergärten die Versorgung der hungernden Bevölkerung unterstützen sollten. Sie besagt, dass 1/3 der Gesamtfläche mit Nutzpflanzen bepflanzt sein müssen. „Ach“, sagt der freundliche Herr. „Machen Sie sich mal keinen Stress. Dann pflanzen Sie einfach ein paar Karotten und Kartoffeln, das macht nicht so viel Arbeit.“
Pflanzen? Machen wir eh erst im nächsten Jahr. Erstmal heißt es ernten. Unsere Vorpächterin, eine sehr nette Dame aus der Umgebung wollte den Garten schnell los werden, weil sie ihn alleine nicht mehr schaffte. Und wir dürfen die Früchte ihrer Arbeit ernten. Beeren, Mirabellen, Mangold, Kartoffeln. Lecker. Nichts ist schöner, als die Früchte von jemand anderem zu ernten. Stimmt nicht. Ich freue mich schon auf nächstes Jahr: Nichts ist schöner, als die eigenen Früchte zu ernten.
Unsere Tage im Garten vergehen. Freitag Nachmittag hin, Sonntagabend so spät es geht zurück. Zeit, in der ich nicht einmal auf mein Handy schaue. Unsere neuen Nachbarn wachsen uns ans Herz. Sie alle stammen aus der Umgebung, haben die längste Zeit ihres Lebens in der DDR verbracht. Dort kam den Gärten eine zentrale Bedeutung zu, zentraler als im Westen: Weil Reisen nur bedingt möglich waren, wurden sie zum Mittelpunkt der Freizeit. Vor einem Jahr noch hätte ich darüber gelacht – heute kann ich es verstehen.
John Muir war Naturwissenschaftler und Naturschuetzer:
“Der beste Weg zum Universum führt durch einen wilden Wald.”
“Jeder braucht Schönheit genauso wie Brot, Orte zum Spielen und Beten, wo die Natur heilt und Körper und Geist stärkt.”
Jetzt brauche ich nur noch die Zeit fuer meine 14 Hektar Urwald; irgendwann, aber sehr bald.
Gestern kam irgendwo eine Doku ueber einen Englaender, der seine kleine Seychellen-Insel schon seit 40 Jahren “aufforstet”. Es nimmt einfach kein Ende 🙂
Kinder und Gärten
Meine Erfahrung: Kinder interessieren sich in Gärten zunächst nur für eßbares Grün. Da empfehlen sich die Kartoffeln, weil der Anbau einfach ist und schnell Ergebnisse zu erzielen sind. Und wenn die Kartoffeln aus dem eigenen Garten kommen, verzichten Kinder sogar auf das heißgeliebte Ketchup, mit dem sonst jedes Essen “verbessert” wird.
Bundeskleingartengesetz gedehnt?
Die Schrebergärten dienen danach nur zur Erholung. Die Lauben dürfen mit überdachtem Freisitz nicht größer als 25qm sein und nach ihrer Ausstattung und Beschaffenheit nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein.
Wenn man mit Kleinkind das komplette Wochenende verbringen kann, scheint der Standard wohl über diesem Gesetz zu liegen.
Die Laube misst genau 25 qm. Sie wurde zu DDR-Zeiten ausgebaut, da waren die Regeln anders, lockerer, eben weil die Gärten auch als Urlaubsort dienten. Dort wohnen darf man nicht mehr (durfte man zu DDR-Zeiten schon), übernachten darf man schon. Herzliche Grüße
Was einen Unterschied
das Kind macht. Aus, naja “Erwachsenen” werden Verantwortliche – treffen Entscheidungen, die auch (soziale) Festlegungen sind, werden plötzlich (für andere) leicht zu “taggen” – “Spießer mit Kind und Kleingarten, hats wohl zu mehr, zu richtig großen Karriere und viel Vermögen nicht gereicht!?” Aber was machte das schon, man hat nur ein Leben.
Viel Spaß also im eigenen Garten – und der Familie und dem Kind “immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel”, also Gesundheit und Wohlergehen.