Ich. Heute. 10 vor 8.

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Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Der will doch nur zahlen

| 6 Lesermeinungen

Es gibt ihn als App, als Depp, als Portal und in weiblicher Variante – nie schien der Sugar Daddy so präsent wie in unserer geschäftstüchtigen Gegenwart. Doch die Lustgreis-Luder-Logik greift zu kurz. Eine Ehrenrettung.

© Bibi und Tina, DCM DistributionDie Wanne ist voll! © Bibi und Tina, DCM Distribution

Crazy Ebby war Gast in einer albanischen Spielhölle im Hinterzimmer einer Kneipe in Tribeca. Vor vielen Jahren servierte ich dort nachts den schweigenden Spielern Koteletts mit labbrigem Toast und reichlich Majonaise. Bezahlt wurde mit verschiedenfarbigen Chips, die am frühen Morgen in Dollarscheine eingewechselt wurden, die ich anschließend in Longdrinks in den New Yorker After-After Hour Bars investierte.

Crazy Ebby hatte einen langen albanischen Namen, den er zu Ebby amerikanisierte. Ich nannte ihn Crazy Ebby nach der Werbefigur einer Elektrokette, die in irren Spots „Crazy Eddy´s Christmas Sale in August“ feierte und im Hochsommer mit Weihnachtsbäumen fuchtelte wie Ebby mit seinen Dollarnoten. Er gewann und verlor große Summen und lud mich nach seinem letzten Spiel zum Shopping bei Bloomingdale’s. Am Eingang des Luxus-Kaufhauses überreichte er mir 500 Dollar.

Am Abend folgte ich der Dinner-Einladung in sein neu erworbenes Appartement im feinen Sutton Place. Weil als einziges die Musterwohnung übrig geblieben war, hatte er die gekauft und die Mustereinrichtung mitsamt den an ihr baumelnden Preisschildern unverändert übernommen. Crazy Ebby ließ opulent für alte und neue Freunde auftischen und erfreute sich an allem Käuflichen. Vom schweren Wein ermüdet, sank ich frühzeitig ins Mini-Bett im Modellkinderzimmer und schlief ungestört bis zum Morgen.

Am nächsten Tag war Ebby fort und hatte mir zu meiner großen Freude einen mit Hundert Dollarscheinen gefüllten Umschlag mit der Aufschrift „Have Fun!“ hinterlassen. Seine Freunde gingen selbstverständlich davon aus, dass wir „etwas hatten“. Und genau das war der Sinn der Sache, meiner Gesellschaft wie meiner Bezahlung. Der kinderlose Kinderzimmerbesitzer hatte mich als Protagonistin einer Unterstellung bezahlt, als Christmas Sale ohne Christmas.

Eine bizarre Ausnahme? Keineswegs. Alle sehr reichen Männer sind in irgendeiner Form irre, und sei es nur in der Art und Weise, wie sie auf ihrer Normalität beharren. Der Sugar Daddy ist ein aberwitziger Hybrid aus Mäzen und Freier. Wo der Mäzen seine Gönnerhaftigkeit kulturell ummäntelt und der Freier sich seine Triebabfuhr etwas kosten lässt, wabert der Sugar Daddy im Ungefähren zwischen Großzügigkeit, Lustmolchtum und Selbstbetrug.

Begriff wie Phänomen des Sugar Daddys entstehen in den US-Metropolen der zwanziger Jahre. Sehr junge Frauen strömten dort ins niedrigrangige Berufsleben, bevölkerten knapp bekleidet als Flapper und It-Girls Leinwände und Nachtclubs und suchten nach Gewinn ohne Mühe in Form alter Säcke, die in ihren Séparées umfielen. Die langfristigen Absichten der lebenslustigen Gold-Digger waren so durchsichtig wie ihre Negligés. Die Eindeutigkeit dieser Absichten in echte Gefühle umzumünzen, also einem selbstgeschaffenen Trugschluss gemeinsam zu erliegen, erhob die ungleichen Geschäftspartner zu Verbündeten der Verblendung.

Im emblematischen Film „Wie angelt man sich einen Millionär?“ bedienten die Superstars Betty Grable, Lauren Bacall und Marylin Monroe den veränderten Anspruch der Fünfziger Jahre: Die Berechnung wird zugunsten wahrer Liebe aufgegeben, was – Hollywoods Dialektik sei Dank – genau deswegen in den Ehehafen mit dem Öl-Tycoon führt.

Erst die achtziger Jahre erhoben in ihrem notorischen Mangel an Verspieltheit den Sugar Daddy zu einem zeitgeistkonformen Geschlechtermodell des Gebens (Geld) und Nehmens (Jugend, Schönheit) im merkantilisierten Miteinander. Ein Modell, das seine Fortsetzung und Zementierung in der Gegenwart technischer Geräte und deren Liebe zur Eindeutigkeit fand. Vom It-Girl der zwanziger zum I.T.-Girl von heute schlägt der Prahlhans als Zahlmeister eine Schneise durch die Jahrzehnte. Oder inzwischen doch eher der Erwartung ein Schnippchen? Wo die Frauen heute so brav wie systematisch im Namen eines verkorksten Emanzipationsbegriffes die Irrwege des geschlechtlichen Miteinanders abtrampeln, den „Chippendales“ Euroscheine in die String-Tangas stopfen, in stetig steigender Zahl Callboys bestellen und sich als selbst ernannte Sugar Mommys willfährige Lustknaben halten, genießen ihre männlichen role models weiterhin nicht selten ihr So-tun-als-ob.

Letzte Woche erst setzte sich in einem Berliner Edelitaliener ein ältlicher Russe ungefragt an meinen Tisch, schwadronierte von den drei Banken, die er besitze und den acht Kindern von acht Frauen, die er einmal im Jahr auf seiner Yacht versammele, um ihre finanziellen Wünsche zu stillen. Auch seine sexuellen Vorlieben, die er sich einiges kosten ließe, blieben nicht unerwähnt. Als mit einstündiger Verspätung endlich mein geplanter Gesprächspartner eintraf, begrüßte der Russe ihn mit „I’m a Millionaire“ und verzog sich ins Ungewisse. Unsere üppige Rechnung, beschied uns Stunden später der Wirt, habe der Fremde vollständig bezahlt.

Das Interessanteste am Klischee ist die Freiheit, es zu unterlaufen. Der so freiwillige wie selbstbewusste Verzicht nicht weniger Sugar Daddys auf ihren return of investment, spottet der Akribie, mit der aktuell viele Frauen, einer fehlerhaften 1:1-Logik gemäß, das oftmals gar nicht vorhandene männliche Vor- oder Feindbild zu kopieren suchen. Die Inszenierung des Vermeintlichen würde doch auch uns Frauen ein schönes Hobby bescheren. Und dann wäre vielleicht auch eine “Crazy Emmy“ nicht länger zu cool, um wahr zu sein.


6 Lesermeinungen

  1. ThorHa sagt:

    Vor den Sex-Verinderungswellen von AIDS, Feminismus, Political Correctness und Pornographie
    (nicht verbunden) schien mir das Land weniger (!) prüde und verklemmt gewesen zu sein. Aber ich bin nun Mitte 50 und absolut unzuständig, das wirklich zu beurteilen, jüngere Menschen mögen aus ihrer Alltagsrealität einen völlig anderen Eindruck haben.

    Was das von der Autorin spezifische Problem angeht allerdings ist die Antwort nach dem Verursacher absolut eindeutig: Feminismus. Frauen sollten nicht mehr als “Lust”Objekt betrachtet werden, hat offensichtlich gut funktioniert und wurde auch von Männern internalisiert. Zu Nebenwirkungen befrage man seine weibliche Bekanntschaft nach dem dritten Glas Wein :-).

    Pssst – die Regel gilt natürlich nur für Männer. Wie z.B. einem langen und klar symphatisierenden ZEIT-Reiseartikel vor einigen Monaten zu entnehmen war, deren Autorin es klasse fand, dass sich dickbäuchige deutsche fünfzigjährige Frauen am Strand von Kenia knackige, schwarze, zwanzugjährige Loverboys gegen Geld besorgten. Wie ich dem Artikel entnahm, bestanden die Frauen (anders als Männer) auch noch darauf, es nicht “F* für Geld”, sondern “Liebe” zu nennen. Baaaah. Wäre es um dickbäuchige fünfzigjährige Männer in Thailand gegangen, hätte sich in der Redaktion wohl niemand gefunden, der damit auch noch offen sympathisert. Sobald man die Diskursherrschaft hat, setzt halt die Doppelmoral ein – eine für Menschen, also auch für Frauen, gültige Menschhitskonstante.

    Die Autorin beschreibt nur eine der völlig unvermeidlichen Nebenwirkungen einer wirksamen Kampagne, die Frauen befreit hat …There ain´t no such thing as a free lunch.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • rossdorn sagt:

      Verwechslung...
      Der Irrtum liegt ganz auf Seiten der Autorin…. “…genießen ihre männlichen role models weiterhin nicht selten ihr So-tun-als-ob.” Aber ja doch… aber sicher doch….

      Sie scheint den Unterschied zwischen veröffentlichten Meinungen, also inkl. ihrer eigenen, und der Realität nicht zu sehen oder zu verstehen. Es ist wahr, die “Sex-Verinderungswellen von AIDS, Feminismus, Political Correctness und Pornographie” wie Sie diese so schön anschaulich beschreiben, die existiert tatsächlich. Aber dass sie auch die Sugar Daddy Version von Sex verhindert ist, und das auch noch nur der männlichen Protagonoisten, das ist wohl eher Wunschdenken.
      Diese “Verhinderungs”-Phänomene geben eher den immer schon zu kurz gekommen, meisten nur zu feigen Menschen, eben bessere Ausreden die Wahrheit über ihr eigenes, nahezu nicht existierendes Sexualleben weg zu rationalisieren.

      Der Sugar Daddy, der, wie es die Autorin gerne hätte, “nur sein Geld loswerden will”, den mag es geben, aber er ist eine krasse Ausnahme. Das war immer so und warum sollte es sich ändern. Es hat auch viel mit banaler Impotenz zu tun.
      So denken sich halt Feministinnen ihre “Macht und Einfluss” gerne so gross wie sie ihn gerne hätten…. heutzutage sind halt Zeiten in denen sowas ankommt.

    • toughdown sagt:

      ES BLEIBT ALLES GLEICH
      nur die Staffage wechselt, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. In Punkto Sex gibt es gar nichts, was die Alt-
      vorderen nicht auch gewusst und getan hätten. Vor 100 Jahren galt der Dicke mit Zylinder, der eine
      Zigarre mit einem 100-Goldmark-Schein anbrennt als das, was der Dicke Russe heute gilt: Ein reicher Irrer! Nur, heute ist diese Gruppe voller Anreiz. Damals war sie von Mißachtung verfolgt, bestenfalls wurde sie belächelt. Diese Wandlung bewirkt wachsender Materialismus. Der wiederum entstammt der absuluten Not der Kriege. Sie wurde nach meiner Ansicht den Heutigen genetisch vererbt, wie jede
      große Not zur Anpassung führt.

  2. MDetjen sagt:

    Titel eingeben
    Tränen gelacht. In Erich Kästners “Fabian”-Roman kommt übrigens eine Crazy Emmy vor, die ist wirklich genauso crazy wie Dein Crazy Eddy. Im krisengeschüttelten Berlin Anfang der 30er Jahre.

  3. toughdown sagt:

    Die bürgerliche Moral
    des in geregelten Bahnen stattfindenden Menschenlebens schein unersetzbar. Weil sie doch, irgendwie,
    von der Bergpredigt beeinflusst wird. Da die Schreiberin Heike-Melba… heisst, bescheinige ich ihr, auch wenn ich Unrecht tue, die schräge Weltsicht der Eltern ererbt zu haben. Ich hätte sie gefragt, ob sie wandern kann oder es auf einem Theatersessel aushält. Der Rest wäre voll privat. Wenn sie nichts Gutes vergisst, ist jeder ihrer Tage gelungen.

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