Ich. Heute. 10 vor 8.

Weg mit der Ehe, der Quote, der Karrierefrau

© privatJagen und Braten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Liebe Mädchen, … ich möchte euch ersuchen, alles zu werden, was ihr wollt (solange es nicht das Tanzen an einer Stange beinhaltet). Alles könnt ihr werden, nur nicht süß“, schreibt Sibylle Berg als Reaktion auf Emma Watsons Auftritt bei den Vereinten Nationen, gegen den Berg prinzipiell nichts einzuwenden hat, wäre die Schauspielerin nicht gar so niedlich.

Das Ziel des Feminismus – spätestens seit Emma Watsons Rede wissen es alle – ist nicht die Bekämpfung von Männern, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, die man nicht eigens betonen müsste. Sie sollte vielmehr das Anliegen aller sein. Und dennoch scheint sie unerreichbar.

Es ist unklar, ob das an den Frauen liegt, die sich noch im fortgeschrittenen Alter als Mädchen bezeichnen lassen. Oder daran, dass Frauen sich zu sehr auf das Polieren von Oberflächen konzentrierten, worauf Berg abzielt, wenn sie weiter schreibt: „Liebes Mädchen, vergiss das Fachwissen über die optimale Hautpflege, künstliche Nägel, Blondierungen, Abnehmtricks mit Pillen, die dich dein Fett unverdaut ausscheiden lassen.“ Es ist unklar, ob es daran liegt, dass Männer ihre überlegene Position nicht abzugeben bereit sind. Oder ob wegen der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern eine Gleichberechtigung schlicht unmöglich ist. Fest steht lediglich, dass das Ziel in weiter Ferne liegt.

Wie sähe aber eine Welt aus, in der Frauen und Männer tatsächlich gleichberechtigt wären?

© privatSammeln und Beeren

 

 

 

 

 

 

 

 

In einer solchen Welt hätte man sich längst von unserem tradierten Bild der Steinzeit verabschiedet, in der wir auf Teufel komm raus die Geburtsstunde der Geschlechterrollen sehen wollen. Letztes Jahr schrieb Julia Voss in ihrem FAZ-Artikel „Steinzeit für immer“: „Im Männerdorf der Anthropologie fand man nichts dabei, sich die Urzeit wie das Ohio oder Augsburg der fünfziger Jahre vorzustellen – mehr noch, man hielt es für besonders einleuchtend. Je größer die Rolle von Männern in der Menschheitsgeschichte wurde, desto näher schien die Vorstellung von der Urzeit an der Wirklichkeit zu liegen. Je mehr es die Geschlechterrollen der Gegenwart verstärkte, desto plausibler schien es die Vergangenheit zu beschreiben.“

In Wahrheit gibt es jedoch keine Belege dafür, dass nur Männer jagten, während die Frauen Beeren sammelten und das Nest wärmten. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wer die Speere und Lanzen benutzt hat, die gefunden worden sind, möglich ist alles. Abgesehen davon könnte das Sammeln ebenso gut Vorläufer des Karrierismus sein und das Erlegen von Wild eine Vorstufe des Bratenzubereitens.

In einer Welt, in der das Geschlecht kein Klassifizierungsmerkmal mehr darstellte, ginge es drunter und drüber. Es gäbe keine getrennten Toiletten mehr, Männer trügen öfter Röcke und dekolletierte Hemdchen, sie ließen sich von Frauen galant die Tür aufhalten und in den Mantel helfen, ganz entgegen Freiherr Adolf Friedrich Knigges Anweisung: „Der Mann hilft zuerst seiner Begleiterin in den Mantel, weil er stets zunächst um deren Wohl bemüht sein sollte“. Der Herr wäre nicht mehr stets um das Wohl der Dame bemüht, sondern sie womöglich um seins. Oder jeder um sein eigenes. Es gäbe keine Frauen, die ihren Namen bei der Eheschließung ablegten. Es gäbe gar keine Hochzeiten mehr. Denn mehr als jede andere Institution birgt die Ehe schließlich in sich die Gefahr der Rollenfestlegung.

Es gäbe keine Quoten. Es herrschte kein Zwang, die Gleichberechtigung mit Zahlen zu untermauern. Auf Nominiertenlisten für Literaturpreise stünden nicht die Werke von jeweils sechs Autoren und sechs Autorinnen als Beweis dafür, dass weibliche Autorinnen nicht vorsätzlich übergangen werden. In ein Parlament müssten nicht zwanghaft Frauen befördert werden, nur damit eine prozentuale Auflage erfüllt wird. Das Ziel der Frauenbewegung, wie Susan Sontag es in ihrem Tagebuch formuliert, wäre endlich erreicht: „Die Aufhebung geschlechtsspezifischer Normen für jegliche Tätigkeit – außer dem Kindergebären und einigen wenigen Arbeiten, die große körperliche Kraft erfordern.“

In einer gleichberechtigten Welt gäbe es eine neue Sprache. Durch das Suffix -in mag zwar inzwischen die weitgehend maskuline Personenbezeichnung aufgehoben sein. Doch aus einem Gast kann keine Gästin werden und aus einem Flüchtling keine Flüchtlingin. Das Wort „Fräulein“ ist längst veraltet, aber die erfolgreiche Frau ist immer noch eine Karrierefrau und der erfolgreiche Mann eben ein Mann. Und nicht zu vergessen das kleine Wörtchen „man“. Dem Deutschen scheint also immer noch ein Chauvinismus innezuwohnen, dessen Spuren sich niemals ganz beseitigen lassen. Ja, es müsste eine ganz neue Sprache her, frei von jeder linguistischen Parteilichkeit.

In einer gleichberechtigten Welt gäbe es keinen Krieg zwischen Männern und Frauen. Wir würden vergessen, dass wir Männer und Frauen sind. Und: Frauen wären niemals süß. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum vollkommene Gleichberechtigung ein unerreichtes Ziel ist.

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