
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Die Quote für Regisseurinnen muss kommen, denn die Zahlen sind erschreckend. Derzeit werden nur 15 Prozent aller deutschen Kino- und Fernsehfilme von Frauen gemacht. Im August 2012 vergab die Film-Förderanstalt (FFA) 4,5 Millionen Euro für 17 Kinofilme, und dieses Geld ging komplett an männliche Regisseure. Bei den TV-Sendern, ohne deren Beteiligung in Deutschland kaum ein Film entsteht, wurden in den letzten zehn Jahren weniger als 15 Prozent der Regieaufträge für Spielfilme und Serien an Frauen vergeben.
Dabei sind 42 Prozent der Filmhochschul-Abgänger weiblich. Es gibt noch mehr solch erschreckender Zahlen, die der filmpolitische Informationsdienst black box und die Initiative Pro Quote Regie sich mühsam erarbeitet haben. Dass es so nicht weitergehen kann, ist in der Filmwirtschaft inzwischen keine Frage mehr, die Männer und Frauen trennt. Nur eine kleine Minderheit südlich der Donau glaubt nach wie vor, dass Frauen in der Wirtschaft die Gewinnvermehrung stören. Aber sie trifft inzwischen auf breiten Widerspruch. Doch ist eine Quote für Regisseurinnen, wie die Initiative Pro Quote Regie sie fordert, sinnvoll? 200 Regisseurinnen haben den Aufruf unterschrieben, und einige waren wahrscheinlich erstaunt, dass es überhaupt so viele Regisseurinnen in Deutschland gibt. Brauchen sie wirklich die Quote? Geben sie mit ihrer Forderung nicht zu, dass sie es nicht aus eigener Kraft schaffen?
Ein Abend in der Akademie der Künste in Berlin sollte das klären, und sie kamen alle, die jungen Frauen und die älteren Frauen, die aus dem Osten und die aus dem Westen. Ihre Wünsche waren nicht utopisch, sondern den Möglichkeiten der Film- und Medienindustrie angemessen. Schon vor vierzig Jahren hatte es in derselben Akademie die Forderung der ersten Generation von filmenden Frauen gegeben, die Hälfte von allem zu bekommen: die Hälfte der Subventionen, der Sitze in den Vergabegremien der Fördereinrichtungen, der Redakteursstellen in den Fernsehanstalten. Diese Forderung damals war wie eine Axt, die eine Schneise in den Dschungel der rein männlichen Kungelwirtschaft schlagen wollte, und wirklich utopisch. Aber sie entsprach dem revolutionären Geist der Zeit und brachte Bewegung. In dieser ersten Generation entstanden bedeutende und erfolgreiche Filme. Frauen wurden Produzentinnen, Redakteurinnen, leiteten die Förderinstitutionen und stellen bis heute die Hälfte der Studierenden an den Filmhochschulen.
Doch warum ging diese Bewegung nicht weiter? Viele berichten, wie schwierig es ist, nach dem ersten auch noch die nächsten Filme zu machen und in der Film- und Fernsehwirtschaft Fuß zu fassen. Niemand grenzt sie bewusst aus. Es steckt kein Plan dahinter, kein böser Wille und keine offene Misogynie. Aber ein Bündel von unbewussten Vorentscheidungen und zähen, eingefahrenen Reflexen führt dazu, dass einem Produzenten (oder auch einer Produzentin) partout keine Frau einfällt, wenn er oder sie die Posten der Regie besetzt. Männer sind einfach sichtbarer. Sie werden von der Hierarchie begünstigt, und von der Herrschaft einer anderen Quote, der Zuschauerquote, an die schon seit langem viele Programmentscheidungen delegiert wurden. Diese misst nur, ob der Fernseher eingeschaltet ist, aber nicht, wer und ob überhaupt jemand zusieht.
Im Gegensatz zu dieser Quote ist eine Quote für Regisseurinnen ein rationales und gut begründetes Instrument. Und spätestens seit der Haushaltsabgabe (auch Zwangsabgabe genannt) wächst zumindest bei den öffentlichen-rechtlichen Anstalten der Legitimierungsdruck. Wenn die Haushaltsabgabe eine Demokratieabgabe ist, wie Jörg Schönenborn, damals Chefredakteur, jetzt Programmdirektor des WDR, vollmundig sagte, lässt sich die Übermacht der Männer im Fernsehen nicht mehr rechtfertigen. Da Gleichheit sich offensichtlich nicht von selbst durchsetzt, muss ihr jetzt auf die Sprünge geholfen werden.
Beim Fernsehen sollte die Quote beginnen. Das Fernsehen ist im Bereich der Bewusstseinsindustrie in Deutschland der größte Arbeitgeber. Ohne seine Hilfe wird kaum ein Kinofilm gemacht, denn die meisten Filmförderungen schreiben die Beteiligung des Fernsehens an einem Filmprojekt vor. Hier können wir einen Arbeitskampf führen. Im Bereich der Filmförderung und beim Kino müssen zunächst andere Maßnahmen her. Deren Gremien stehen heute vor der Schwierigkeit, dass eine Quote schon deshalb nicht greift, weil es nicht genug Einreichungen mit Frauen als Regisseurinnen gibt. Aber sobald der Frauenanteil bei der Regie im Fernsehen gestiegen ist, wird sich dass auch auf das Kino auswirken. Wenn wir den Kampf um die Quote im Fernsehen führen und zunächst von der Diskussion um den Frauenanteil im Kino trennen, wird die Axt, die die ältere Generation geschwungen hatte, zum taktischen Florett, das geschmeidig gehandhabt werden kann. So lässt sich der Stoffwechsel zwischen den filmenden Frauen und der Gesellschaft, der eingeschlafen ist, wieder in Gang bringen.
Doch dann muss es weitergehen. Der Mainstream im Fernsehen und Kino wird beherrscht von Klischees über die Natur und die Rollen von Frauen und Männern. Aus gleichen Arbeitschancen für Regisseurinnen entstehen nicht automatisch die vielfältigeren Bilder. Emma Watson hat vor der UNO gesagt: “Es wird Zeit, dass wir die Geschlechter auf einem Spektrum und nicht als zwei gegensätzliche Größen sehen.“ Dies in die Bilder aufzunehmen, liegt jenseits des Arbeitskampfes. Frauen müssen eben auf vielen Feldern gleichzeitig sein. Aber am Abend der Veranstaltung in der Akademie der Künste wehte ein angenehmer vorrevolutionärer Hauch durch den Saal.