Ich. Heute. 10 vor 8.

Ich. Heute. 10 vor 8.

Frauen schreiben. Politisch, poetisch, polemisch. Montag, Mittwoch, Freitag.

Burkinis gegen Bikinis?

| 48 Lesermeinungen

Nicht mal am Frauenstrand ist man in der Türkei mehr vor religiösen Sittenwächtern sicher

© tunisiefocus.comSo hatte ich ihn mir vorgestellt: den Frauenstrand von Antalya

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich habe diesen Sommer in Antalya verbracht. Antalya ist eine der türkischen Top-Touristen-Metropolen. Und Antalya ist meine Heimat. Als ich Kind war, gab es einen Sandweg vor unserem Haus und Orangenbäume. Mittlerweile gibt es eine sechsspurige Straße und unter unserem Balkon einen Laden mit Badelatschen. Von unserem Balkon aus sehe ich sehr viele Deutsche Badelatschen kaufen.

Der Bürgermeister von Antalya, Menderes Türel, dessen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) mittlerweile auch in Antalya regiert, hat in diesem Sommer verkünden lassen, dass der berühmte Sarisu-Strand ein Frauenstrand werde.

Ich dachte sofort: Die erste gute Idee, die die AKP je hatte! Wenn die verschleierten Frauen bisher keinen Strand hatten, an dem sie sich wohlfühlten, warum nicht? Außerdem war ich es leid, jedes Mal einen anti-islamistischen Monolog meines deutschen Mannes zu hören, wenn neben ihm komplett verschleierte Frauen in die Fluten stiegen.

Wenige Tage nach der Eröffnung setze ich mich also auf eine Liege am Frauenstrand, an dem es einen Strandfriseur und einige Strandboutiquen gibt. So sieht also ein Strand für Frauen aus, denke ich.

Ich beginne mich auszuziehen, schaue dabei kurz nach rechts und bemerke, wie einige Frauen über mich hinweg nach links starren und dabei aufgebracht flüstern. Ich schaue auch nach links und sehe drei Frauen in der Sonne liegen – oben ohne. Ich schaue wieder nach rechts und sehe, wie die Frauen nun mich anstarren. Ich habe schon das Oberteil des Bikinis gelöst und spüre förmlich, wie die rechte Seite den Atem anzuhalten scheint, und wie jede weitere meiner Bewegungen, das Oberteil hinuntergleiten zu lassen, einen erneuten Flüsterschwall auslösen würde. Ich schaue noch einmal nach links, nach rechts, dann entscheide ich, das Oberteil anzulassen und vorsichtshalber alles andere auch wieder anzuziehen.

Seltsamer Frauenstrand, denke ich, während ich mitten in diesem weiblichen Spannungsfeld in der Sonne schmore.

Am nächsten Tag fahre ich noch einmal hin. Ich gehe am Strand entlang, sehe das Schild: „Fotografieren verboten“ und höre, wie einige Frauen diskutieren. Die einen oben ohne, die anderen im Burkini (hier oft Haşema genannt). Zwischen ihnen stehen zwei offizielle Frauenstrandwächter in Uniform. Die Frauen im Haşema/Burkini zeigen auf ihre Kinder und fragen die Frauenstrandwächter, was Kinder von nackten Frauen denken sollen, worauf die Frauenstrandwächter die halbnackten Frauen anweisen, sich wieder anzuziehen.

Am darauffolgenden Tag gerate ich in eine Demonstration von 40 Frauen und Männern. Sie sind von einer anderen Stelle verbotenerweise an den Strand geschwommen und haben so die Wächter überrascht. Sie treten in einer Menschenschlange aus dem Meer und fordern eine neue türkische Frauenpolitik.

Zu Hause auf dem Balkon (ich sonne mich jetzt lieber auf dem Balkon über den Badelatschen kaufenden Deutschen) denke ich: Dieser Frauenstrand geht mir auf die Nerven! Er schafft keine Freiheit, sondern demonstriert nur den neuen, gefährlichen Geist, der seit einiger Zeit im meinem Land herrscht. Der Strand ist mitnichten, das, was ich mir gewünscht hatte. Er ist kein Freiraum für alle Frauen, egal, wie sie mit ihrem Körper umgehen, sondern im Gegenteil: er vertieft die Gräben zwischen den Frauen.

Außerdem denke ich jetzt: Ist so ein Frauenstrand nicht eigentlich genau so eine „positive Diskriminierung“ wie die deutsche Diskussion um die Frauenquote? Gesetzliche Frauen-Gleichberechtigung und gesetzliches Frauen-Schwimmen klingt beides nicht nach freier Gesellschaft.

Und dann das: Ich höre im Radio, dass der türkische Vizepremierminister Bülent Arinc fordert, dass Frauen öffentlich nicht mehr lachen dürfen. Was? Ich kann das nicht glauben, aber es ist so: Frauen sollen nicht mehr auf der Straße lachen.

Das ist noch absurder als die Forderung des Präsidenten Erdogans, jede türkische Frau habe fünf Kinder zu gebären. Wird man neben dem Frauenstrand also bald eine Lachzone für Frauen eröffnen?

Letzte Woche habe ich die Kommentare unter einem türkischen Artikel über den Frauenstrand gelesen: „Frauen, die an den Strand gehen, gehören in die Hölle“, „Frauen am Strand steinigen“, „Frauen am Strand: Huren“.

Laut einer Statistik des Justizministeriums hat sich die Anzahl der „Ehrenmorde“ an Frauen seit 2007 verfünfzehnfacht, in 2009 waren es 953, in 2013 bis August allein 842.

Was ist nur aus meinem geliebten Land geworden, seit es von der AKP regiert wird? Wenn es so weitergeht, ist die Türkei bald eine Art Iran plus Dubai samt einer Lachzone für Frauen. Lustig ist das nicht.

(Die Übersetzung ist von Moritz Rinke)

 


48 Lesermeinungen

  1. Mutzsch sagt:

    Ich fahre schon lange nicht mehr in die Türkei
    Ein menschenverachtendes Regime sollte man nicht finanziell (mittel Tourismus) unterstützen…

  2. Harmlos02 sagt:

    Wenn die Touristen ausbleiben ist dann aber wieder der Westen Schuld!
    Die Türkei fällt als Urlaubsland somit völlig aus. ich will entspannen und mir nicht ständig darüber Gedanken machen, wessen religiöse Gefühle ich gerade verletzte (Wenn ich das wirklich will bin ich Manns genug, es auch dazuzusagen!).
    Aber wenn dann in Antalya die Touristen wegbleiben wird sich Erdogan vor die Presse stellen und behaupten, dass es einen Medienkomplott gegen die Türkei gibt und das dieser schuld an der Misere ist!
    Nun, ich halte die türkische Gesellschaft für erwachsen genug sich über ihre Plotik selber ein Bild zu machen. Und wenn sie weitr mehrheitlich die AKP wählt liegt das ncht nur an der schwachen Opposition. Der Samen des extremen Gedankenguts braucht auch immer einen fruchtbaren Boden, damit er gedeiht. Es bedarf also einer breiten gesellschaftlichen Debatte, um diesen Samen den Boden zu entziehen. leider vermisse ich aber oft die dazu nötige Selbstreflektion in der türkischen Politik!

  3. Ginneh sagt:

    Burkinis "ge-gen" Bikinis?...Burkinis "ge(hen)-gen(Richtung)" Bikinis?
    Säen Sie hier Wind, der hier zum Sturm der Entrüstung werden soll?
    Oder möchten Sie hier Quelle von Wellen der Einsicht sein/werden?
    Der Text sieht eher nach Wind aus der Sturm entfachen soll.
    Wut, Hass…”Shit-Storm?”…sind schlechte Berater der Vernunft.
    “Ghost-Storm?”, Bildung bilden, mittels Selbsterkenntnis und Einsicht bewirkt
    Erkenntnis- und Einsicht-wellen(wirken), einsichtiges handeln.
    Schreiben Sie “intelligenter”, “Ghost-Storm” bezogen…wenn “der” Ihnen gefällt…
    wenn “E”‘s (“E”rkenntnis- und “E”insicht(iges)-handeln) Ihnen gefällt.
    Hier (Blog-Deutschland!!!) Krieg(weg) oder Frieden(Selbsterkenntnis und Einsicht-Bildungs-weg)?
    Quellen im Quellenland des Lachverbotes, nicht Stürme entfachen in Deutschland…
    das könnte inhumane Reaktionen in Deutschland bedeuten. Wollen Sie das?

    MfG
    W.H.

  4. Errikson sagt:

    [...]
    Bitte bleiben Sie sachlich. Die Blogredaktion

  5. Old_Europe sagt:

    Was ist an "Badelatschen kaufenden Deutschen" so verwerflich,
    dass dieser Vorgang mehrmals mit abfälligem Unterton Erwähnung finden muss? Man kann deutschen Touristen sicher einige Eigenheiten übelnehmen, aber wenn das Kaufen von Badezubehör schon kritikwürdig ist…

    • ahmedigu sagt:

      [...]
      Bitte bleiben Sie sachlich. Die Blogredaktion

    • MDetjen sagt:

      Titel eingeben
      Ich verstehe die Badelatschen als eine Metapher für die hässliche, billige, unzivilisierte, ganz und gar unerotische Nacktheit, die der “Westen” als Massenware produziert und vertreibt und gegen die sich die Burkinis auch richten.

    • etacarinae sagt:

      Das ist nicht verwerflich, Herr Solcher,
      daß ist seit Jahrzehnten deutscher Standard!

  6. etacarinae sagt:

    Eylem Özdemir-Rinke -
    eine tolle Frau! Ich fürchte nur, mit derartig “tendenziösen” Berichten aus ihrer Heimat könnte sie bald ein Einreiseverbot riskieren. Humor ist nämlich eine äußerst gefährliche Waffe….

  7. Mircogeyer sagt:

    Die nervenden anti-islamischen Monologe des Ehemannes..
    scheinen ja ihre Berechtigung zu haben. Es ist schon sehr traurig, dass sich auch die wenigen moderneren Staaten des Islam wieder zurück ins Mittelalter entwickeln.

  8. fazsan sagt:

    Tja - ist doch schön, wenn Durchblick und Erkenntnis kommen. Nur manchmal ist es dann zu spät.
    Wenn nämlich zwischenzeitlich Tatsachen geschaffen worden sind…Ich denke immer an die jungen Frauen im Tschador, die begeistert für Khomeini demonstriert haben…Sie haben bekommen, was sie wollten.

  9. M.Carlos sagt:

    Es wurde nur das geliefert, was das türkische Volk vom Wahlzettel bestellt hat
    Erdogans Ziel ist die Islamische Republik Türkei, das ist so klar wie das Wasser in Antalya. Er versucht die Uhren der Moderne zurückzudrehen, die Atatürk in der Türkei gestartet hatte. Er macht das sehr geschickt und hat die Lektionen aus den Geschichtsbüchern studiert. Er mobilisiert das einfache Volk, aus dem er selber kommt, mit dieser Masse gewinnt er alle Wahlen und findet seine Gefolgsleute. Er dosiert die Repressalien und die Islamisierung des Landes über einen sehr langen Zeitraum. Dadurch vermeidet er eine breite Front, und kann seine liberalen, bürgerlichen Gegner nacheinander erledigen. Lustig ist das nicht, aber die Türken hatten die Wahl.

  10. hhhpppfff sagt:

    [...]
    Bitte bleiben Sie sachlich. Die Blogredaktion

Kommentare sind deaktiviert.