Ich. Heute. 10 vor 8.

Grenzen dicht?

In Deutschland sind die Flüchtlingsheime überfüllt, die Zustände dort verheerend.  Warum sind wir kein besseres Exil? Haben wir aus der Geschichte nichts gelernt?

###© www.ddr-fotos.de / Marco Bertram 

Sommer 1989: Während Ostdeutsche in der Prager Botschaft im Schlamm auf ihre Ausreise warteten, wurde ich gerade aus Portugal ausgewiesen. Obwohl der portugiesische Staat mich als Uni-Lektorin eingestellt und ich bereits ein Jahr dort unterrichtet hatte, wurde mir eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Bis zur Klärung dieser bürokratischen Verwicklung, lag ich auf Reede in einem Wiener Durchgangszimmer und unternahm Bittgänge zur Botschaft. Quälerisches Warten. Österreich war kein EU-Mitglied, deshalb müsse Portugal sehr vorsichtig sein, wen es ins Land lasse, wurde mir beschieden.

Schließlich durfte ich doch zurück an Portugals Küste, wo ich am 9.11.1989 fassungslos die Bilder der Grenzöffnung verfolgte, einen Pulk von weiß marmorierten Jeansjacken und -hosen, die auf die Berliner Mauer kletterten. Zu Silvester reiste ich nach Berlin, stand im Stau zwischen Unmengen von Trabis. Frohe Gespräche zwischen Wartenden, taumelnd und lachend und immer noch ungläubig schoben wir uns vorwärts.

Nachdem noch weitere osteuropäische Diktaturen zu Fall gekommen waren, konnte ich Europa neu denken. Meine persönliche Geographie – von Wien aus hatte ich Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Rumänien, Bulgarien mehrfach kennengelernt – hatte sich mit den politischen Verschiebungen erweitert. Ich begann, mich in literarischen und theoretischen Arbeiten mit Migration zu beschäftigen, vielleicht auch, weil ich als Kind in einem Haus zusammen mit Vertriebenen, Aussiedlern und Gastarbeitern aufgewachsen war.

Die meisten Erzählungen über DDR-Flüchtlinge werden heute von ihrem guten Ausgang, einem überstandenen Schrecken her verklärt. Es werden ergreifende Dokus über die DDR produziert, in denen die Worte Flüchtling, Angst, Verfolgung, Polizeiwillkür vorkommen, als gäbe es solche Realität in diesen Tagen nicht mehr. In aufwendiger Kulisse wird nachgestellt, wie vor 25 Jahren Ostdeutsche in den Westen flohen, der Botschafter in Prag war für sie wie ein Vater und seine süße Frau die Mutter. Die Diplomaten erzählen von ihren Heldentaten und davon, wie viel ihnen das Wort Freiheit bedeutete.

Jubiläen werden dieser Tage zelebriert, als hätten die Feiern nichts mit dem Selbstbild zu tun, das Deutschland sich in den 70 Jahren nach dem Krieg, den 25 Jahren seit dem Mauerfall gezimmert hat.

Doch zeitgleich mit dem Einzug der demokratischen Freiheit in Ostdeutschland wurde es für die dort lebenden sichtbar Fremden enger. Die Stimmung kippte, wie mir eine französisch-senegalesische Freundin vor Kurzem erzählte. Als die Grenzen nach Westen offen waren und das Deutsch-Deutsche sich stärkte, waren die Gäste des sozialistischen Auftrags an die Dritte Welt nicht mehr willkommen. Ein paar Jahre später beobachtete sie mit ihrer peruanischen Kollegin, wie vietnamesische Gastarbeiter an der Eberswalder Strasse von Neo-Nazis verprügelt wurden, ohne dass ihnen jemand half. Die beiden getrauten sich danach kaum mehr aus dem Haus. Das größtmögliche Rebellionspotential war nun nicht mehr die Sehnsucht nach kapitalistischen Freuden, sondern vordem Verbotenes und Verpöntes: Rassismus und Ausgrenzung.

Aus all diesen Gründen kommen mir beim Betrachten des improvisierten Flüchtlingslagers in Prag sofort die heutigen Flüchtlingslager in Berlin in den Sinn. Das fürsorgliche Kümmern und heldenhafte Verhalten in der dortigen Botschaft, das im Film gefeiert wird, steht dem Ausweichenden und sich vor Verspflichtungen drücken in der heutigen Bundesrepublik gegenüber. Die ergreifende Episode mit Babys, die als allererstes gerettet werden müssen – welche Entsprechung findet solches Verhalten hier und heute?

Warum können nicht genügend Räume, genügend finanzielle Mittel für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden? Warum können die Menschen nicht ertragen, dass Fremde in ihrer Umgebung wohnen? Warum gibt es keinen Krisenstab aus Diplomaten, Ärzten, transkulturellen Psychiatern, Sozialhelfern, Übersetzern, Sprachlehrern, Künstlern, Werkstattleitern, die aufgrund der verschärften Situation für Flüchtlinge SOFORT etwas ändern, in großem, weil notwendigem Maße?

Warum können wir nicht zusammendenken, dass die Nazi-Ideologie Menschen willkürlich ausgrenzte, ermordete, ins Exil drängte, dass eine ostdeutsche Diktatur Menschen gefangen hielt, dass sie sich dagegen wehrten und Freiheit gewannen, und dass auch heute, nur eben anderswo Menschen von tödlichen Ideologien willkürlich ausgegrenzt, ermordet und ins Exil gedrängt werden und keine Freiheit finden?

Warum können wir kein besseres Exil sein?

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